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Grafikstiftung Neo Rauch in Aschersleben Grafikstiftung Neo Rauch in Aschersleben: Vier Filme und ein Glücksfall

Von Marianne Bothe 14.03.2017, 08:45
Hauptdarstellerin Martina Gedeck (2.v.r.) und Markus Imboden vor der Aufführung „Hunger auf Leben“
Hauptdarstellerin Martina Gedeck (2.v.r.) und Markus Imboden vor der Aufführung „Hunger auf Leben“ Frank Gehrmann

Aschersleben - Mit dem Moment, da Martina Gedeck in Großaufnahme ihre tiefgründigen Augen aufschlägt, beginnt der Film. „Hunger auf Leben“ zeichnet das kurze, getriebene Dasein der Schriftstellerin Brigitte Reimann zwischen 1951 in Burg und ihrem Tod 1973 in Ost-Berlin nach und wirkt zweifelsfrei als der Publikumsmagnet.

Denn auch Hauptdarstellerin Martina Gedeck und Markus Imboden, der Regisseur des Films aus 2004 und zugleich ihr Lebensbegleiter, gehören als Gäste und Gesprächspartner zum Programm von „Kino trifft Kunst - Kunst trifft Kino“.

Damit präsentiert die Grafikstiftung Neo Rauch vom Freitag bis Sonntag insgesamt vier deutsche Filme und stellt sie in den Raum und die Zeit um die laufende Ausstellung von Rauch, Vater und Sohn. Und zur öffentlichen Diskussion.

„Die Chefin vom MDR fand ihn damals doof“

„Ich habe den Film heute gern gesehen. Die Chefin vom MDR fand ihn damals doof“, erinnert sich Imboden an die offenbar nicht ganz reibungsfreie Produktion im Auftrag des Senders. „Die fand mich vor allem doof“, wirft die Gedeck ganz unprätentiös ein.

Und erzählt, wie sie sich der leidenschaftlichen und unangepassten jungen Frau in der DDR näherte, ihre Bücher las und auch mit ihrem Bruder und der besten Freundin Stunden und Tage zubrachte.

Der Bruder hätte ihr später versichert, genau so sei Brigitte Reimann gewesen, so hungrig auf Leben. Und zumindest für die Hauptrolle im Film gab es den Deutschen Fernsehpreis. Jahre danach, am späten Sonnabendnachmittag, noch großen Beifall in der Grafikstiftung von den etwa hundert vorab ausverkauften Stühlen. Kunst kann gefallen. Oder auch nicht.

Es gibt solche Zufälle, die sollte man eigentlich inszenieren: Ein einflussreicher Produzent, der Filme lebt und liebt, besucht weitab von der Heimat eine Kunstausstellung, die Art Basel in Miami, Florida. Und trifft auf eine Galeristin, die geschickt Künstler und Kunstliebhaber zusammenbringt. Ziemlich genau zwei Jahre und viele Einstellungen danach profitiert Aschersleben von dieser beinahe schicksalhaften Begegnung.

Vorbild war Filmreihe im Kunstmuseum Ahrenshoop

„Filme muss man aufführen, ansonsten wären sie verschwunden“, begründet Joachim von Vietinghoff seine Grundüberzeugung und begeistert sich über das neu aufgeschlossene Spannungsfeld zu den 1950er und 60er Jahren in der DDR und zur speziellen Vater-Sohn-Schicksalsthematik. Von Vietinghoff ist der besagte Filmproduzent. Er hatte vor Jahren eine ähnliche Filmreihe für das neu gebaute Kunstmuseum Ahrenshoop entwickelt. Teil eins der Vorgeschichte. Und Cut.

Neue Szene: „Ich schlendere da so durch die riesige Ausstellung und lese Berlin. Bleibe stehen, ich komme schließlich auch aus Berlin und dann ins Gespräch“, beschreibt von Vietinghoff seine erste Begegnung mit Kerstin Wahala und Teil zwei der Zufallsgeschichte. Denn seine aufgeschlossene Gesprächspartnerin ist jene Galeristin von „Eigen + Art“, die international Künstler vermarktet.

Neo Rauch ist einer von ihnen. Wahala hat auch den Vorstandsvorsitz bei der Grafk Stiftung in Aschersleben inne. Aus dieser gemeinsamen Arbeit kennt sie Ernst-Karl vom Boeckel. Und sie kennt von Vietinghoffs Filmaktion aus Ahrenshoop. Eine Häufung zufälliger Berührungen, die nach dem direkten Vortasten des Filmemachers in der Grafik Stiftung und im Grauen Hof und dem gegenseitigen Kennen- und Schätzenlernen im Projekt endete. Die Kunststiftung Sachsen-Anhalt zeigte sich davon überzeugt, dass sie es finanziell förderte.

Einführungen und Erklärungen

Vier Filme hatten von Vietinghoff und Hans Helmut Prinzler, ein renommierter Filmhistoriker und Publizist, für Aschersleben ausgewählt. Neo Rauch war zeitweise in der Stadt, der OB natürlich und etliche Freunde aus dem Berliner und Leipziger Dunstkreis. Interessierte Aschersleber auch. Sie sehen die Filme abwechselnd in der Grafikstiftung selbst und simultan in drei Räumen des Grauen Hofs. Jedes Mal gibt es Einführungen und erklärende Worte der beiden Cineasten. Am abschließenden Sonntag laufen alle Filme hintereinander im Museum.

„Auge in Auge – Eine deutsche Filmgeschichte“ aus dem Jahr 2006/07 nimmt die Zuschauer mit auf eine dokumentarische Reise in die deutsche Filmgeschichte, indem zehn prominente heutige Filmmenschen ihre Lieblingsfilme und Sequenzen daraus vorstellen. „Verlorene Landschaft – Eine deutsche Erinnerung“ (1992) befasst sich mit der deutschen Teilung und dem Vater-Sohn-Thema. Bei „Hunger auf Leben“ werden die Betrachter mit einem poetischen Zeitgemälde zurückversetzt in die Zeit und die Gegend, in der Neo Rauchs Eltern lebten.

„Fräulein Schmetterling“ schließlich ist genaugenommen kein fertiger Film, weil er schon zur Drehzeit 1965 auf den Index kam. Die Geschichte in schwarz-weiss vom Selbstfindungsprozess zweier Schwestern, die ihre Eltern verloren und von Vater Staat ins Leben geleitet werden, verschwand aus politischen Gründen in den Archiven. 2005 wurde das unfertige Material von der DEFA-Stiftung rekonstruiert, montiert und in Berlin erstmals aufgeführt.

„Das ist für mich das eigentliche Schätzchen“, freut sich Filmproduzent von Vietinghoff über das außergewöhnliche Erlebnis in Aschersleben. (mz)

Die Grafik Stiftung wurde kurzerhand in einen Kinosaal verwandelt.  Hier  wurden am Wochenende vier Filme gezeigt.
Die Grafik Stiftung wurde kurzerhand in einen Kinosaal verwandelt.  Hier  wurden am Wochenende vier Filme gezeigt.
Frank Gehrmann