Psychologie der Angst Gisela Oechelhaeuser: Kabarettistin tritt im Bestehornhaus in Aschersleben auf

Aschersleben - „Ich finde Gisela Oechelhaeuser spitze“, sagt Regina Koblischke in der Pause. Sie habe die Kabarettistin noch nie live, sondern bisher immer nur im TV gesehen. „Deshalb wollte ich auch unbedingt hierher“, begründet sie am Sonnabendabend ihren Besuch im Bestehornhaus, wo das Urgestein des politischen Kabaretts ihr nach eigenem Bekunden letztes großes Soloprogramm - „Selber schuld“ auf die Bühne bringt. Die Texte stammen wiederum aus der Feder des Autors Philipp Schaller, mit dem sie nicht nur eine jahrelange Zusammenarbeit, sondern auch eine private Freundschaft verbindet.
Intelligent, bissig und wortgewaltig wie man sie kennt, packt sie auch diesmal heikle Themen an. Ob Kampfdrohnen, Flüchtlingsdrama auf dem Mittelmeer, irrwitziger Sprachgebrauch, Psychologie der Angst oder Umgang der Gesellschaft mit dem Alter - Frau Oechelhaeuser holt zum Rundumschlag aus. Leichte Kost ist es nicht, die die 72-Jährige serviert. Doch das erwartet auch niemand von ihr. Ihre Programme fordern das Publikum, das mitdenken soll und möchte.
Brüllend komisch ist es dennoch, wenn sie laut darüber nachdenkt, sich künftig ins Heer der Best-Ager auf einem Kreuzfahrtschiff einzureihen, um es sich so richtig gutgehen zu lassen. Inklusive Fettabsaugung to go. Einer Masse, die sich bei 3000 Passagieren nicht in Gramm und Kilogramm, sondern in Bruttoregistertonnen bemisst. Oder wenn sie darüber nachsinnt, wie es wäre, in ihrem Alter noch einmal Mutter zu werden. Vorausgesetzt, sie hätte sich rechtzeitig „ihre Eier einfrieren lassen“.
Wenn Gisela Oechelhaeuser quasi aus der Hüfte Seitenhiebe austeilt in Richtung vermeintlicher Verteidiger der abendländischen Kultur, die sonntags im gutbürgerlichen Restaurant namens „Burger King“ einkehren und italienische Kirchen in Badehosen und Flipflops besuchen, dann ist das einfach großes Kino. Entschuldigung: großes Kabarett.
Die Fremdenangst, so vermutet sie, sei wohl angeboren. Aber andere Ängste hätten wir ja auch im Griff, denkt sie zum Beispiel an die Angst fast aller Männer, „das Klo sauber zu machen. Trotzdem zünden sie keine Toiletten an.“ Sie selbst habe Angst vor Spinnen und gehe trotzdem nicht mit Transparenten in den Wald. Überdies seien Kriegs- und Hungeropfer ja sowieso ein „Fliegendreck gegen die Nöte und Ängste deutscher Mütter“.
Wenn deren überausgerüstete Sprösslinge zu ertrinken drohen, weil sie knöcheltief im Bach stehen (der auch noch Spuren von Erdnüssen enthalten könnte), fordern diese Helikoptermütter: „Sofort den Bach abstellen!“ Zum Schluss schlüpft Gisela Oechelhaeuser doch noch in eine ihrer Fremd-Rollen und erklärt als zahnlose 99-Jährige das Wesen des Kapitalismus mit Hilfe von „haben“ und „brauchen“. Dies gipfelt in der Erkenntnis, wie sie dem „Scheiß Kapitalismus“ einen gehörigen Schrecken einjagen könnte: „Ich stelle mich vors Kaufhaus und rufe rein: Ich brauche nichts!“ (mz)