Puccini-Premiere Puccini-Premiere: Geradlinig-sicheres Gespür für Details
Halberstadt/MZ. - Giacomo Puccinis Erfolgsoper "La Bohème" gilt gemeinhin als Herz-Schmerz-Geschichte von den armen, frierenden Künstlern und der kränkelnden Näherin aus der Nachbarschaft, bei der man neben Jubel gelegentlich auch gerührtes Schneuzen im Publikum vernehmen kann. Dieses Werk inszeniert Holger Pototzki fernab von übertriebener Armutsfolklore mit Geradlinigkeit, Gespür für Details und immer mit dem Blick auf das Publikum.
Pototzki bleibt dabei nah an Puccinis Alltagspoesie der kleinen Leute. In einer starken Bildsprache, stets auf dem Grat zwischen Sentimentalitäten und Romantik wandelnd, erlebt das Nordharzer Publikum eine tragische Liebesgeschichte. Sie verlegt er aus dem Quartier Latin in der Zeit um 1830 in die Zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts - ist sie doch in ihren Grundproblemen ziemlich zeitlos. Bühnenbildner Tom Presting schuf dafür eine stimmige äußere Atmosphäre. Kleiner Veränderungen nur bedarf es, um aus der kalten Dachwohnung den winterlichen Festplatz vor dem Café Momus zu zaubern. Auch Kostümbildnerin Lisa Sauerland bot den Zuschauern einen Augenschmaus und stattete die Akteure opulent und zeitgerecht aus. Die liebende Näherin Mimi, bei Pototzki eher fraulich-begehrenswert als hinterhöfisch verhärmt angelegt, trägt da schon mal Seide.
Es ist kühl in der Oper über Kälte und Licht. Vier Lebenskünstler frösteln unter den Dächern von Paris. Bevor sie ganz erstarren, besinnen sie sich auf den Heizwert eines frischen Manuskriptes. Aber abgekühlte Beziehungen und Seeleneis erwärmt das nicht. Und so kurzzeitig wie die Freude an den Gaben, die Schaunard (Matthias Schaletzky) in die WG trägt, und an dessen Einladung ins Café währt die Liebe des Dichters Rodolfo (Heiko Börner) zur schwindsüchtigen Nachbarin. Woran gebrach es ihrer Liebe; fehlendes Geld, schleichende Krankheit, unzeitgemäßen Visionen? Mimis eiskaltes Händchen, dem sich der Literat anfangs innig widmet, wird nicht mehr warm. In der Dachkammer haucht sie - wie die Kerze zu Beginn - umgeben von ratlosen Helfern ihr Leben aus.
Regisseur Holger Pototzki hat das Glück, auf ein vorzügliches Ensemble zurückgreifen zu können. Das trifft auf die Massenszene des zweiten Bildes mit einem quirligen Kinder- und lebendigen Theaterchor (Einstudierung: Yoichi Miyagawa) ebenso zu wie die gefühlvollen Auftritte der Solisten. Katharina Warken überzeugte in der Premiere darstellerisch präsent und mit ihrem emotional gefärbten Sopran als fasznierende Mimi. Klangschönheit und stimmliche Üppigkeit bescherten ihr gerade für die Liebesszene mit Rodolfo Szenenapplaus.
Heiko Börner gibt den äußerlich wendigen, aber zuweilen in sich gekehrten Dichter mit tenoralem Charme. Seine Stimme erscheint tragfähig und fast durchgehend auch höhensicher. Gast Sönke Morbach überzeugt konzentriert singend mit kraftvoller Bühnen-Präsenz als Maler Marcello auch in den eher lyrischen Momenten. Gabriele Rösel wirkt nicht nur in ihrer Erscheinung elegant, sondern meistert mit ihrem funkelnden Sopran ebenso beeindruckend die Partie der Musette. Ebenso ein Hörgenuss Bernd Unger, der der Arie des Colline große Eindringlichkeit gab. Matthias Schaletzky steht wohltönend als Vierter im Bohemien-Quartett in der Rolle des Musikers Schaunard seinen Mitstreitern nicht nach.
Dass "La Boheme" zu einem Theatererlebnis wird, daran hat Johannes Rieger am Dirigentenpult einen wesentlichen Anteil. Puccinis Partitur schwelgt zwischen gelegentlicher Grellheit, musikalischer Kraft, Lyrik und schönen Melodiebögen. Dabei gelingen dem Orchester bedeutungsschwere Klangcharakterisierungen, ohne dass alles zu bombastisch daher kommt und dabei die Lebendigkeit auf der musikalischen Strecke bleibt. Das Premierenpublikum im gut verkauften Großen Haus in Halberstadt dankte Ensemble und Inszenierungsteam mit stehenden Ovationen für einen gelungenen musikalischen Spielzeitauftakt.
Die nächsten Vorstellungen gibt es am 13. Oktober, 1., 9. und 17. November sowie am 13. und 25. Dezember im Theater Halberstadt.