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Durch grünen Tunnel im Apothekergraben

Von Kerstin Beier 04.09.2007, 16:12

Aschersleben/MZ. - Ungefähr einmal im Monat wirft sich Stadtführer Jürgen Kuhn einen grauen Umhang um, setzt einen spitzen Filzhut auf den Kopf, schnappt seine Laterne und bricht auf - zu einem Nachtwächterrundgang durch Aschersleben. Das macht ihm einen "Riesenspaß", meint er. Und besonders schön sei es in der Vorweihnachtszeit, wenn es aus den Fenstern heimelig leuchtet und "alles so festlich aussieht". Seine Frau bezeichnet den 45-Jährigen manchmal als hoffnungslosen Romantiker, berichtet er lächelnd.

Romantik und Natur - diese beiden Dinge liegen für Stadtführer Jürgen Kuhn dicht beieinander. Deshalb gefällt dem vor sieben Jahren nach Aschersleben Gezogenen besonders gut, "dass die Stadt so grün ist". Es sei die ländliche Atmosphäre, die ihm den Umzug hierher erleichtert habe, denn "ich komme vom Dorf". Genauer gesagt aus Braunschwende. Seine Frau, gebürtige Ascherslebenerin, hat hier Arbeit gefunden, und so zog die Familie an die Eine. Aschersleben mit seinen Geschichten und Legenden kannte er bis zu einem Stadtführerlehrgang, den er 2002 besuchte und mit einer Prüfung abschloss, nur vom Hörensagen.

Die Liebe zur Natur ist es wohl auch, die ihn oft in den Apothekergraben führt. "Die gewaltigen Bäume links und rechts, da ist es, als würde man durch einen Tunnel gehen." Die Leute würden achtlos an vielen Pflanzen wie Huflattich oder Schafgarbe vorbeilaufen, die einst von den Apothekern der Stadt angepflanzt worden sind und die "ein wahrer Fundus für die Gesundheit" gewesen sein dürften.

Gern verweilt er an der Korkeiche, die seines Wissens nach Anfang des 20. Jahrhunderts hier angepflanzt wurde und offensichtlich prächtig gedeiht. Mancher spricht dem Baum heilende Kräfte zu, und auch wenn hier nur der Wunsch Vater des Gedankens sein sollte, so tut es Jürgen Kuhn doch gut, die trockene, warme Rinde zu berühren und die Gedanken schweifen zu lassen. Ein paar Meter weiter öffnet sich die Promenade und gibt den Blick frei über die Dächer hinweg zum allgegenwärtigen Turm der Stephanikirche. Jürgen Kuhn schaut in die Ferne und sagt: "Hier ist man vom Stress weit weg." Manchmal ist er, der seit einigen Jahren arbeitslos ist, traurig darüber, dass er mit Mitte 40 beruflich schon keine Chance mehr haben soll.

Im Moment hat er einen Ein-Euro-Job im Museum, "und die Arbeit dort macht mir großen Spaß". Trotzdem: Es fehlt einfach am Einkommen, "aber wenn ich hier bin, die Vögel zwitschern höre und mich an der Natur freuen kann, dann weiß ich, dass das Leben doch sehr schön ist", schwärmt er.

Von den 15 Türmen, die das Stadtzentrum wie ein Kranz umgeben, mag er am liebsten den Rabenturm, einst tatsächlich Raststätte der finanziell sehr schlecht gestellten Nachtwächter.

Die Stufen in windige Höhen sind schnell erklommen, und von hier aus kann man die Veränderungen in der Stadt am besten wahrnehmen. "Immer mehr Dächer werden rot", hat Jürgen Kuhn festgestellt. Und wenn er in Richtung Freckleben, Arnstedt oder Westdorf schaut, dann kann er sich vorstellen, wie Udo von Freckleben angeritten kommt, um die Stadt anzugreifen. Einmal bei einer Führung, so berichtet er, habe ein Kind tatsächlich einen Reiter gesehen, aber es handelte sich lediglich um einen Pferdesportler beim Ausritt durch die Freckleber Flur.