Gewalt Gewalt : Wenn ein Kind sterben will

Aschersleben - Am Ende liegt ein großes Blatt auf dem Boden der Ascherslebener Wema-Sporthalle, übersät mit bunten Unterschriften. „Stoppt Mobbing“ ist die Aufforderung, hinter die sich viele der Schüler der Berufsbildenden Schulen (BbS) in Aschersleben mit ihrer Unterschrift stellen.
Vorausgegangen sind Lebensbeichten, die eine Gänsehaut machen. Carsten Stahl, bekannt aus der RTL-2-Serie „Privatdetektive im Einsatz“, wurde als Kind selbst jahrelang getreten, misshandelt, beleidigt - sogar um sein Leben musste er betteln und wollte am Ende sterben. Da war er zehn.
Sohn mit blutiger Nase
Als dann sein kleiner Sohn - gerade fünfeinhalb Jahre alt - am zweiten Schultag mit blutiger Nase und aufgeschlagener Lippe nach Hause kommt, wird das für ihn zum Schlüsselerlebnis. Stahl, der muskelbepackte Privatdetektiv und Personenschützer, der im Fernsehen in 300 Sendungen für das Gute kämpft und den Begriff „Zuuugriff“ wohl auch berühmt gemacht hat, hängt seinen gutbezahlten Job an den Nagel und startet eine Anti-Mobbing-Kampagne.
Für die macht er sich nun auch in Aschersleben stark. „Ich kämpfe gegen Mobbing, weil es mir passiert ist, meinem Sohn und jeden Tag tausenden Kindern passiert“, begründet er das.
36 Millionen Fällen von Mobbing, Gewalt und Hass
„Wegen Mobbings nimmt sich jeden zweiten Tag ein Teenager in Deutschland das Leben - aus Verzweiflung, weil er nicht akzeptiert wird, wie er ist“, sagt der 46-Jährige und weiß, dass es auch schon Auslöser für drei Amokläufe war.
Doch 50 Prozent der Schulleiter würden weiter behaupten, dass es an ihrer Schule so etwas nicht gebe - und ihre Schüler weiter leiden lassen. Stahl spricht von rund 36 Millionen Fällen von Mobbing, Gewalt und Hass im Jahr. „Das fängt schon im Kindergarten an, ist überall und allgegenwärtig.“
Sogar Lehrer schauen weg
Doch noch immer würden viel zu viele wegschauen - Mitschüler, sogar Lehrer. Deshalb möchte Stahl mit seiner Bekanntheit und seiner Kampagne - mit der er bereits 37 000 Schüler erreichen konnte - sensibilisieren. Kraftvoll agierend, aufrüttelnd, dann wieder emotional und berührend erzählt er von gequälten Kindern, von ganz persönlichen Schicksalen. „Vielleicht kann ich ja dem einen oder anderen die Augen öffnen.“
Mobbing, sagt der zweifache Vater, habe nämlich viele Gesichter. Dazu zählen Beleidigungen, Lästern, Schlagen, Sachen wegnehmen, Auslachen. Gemobbt, das ergibt eine Frage von Stahl, wurde der Großteil der anwesenden Schüler selbst schon einmal. Aber, und auch das erfährt der Berliner, fast alle waren auch schon Täter und viele haben weggeschaut.
"Wir sehen uns in der Pflicht, etwas zu tun"
Doch die jungen Leute bekennen sich dazu: Ihren Kindern soll so etwas später nicht passieren. Sie greifen zum Stift, um das Stoppt-Mobbing-Schild zu unterzeichnen. „Es gibt viele Arten von Mobbing“, sagt Liane Wiele, die stellvertretende Schulleiterin der BbS, die mit offenen Augen und Ohren durch das Schulhaus gehe.
„Wir sind eine große Berufsschule und haben Schüler aller Couleur“, sagt sie. „Und da sehen wir uns in der Pflicht, etwas zu tun, für das Miteinander, das Mitmenschliche - um die jungen Leute ein Stück weit zu begleiten.“
„Wir stellen uns dem ernsthaft“
Das Bundesprogramm „Demokratie leben“ passt da ganz genau. „Der Bedarf ist sehr groß“, sagt Koordinatorin Luisa Liebefinke und weiß: Das Pilotprojekt mit Carsten Stahl komme unheimlich gut an. „Da gab es schon erstaunliche Reaktionen.“
Für Matthias Bärmann, den Fachbereichsleiter Sozialkunde, ist das ein Mosaikstein von vielen. „Gewalt, sexuelle Belästigung - wir stellen uns dem ernsthaft“, sagt er. So gebe es an der Schule auch schon ein Krisenteam, das den Schülern in solchen Fällen zur Verfügung stehe. Und eine Sozialarbeiterin. „Die Lehrer sind sensibilisiert, damit keiner wegschaut.“ Anders als bei Carsten Stahl, der als Zehnjähriger keine Hilfe hatte. (mz)