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Grubenunglück Grubenunglück: Bereits 1938 starben acht Menschen

22.07.2009, 15:42

ASCHERSLEBEN/MZ. - Arbeiter ohne Chance

So war zu lesen: Wir berichteten bereits am Sonnabend über das furchtbare Unglück, dass ein Erdrutsch im Tagebau der Grube Concordia über Nachterstedt und die Nachbarorte Hoym, Frose und Gatersleben gebracht hat. Das Unglück hat acht Todesopfer gefordert, unter ihnen sieben Familienväter, die zum Teil schon mehrere Jahrzehnte in der Grube arbeiteten. Das Unglück ereignete sich während der Verkürzung der Gleisanlage beim Herauffahren eines am äußersten Ende der Grubenanlage befindlichen Löffelbaggers. Dadurch erklärt sich auch die Ansammlung so vieler Menschen, die sonst weit verstreut arbeiten. Bei den durch das Umstellen des Baggers notwendigen Arbeiten trat der Erdrutsch ganz plötzlich ein. Innerhalb weniger Sekunden stürzten gewaltige Erdmassen zum Teil aus einer Höhe von 40 Metern, so dass es den Männern nicht mehr möglich war, sich in Sicherheit zu bringen.

Bergbehörde berichtet

Im amtlichen Bericht der Bergbehörde war dann zu lesen: Sofort nach Bekanntwerden des Unglücks wurden die Untersuchungen über Ursache und Hergang des Unglücks aufgenommen. Am 16. April ereignete sich im Tagebaubetrieb der Braunkohlengrube Concordia bei Nachterstedt eine Kohlenstoßrutschung, durch welche acht Gefolgschaftsmitglieder, darunter der Betriebsführer und ein Steiger, verschüttet wurden. Bei den sofort unter Leitung der Bergbehörde aufgenommenen Bergungsarbeiten konnten einige Verschüttete in kurzer Frist freigelegt werden. Bei diesen waren die Wiederbelebungsversuche ergebnislos. Die übrigen Verschütteten konnten erst nach mehreren Stunden tot geborgen werden.

Die Rutschung ist am Ausgehenden des Kohlenvorkommens erfolgt, wo die liegende Tonschicht sich mit dem Kohlenflöz steil heraushebt. Sie ist darauf zurückzuführen, dass hinter der steil stehenden Kohlenwand eine nicht bekannte Wasseransammlung sich gebildet hat, die schlagartig die Rutschung bei dem tonigen Liegenden auslöste. Die Rutschung erfolgte so schnell, dass die in der Nähe an einem Löffelbagger arbeitenden Gefolgschaftsmitglieder sich nicht mehr rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten.

Rettungsarbeiten

Zu den Rettungsarbeiten schreibt die Behörde: Sofort nach Bekanntwerden des Unglücks setzten auch schon die Rettungsarbeiten ein. Die ersten Opfer konnten verhältnismäßig schnell geborgen werden. Die letzten Opfer wurden gegen 14.30 Uhr den immer noch nachdrückenden Schlammmassen entrissen. Direktor Kammerer und Direktor Lüder erschienen sofort an der Unfallstelle, an der sie bis zum Abschluss der Bergungsarbeiten die Oberaufsicht führten. Die Toten konnten erst nach außerordentlich schweren Räumungsarbeiten, die einen ganzen Tag dauerten, geborgen werden. Um die eingesetzten Rettungskolonnen vor neuer Gefahr zu bewahren, musste ein Riesenbagger, der durch sein Gewicht weitere Erdmassen nachzudrücken drohte, umgekippt werden.

Unglückshergang

Zum Hergang des Unglücks: Am Sonnabend ruhte die Kohlenförderung, und man benutzte diesen Tag, um einen Löffelbagger um das Gleis des Hauptbaggers zu führen. Zu dieser Arbeit waren eine ganze Anzahl Arbeiter erforderlich. Der Löffelbagger stand zwischen dem Gleis des Hauptbaggers und dem Kohlensatz. Plötzlich gegen 8.30 Uhr kam der Kohlensatz, anscheinend vom Grundwasser getrieben, in Bewegung. Der Obersteiger Weickart rief: "Alles zurück", aber leider war es zu spät. Die Arbeitskameraden, die dem Unglück zum Opfer fielen, sind keine Anfänger in ihrem Beruf gewesen, es handelte sich bei allen acht um alte und erfahrene Bergleute. Der ebenfalls ums Leben gekommene Obersteiger war ein vorsichtiger Mann, der bereits eine 25-jährige Dienstzeit hinter sich hatte.

Reporter vor Ort

Besuch an der Unglücksstätte, von dem nach Nachterstedt entsandten Berichterstatter: Während das Aprilwetter den blühenden Kirschbäumen in den Kelch schneit, während in den Städten die festlich gekleideten Menschen die Straßen füllen, ist kurz vor dem Feste in den Dörfern rings um den ehemaligen Aschersleber See der Osterfrieden, auf den sich die Menschen freuten, durchbrochen durch die unerbittliche Hand des Todes. Bis zum letzten Dorfhäuschen ist Trauerschmuck angelegt. Von den Werken der Grube "Concordia" aber wehen die Fahnen auf halbmast.

Abseits in den weitläufigen Werksanlagen steht die Werkschar vor einem schlichten Gebäude in trauriger Mission. Von Zeit zu Zeit treten aus dem Gebäude ganze Familien mit verweinten Augen heraus. Sie haben Abschied genommen von einem Lieben, der nicht mehr dieses Osterfest schauen durfte. Denn seit 24 Stunden liegen drinnen im Kameradschaftshaus acht brave Arbeitskameraden aufgebahrt. In trauriger Reihe stehen die acht Särge, geöffnet, an ihrer Spitze der mit dem Totenantlitz des Werkführers, Obersteiger Arthur Weickart. Auf seinem Totenbett liegen der Bergmannshelm mit der Feder und sein Degen. Dann folgen die anderen Kameraden.

Ein furchtbares Unglück hat gerade am Ostersonnabend ihrem Leben ein Ende gesetzt. Wir berichteten kurz darüber. Nun sitzen wir der Werksleitung gegenüber, um Einzelheiten über den Tod zu hören. Gegen Osten von der breiten Verkehrsstraße, die das Werk durchquert, zieht sich der zweite Tagebau der Grube Concordia. Man sieht die hohen Haldenwälle schon von weitem, wenn man sich Nachterstedt nähert. Während hier an der offenen Strecke im Braunkohlenwerk sonst nur Gruppen von drei bis vier Mann arbeiten, waren es an dem verhängnisvollen Ostersonnabend ihrer 15 mit dem erfahrenen Obersteiger Weickart an der Spitze. Es sollte ein Löffelbagger versetzt werden. Eben war die Frühschicht angetreten, als plötzlich der Ruf des Obersteigers über das Gelände gellte: "Alles laufen!" Der Berg war in Bewegung geraten, nur eine kleine Stelle auf dem zwei Kilometer langen Tagebau, aber gerade sie brachte das Verhängnis. Auf den Warnruf ergriff alles die schleunigste Flucht. Sieben Kameraden kamen noch in Sicherheit, acht blieben auf dem Arbeitsfelde, voran der Obersteiger, der den Warnruf ausstieß, als er die Gefahr erkannte. Mit unheimlicher Gewalt kam der Berg herab. Die amtliche Untersuchungskommission hat in ihrem Bericht einwandfrei festgestellt, dass die Ursache außerhalb menschlicher Voraussicht und betrieblicher Sicherung lag. In dem tückischen Berg hatte sich ein bisher unsichtbares Wasserbecken verborgen, von dem niemand etwas wusste, da keinerlei Anzeichen dafür vorhanden waren.

Diese Wasseransammlung ist losgebrochen und hat den Tod um sich verbreitet. Noch nach vielen Stunden stürzte der frische Bruch nach. Sofort nach dem Unglück setzte die Rettung ein. Während die Werkschar den weiten Tagebau vor den herbeiströmenden Menschen sichert, begann der Rettungsdienst der Grube sein Werk. Wenige Minuten nach dem Beginn des Rettungswerkes waren die beiden ersten Männer geborgen. Die Ärzte begannen mit Wiederbelebungsversuchen. Leider war alles vergeblich, die Bergmassen haben ihr Werk des Todes augenblicklich vollbracht. Nachdem die beiden Ersten nicht mehr lebend geborgen werden konnten, war auch nicht mehr damit zu rechnen, dass von den acht Arbeitskameraden noch einer am Leben sein würde. Dann vergingen etliche Stunden, bis weitere geborgen werden konnten. Nach über sechs Stunden Rettungswerk, das unter den größten Gefahren durchgeführt werden musste, da der Berg immer noch in Bewegung war, war auch die Leiche des letzten Kameraden über Tage.

Im schnell hergerichteten Kameradschaftsraum wurden die Toten aufgebahrt. Es sind folgende Arbeitskameraden: 1. Obersteiger Arthur Weickart, Nachterstedt, 2. Steiger Fritz Aschen, Nachterstedt, 3. Baggerführer Friedrich Brink, Hoym, 4. Arbeiter Wilhelm Stegmann III, Hoym, 5. Arbeiter Gottfried Rumpf, Hoym, 6. Arbeiter Hermann Bethmann, Gatersleben, 7. Arbeiter Wilhelm Stegmann I, Gatersleben, 8. Arbeiter Erich Siebert, Frose. Am dritten Ostertag wird in dem Riesenwerk, das auch über Ostern arbeitete, um ein Uhr mittags völlige Ruhe einkehren. In der Hauptwerkstatt ist dann alles geschmückt zur letzten Ehrung.