Industriegeschichte Tour führt entlang der Spuren der Junkerswerke in Aschersleben
Gästeführer Ronny Reitzig berichtete von der Flugzeugproduktion, von Zwangsarbeitern und früheren Orten des Bergbaus.

Aschersleben/MZ/rr/hv - An diesem Samstag war es wieder so weit. Nachdem seit dem Herbst 2020 coronabedingt alle Junkers-Führungen abgesagt werden mussten, konnten diese nun wieder stattfinden. Am Wochenende nutzten, wie auch an dem vorangegangenen, zahlreiche Interessierte die Möglichkeit, sich über die Industriegeschichte der Stadt Aschersleben zu informieren.
Das Wetter, am Vormittag noch trüb und kalt, zeigte sich am Nachmittag so, wie es Mitte November nicht besser sein kann. Um auch von den durch die coronabedingten Abstände weiter hinten stehenden Tourteilnehmern verstanden zu werden, nutzte der Gästeführer Ronny Reitzig einen bei der Tourist-Information längst vorhandenen, aber selten genutzten Sprachverstärker, der sich sehr gut bewährt hat.
Der Treffpunkt, die Wendeschleife am Majoranweg, war bewusst gewählt, weil sich von dieser Stelle am besten das Gelände der ehemaligen Junkerswerke erklären lässt. So konnte bei der Beschreibung der zehnjährigen Geschichte dieses großen Rüstungsbetriebes die Lage der längst verschwundenen Produktionshallen anschaulich erklärt werden.
Neben den Arbeitsbedingungen der Werksangehörigen, zur damaligen Zeit als „Gefolgschaft“ bezeichnet, ging Reitzig auch auf das Schicksal und die harten Bedingungen der vielen Zwangsarbeiter und der über 1.000 KZ-Häftlinge aus Buchenwald und Bergen-Belsen ein. Weiter führte der Weg zu den letzten vorhandenen Resten der Junkerswerke Aschersleben, die die Zeit überdauert haben, mehr oder minder in Vergessenheit geraten sind und inzwischen von der Natur zurückerobert wurden.
Ronny Reitzig erklärte, was es mit den Ruinen der Junkerswerke auf sich hat
Das ist auch der Grund, warum diese Führung nur in der vegetationsarmen Zeit stattfinden kann, da sonst durch das Grün vieles der Ruinen verdeckt wäre. Selten findet jemand den Weg zu diesem „Lost Place“. Reitzig erklärte, was es mit diesen Ruinen auf sich hat.
Er konnte sogar aus einer originalen Baubeschreibung in der Sprache der Zeit vortragen, welche Funktion dieser Gebäudekomplex einst erfüllte, wie der Bau beschaffen war und unter welchem Kostenaufwand er erbaut wurde. Diese Baubeschreibung bekam Reitzig einst von seinem Mentor, dem 2018 verstorbenen Heimatforscher Reiner Mühle, zur Verfügung gestellt.
Noch einmal führte der Weg die längst von der Natur eroberte ehemalige Werkstraße, die Grabenstraße, entlang. Und das letzte Stück des Weges musste man sich durch das Unterholz bahnen, bevor es - parallel zur A36 - zum im Volksmund als Junkerssee bezeichneten Gewässer ging.
Wie Königsaue und Friedrichsaue zu ihren Namen kamen und was das mit Bergbau zu tun hat
Vielen war neu, dass es dort genau genommen zwei Vorläufer-Seen gab, wie die Dörfer Königsaue und Friedrichsaue zu ihren Namen kamen und was das ganze mit dem Bergbau in Aschersleben zu tun hatte. Außerdem erläuterte Reitzig, was die Werkhallen der jetzigen Firma Rulmeca für eine Geschichte haben und was dabei der Begriff „Muna“ für eine Rolle spielt.
Reitzig ist sich sicher, dass die Teilnehmer der Führung bei ihrem nächsten Besuch des Wertstoffhofes genau hinsehen werden, um den von ihm beschriebenen Bunker zu entdecken. Der steht nämlich an einer Stelle, die bei genauer Wahrnehmung der Umwelt einem schon fast wörtlich „ins Auge springt“.
Diejenigen, die mit dem Rad von Aschersleben unterwegs zum „Concordia-See“ sind und dabei den Radweg benutzen, wissen meist nicht, dass sie den Bahndamm der „Kleinbahn Aschersleben Schneidlingen Nienhagen“ befahren.
Bei genauem Hinsehen können sie noch den Bahnsteig des Haltepunktes Wilsleben erkennen. Dort kann man noch genau sehen, wo das Büro des Bahnhofsvorstehers war und wo sich die Bahnhofstoiletten befanden. Auch in Aschersleben lassen sich noch Gleisanlagen und Gebäude entdecken, die zur 1964 eingestellten Kleinbahn gehörten.
Weiter ging der Weg zur Schmidtstraße, wo Reitzig erklärte, warum diese so heißt. Dass der Namensgeber dieser Straße 200 Reichspatente und über 1.200 Auslandspatente besaß, die Dampfmaschine revolutionierte und 1898 die damalige AMA, die Ascherslebener Maschinenbau-Aktiengesellschaft, gründete und am liebsten das baute, was groß, schwer und kompliziert war.
Ob Dieselmotoren für U-Boote, Wasserkraftwerke, Lokomobile oder möglichst große Dampfmaschinen. Ein letztes Zeugnis seines Schaffens in Aschersleben steht noch im Museum Thale an seinem ursprünglichen Standort: eine 1.500-PS-Dampfmaschine, die von 1911 bis 1991 dort eine Walzstraße antrieb.
Denkmal von Walter Weise erinnert an Zwangsarbeiter in Firmen in Aschersleben
Auch der Vorgängerbetrieb der jetzigen „Schiess AG“ - die WEMA Aschersleben - fand in Reitzigs Ausführungen eine kurze Erwähnung. Die letzte Station war das 1977 von dem Ascherslebener Künstler Walter Weise geschaffene Denkmal, das an die 5.000 Frauen, Männer und Jugendlichen erinnern soll, die von 1914 bis 1945 Zwangsarbeit in Ascherslebener Betrieben leisten mussten.
Dieses Denkmal wurde auf Initiative des Heimatforschers Reiner Mühle 2018 um eine Gedenktafel für die über 1.000 KZ-Häftlinge, die hier in Aschersleben zu Arbeit gezwungen wurden, ergänzt.
Hier endete nach zweieinhalb Stunden die Wanderung durch 120 Jahre Industriegeschichte von Aschersleben. Aufgrund des Umfangs der Geschichte der einzelnen Betriebe konnte diese nur in Kurzform wiedergegeben werden. Es gäbe noch viel mehr zu berichten, und dies ist nur eine der Führungen zu Ascherslebens Industriegeschichte.
Neben einer Führung über „Kohle, Kali, Salz“ bietet Reitzig auch eine Führung über die Ascherslebener Mühlen an. Diese Führungen werden dann mit dem Fahrrad bestritten. Um sich über die Veranstaltungstermine für diese und andere Führungen der Ascherslebener Tourist-Information zu erkundigen, lohnt immer ein Blick auf die Internetseite www.aschersleben-tourismus.de.

Über die Frage, wann „Metallene Schwingen“, der Film über die Junkerswerke, wieder im hiesigen Kino aufgeführt wird, konnte Reitzig auch nur spekulieren. Er und Kinobetreiber Uhde hoffen, dass dies wieder im kommenden Frühjahr möglich sein wird, da die jetzigen Corona-Maßnahmen dies nicht zulassen.
Nach rund sechs Kilometern Fußmarsch und kurz vor Einbruch der Dunkelheit verabschiedete der ehrenamtliche Gästeführer Ronny Reitzig sein Publikum.