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Tagespflege in Aschersleben Tagespflege in Aschersleben: Senioren in guter Gesellschaft

Von Sophie Elstner 10.05.2017, 07:45
Gerda Fiedler (links) und Irene Müller kommen gern zur Tagespflege. Hier sind sie in guter Gesellschaft.
Gerda Fiedler (links) und Irene Müller kommen gern zur Tagespflege. Hier sind sie in guter Gesellschaft. Frank Gehrmann

Aschersleben - Das Licht fällt durch die langen Gardinen in den großen Raum. Die Kissen auf den beiden bequemen weißen Ledersofas sind frisch aufgeschüttelt. Es duftet nach Kaffee. Sieben Senioren sitzen an dem großen Tisch in der Mitte des Raumes, der von Stimmen und Gelächter erfüllt ist.

„Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, weil ich wusste, dass heute die Zeitung kommt“, sagt Walter Vollroth. Er ist einer von den acht Gästen, die an diesem Tag die neue Tagespflege des Corneliuswerks in Aschersleben besuchen. Anfang März hat die Einrichtung eröffnet und bis zu 15 Gäste kommen jeden Tag. Um zu Hause nicht allein zu sein.

Tagestreffleiterin Sabine Bienek verteilt Schürzen

Die Freude am Tisch ist groß, als Tagestreffleiterin Sabine Bienek Schürzen und bunte Brettchen verteilt. „Heute wird gemeinsam gekocht, es gibt Kartoffelsalat und Würstchen“, erklärt sie. Jeder soll mithelfen, so gut er kann. Und damit sich niemand bekleckert, gibt es Schürzen. Für manchen sei es schon schwierig, eine Gewürzgurke mit der Gabel aus dem Glas zu fischen. So wird aber die Fingerfertigkeit geübt.

Ingried Rosengarten fängt unterdessen schon mal an, die Erdbeeren für die Torte zu schneiden, die es am Nachmittag geben soll. „Du hast doch genascht!“, ruft Walter Vollroth über den Tisch. Dass er nicht alles petzen solle, bekommt er zur Antwort.

Erinnerung an Geschirrspülen in den 1960er Jahren

Ein paar Minuten später kommt Charlotte Reiter in die Tagespflegeeinrichtung. Sie wird herzlich begrüßt, möchte sich gleich eine der Schürzen umbinden und helfen, Kartoffeln zu schälen. „Sie dürfen erst mal in aller Ruhe ankommen“, bremst Betreuerin Cathleen Hecker die Seniorin aus.

So kommen die zwei Männer und sechs Frauen ins Gespräch über das, was sie am Morgen in der Zeitung gelesen haben und was sie die letzten Tage beschäftigt hat. Es geht um die Bepflanzung und die Geschäfte in der Innenstadt. „Dazu sind wir hier, um auch mal zu schnattern“, sagt Gerda Fiedler. Mit Ingried Rosengarten erinnert sie sich an alte Zeiten zurück. Damals, in den 1960er Jahren, als Wäschewaschen und Geschirrspülen noch beschwerlich waren. „Heute macht das ja zum Glück alles die Maschine“, sind sich die beiden Seniorinnen einig.

Bald schon ist der Kartoffelsalat fertig, doch bis zum Mittagessen ist noch Zeit. Auf dem Beschäftigungsplan steht Singen. „Wir stellen diesen Plan für jede Woche auf“, sagt Sabine Bienek. „Aber nicht immer halten wir uns daran. Wenn niemand Lust hat zu singen, dann spielen wir eben in dieser Zeit etwas oder rätseln.“

Das gemeinsame Singen steht heute allerdings ganz oben auf der Liste der Dinge, die die Tagesgäste gerne tun möchten. Flink greift die Leiterin der Einrichtung zur Gitarre, es werden Textblätter verteilt, damit auch jeder mitsingen kann. Nur eine braucht keinen Text. Inge Fröhner kann alles auswendig. Am Brunnen vor dem Tore („Das war mein erstes Lied auf der Mundharmonika!“) ist nur einer der Klassiker, die durch die hohen, hellen Räume klingen.

Gemeinsames Singen

„Deshalb gefällt es mir hier“, sagt Ingried Rosengarten. „Wir basteln, machen Bewegungsübungen, und das wichtigste ist, man ist nicht ständig allein.“ Walter Vollroth bestätigt das. „Für ältere Menschen ist doch nichts los, wo man mal hingehen könnte.“ Gerade am Wochenende, wenn der Tagestreff am Weinberg nicht geöffnet hat, sei es schwierig, sich nicht einsam zu fühlen. „Dabei gibt es doch in der Stadt so viele leerstehende Räume. Ich denke, dass viele ein Wochenendangebot gerne annehmen würden“, sagt der Rentner. „Das wäre doch mal ein Vorschlag für den neuen City-Manager.“

Für die Senioren, die keinen Pflegegrad hätten, sei es schwierig, Teil einer Gemeinschaft zu sein. „Dann übernimmt die Krankenkasse nämlich keine Kosten für den Besuch einer Tagespflege, auch nicht anteilig“, erklärt Sabine Bienek. Alles selbst zu finanzieren, sei fast unmöglich. „Aber nur weil sie keinen Pflegegrad haben, heißt das ja nicht, dass es noch einen Partner oder Angehörige gibt und sie sich nicht allein fühlen.“

„Eine solche Betreuung sollte jedem zustehen“

Die Tagestreffleiterin sieht hier großen Handlungsbedarf bei Krankenkassen und Politik. „Eine solche Betreuung sollte jedem zustehen.“ Die Tagesgäste nicken ihr zu. Manche von ihnen kommen täglich in die Einrichtung, manche nur ein oder zwei Mal in der Woche.

Als die Musikstunde in eine Diskussion über ein behinderten- und seniorengerechtes Aschersleben umschwenkt, ist Zeit fürs Mittagessen. Und danach, ganz wie zu Hause, ist Gelegenheit für ein bisschen Mittagsruhe. Jeder der Gäste hat seinen Lieblingsplatz dafür, es gibt genug kuschlige Sessel mit Decken und Kissen. Und während die Senioren zufrieden die Augen schließen, bleibt für Sabine Bieneck und ihre Kolleginnen etwas Zeit, um durchzuatmen. (mz)