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Schützen- und Heimatfest Bewegte Geschichte: Königsauer Schützen feiern ihren 200. Geburtstag

Am letzten Juni-Wochenende wird beim Schützen- und Heimatfest in Neu Königsaue mit den Vereinen des Kreisschützenbundes Quedlinburg gefeiert. Die 30 Vereinsmitglieder blicken auf eine bewegte Vergangenheit zurück.

Von Detlef Anders 14.06.2024, 12:15
Schützenvereinschef Lutz Jentsch zeigt an dem Bild des Schützenhauses von 1834, was 1891 umgebaut wurde.
Schützenvereinschef Lutz Jentsch zeigt an dem Bild des Schützenhauses von 1834, was 1891 umgebaut wurde. (Foto: Frank Gehrmann)

Die Gewehre geschultert und in Uniformen marschieren Männer im Gleichschritt und mit strengem Blick zum Fotografen auf einer Straße entlang. In ihrer Mitte ein stolzer Fahnenträger. Das ist eines der Fotos, die heute im Schützenhaus in Neu Königsaue hängen. Aufgenommen wurden sie im alten Königsaue, das der Braunkohle gewichen ist. Der Schützenverein von Neu Königsaue feiert vom 28. bis 30. Juni sein 200-jähriges Bestehen.

Als der Königsauer Schützenverein 1924 sein 100-jähriges Bestehen feierte, stellten sich diese 85 Herren zum Vereinsfoto auf.
Als der Königsauer Schützenverein 1924 sein 100-jähriges Bestehen feierte, stellten sich diese 85 Herren zum Vereinsfoto auf.
(Repro: Frank Gehrmann)

Bereits vor ein paar Tagen gab es eine Festveranstaltung für geladene Gäste. Ende Juni wird nun groß gefeiert. Beim Schützen- und Heimatfest werden Schützenvereine aus dem gesamten Gebiet des Kreisschützenbundes Quedlinburg, zu dem die Neu Königsauer seit Anfang der 2003 gehören, erwartet.

Jubiläum ist ein Meilenstein

Vereinschef Lutz Jentsch freut sich schon darauf. „Nicht vielen Vereinsvorsitzenden ist es vergönnt, ein Jahrhundert-Jubiläum zu erleben, zu organisieren und zu feiern“, hatte er schon bei der Festveranstaltung Ende April gesagt. Für ihn und seine Schützenbrüder und -schwestern ist solch ein Jubiläum ein Meilenstein der Vereinszugehörigkeit. Viele Vereine im Harz sind älter als 200 Jahre, weiß Jentsch. Aber er weist auch darauf hin, dass das damalige Königsaue erst 71 Jahre alt war, als sich 1824 der Schützenverein gründete.

In vielen Städten und Orten war es damals üblich, dass sich Männer zusammenfanden, die mit der Waffe in der Hand alte preußische Militärtraditionen weiterführen wollten, weiß Jentsch. Die Vereine sollten mit dazu beitragen, auch in den kleinsten Dörfern das Zusammenleben der Bewohner zu fördern. Jahreshöhepunkt waren die Schützenfeste, erinnert er.

Nach der Zeit des Nationalsozialismus und Sozialismus, als das traditionelle Schützenwesen wenig Beachtung fand und gar verboten war, setzten sich ab 1990 im wiedervereinigten Deutschland wieder Menschen für den Erhalt und den Fortbestand des Vereins ein.

Rainer Ripala überreicht 2009 der Schützenkorporation Neu Königsaue ihre alte Vereinsfahne, die lange Zeit im Museum lagerte.
Rainer Ripala überreicht 2009 der Schützenkorporation Neu Königsaue ihre alte Vereinsfahne, die lange Zeit im Museum lagerte.
(Foto: Frank Gehrmann/Archiv)

Mitgliederlisten und Schützenkönige

Lutz Jentsch kann auf eine Vereinsakte verweisen, die 1824 angelegt und bis 1837 geführt wurde. Sie sei 1965 im Zuge der Ortsverlagerung auf dem Grundstück von Karl Dankworth gefunden worden, berichtet der Vereinschef. Darin ist nachzulesen, dass das Schützenhaus 1834 errichtet wurde. Mitgliederlisten, Namen der Schützenkönige, die Zusammensetzung der Vorstände und Rechnungen finden sich hier. Hauptsächlich Kaufleute und Bauern waren im Verein, die obere Schicht des Dorfes, weiß Lutz Jentsch.

Nach der Gründung 1824 führten die Herren Bornhardt den Verein an. Ein Philipp Bornhardt war 1832 bereits einer der ersten Schützenkönige. Auch sei es ein Bornhardt gewesen, der 1863 die neuen Statuten unterzeichnete, so Jentsch. Von diesem seien auch 1862 die Korporationsrechte beantragt worden, die die königliche Regierung dann erteilte. Nachdem das Schützenhaus 1891 umgebaut wurde, übernahmen Herren aus der Königsauer Familie Haedecke die Spitze des Schützenvereins. Diese erlebten auch das vorläufige Ende des Vereins 1945 mit.

Dokumentiert ist auch die Feier zum 100-jährigen Bestehen der Königsauer Schützenkorporation. 1924 war die Weihe der vom Major Julius Haedecke gestifteten Vereinsfahne Höhepunkt. 85 aktive Mitglieder lassen sich auf dem Jubiläumsfoto nachzählen.

1920er und 1930er Jahre waren Blütezeit

Die 1920er und 1930er Jahre sieht Jentsch als Blütezeit des Vereins an. Allerdings wurde 1939 das letzte Schützenfest durchgeführt. Jentsch erwähnt seinen Großvater Julius Baumann, der 1938 Schützenkönig war. Anschließend wurden diese Schützen- in Heimatfeste umbenannt. Die Schützen hätten sich unfreiwillig zurückgezogen, bevor der Zweite Weltkrieg ausbrach, weiß Jentsch. Weil die Schützenvereine nach dem Krieg von den sowjetischen Besatzern als militärische Organisationen angesehen wurden, seien sie verboten worden. Das Schützenhaus ging in Gemeinde-Trägerschaft.

Der Schützenumzug von 2019 in Neu Königsaue.
Der Schützenumzug von 2019 in Neu Königsaue.
(Foto: Frank Gehrmann/Archiv)

Die Familie Haedecke sei im Zuge der Bodenreform enteignet und des Kreises verwiesen worden, erklärt Lutz Jentsch. Die Vereinsfahne habe damals ohne jeglichen Schutz in dem mit Flüchtlingen bewohnten Haus gestanden. Dass es die Fahne noch gibt, sei dem Lehrer Gerhard Krämer zu verdanken, weiß der Vereinschef. Der habe eine legale Lösung gefunden. „Statt die Fahne den Besatzern zu übergeben, übergab er sie dem Stadtmuseum in Aschersleben.“

Allerdings könne niemand sagen, wo die alte Königskette geblieben sei. Bei der Ortsverlagerung zwischen 1964 und 1968, als die Königsauer Häuser und Höfe verlassen mussten, seien auch letzte Erinnerungsstücke wie Uniformen und Zubehör oder alte Dokumente, die der heutigen Generation Einblicke in die vergangenen Zeiten ermöglicht hätten, verloren gegangen. Damals ahnte niemand, dass es eines Tages wieder Schützenvereine geben würde.

Illegale Königsschießen

Das erste Heimatfest in Neu Königsaue wurde 1974 von LPG-Mitgliedern organisiert. Damals erinnerten sich auch einige ältere Einwohner daran, dass der Verein das 150-jährige Bestehen hätte feiern können. „Es wurde ein illegales Königsschießen organisiert. Der Schießwagen war regelrecht belagert“, berichtet Lutz Jentsch. Damals wurde Richard Baumann, bis 1945 noch Schützenvereinsmitglied, bester Schütze. Er habe sich vielleicht einen geheimen Wunsch erfüllt, als illegaler Schützenkönig in die Geschichte des Königsauer Schützenwesens einzugehen, überlegt der Vereinschef. Zum letzten der illegalen DDR-Schützenkönige wurde 1989 Erhard Hartmann gekrönt.

1990 gründeten sich viele Schützenvereine wieder. Die alte LPG, die alles im Dorf finanziert hatte, gab es in der Form aber nicht mehr. Das Dorf Neu Königsaue stand als eigenständige Gemeinde ziemlich mittellos da, weiß der Vereinschef. Erst im Frühjahr 1994 habe der damalige erste frei gewählte Bürgermeister Erhard Hoffmann ein Treffen im Ort organisiert, um wieder ein Heimatfest zu organisieren und zu finanzieren. Ergebnis war, dass die Gründung eines Schützenvereins vorangetrieben wurde.

Am 31. März 1994 gründeten 19 Männer und eine Frau den Schützenverein neu. Neben Jentsch sind Ortwin Hoffmann, Bernd Linow, Thomas Koschnick und Jens Weidl seit 30 Jahren dabei. Erster Vorsitzender wurde Heiko Wurk, der ein Jahr später von Jentsch bereits abgelöst wurde. Frank Czok wurde beim KK-Schießen in Ballenstedt 1994 erster Schützenkönig. 1995 wurde eine neue Fahne geweiht. Sie ist neben den drei alten Fahnen – die älteste ist die von 1874 – die vierte Fahne in der Vereinsgeschichte. Richard Baumann, der die Fahne großzügig gestiftet hatte, wurde später Ehrenmitglied und Ehrenvorsitzender.

Zu Beginn alles etwas provisorisch

Den ersten Luftdruck-Schießstand gab es 1995. „Es war alles doch etwas primitiv und provisorisch“, erinnert sich Jentsch. Nach dem 175-jährigen Vereinsjubiläum 1999 begann ein Jahr später der Umbau des halben LPG-Werkstattgebäudes zum neuen Vereinshaus. Mit Unterstützung des Landessportbundes bauten ihn die Vereinsmitglieder bis 2002 komplett in Eigenleistung, hebt Jentsch hervor.

Die Neu Königsauer wechselten 2003 vom Kreisschützenverband Aschersleben/Staßfurt zum Kreisschützenbund Quedlinburg. Als 2015 „50 Jahre Neu Königsaue“ organisiert und gefeiert wurde, waren die Schützen maßgeblich an der Organisation beteiligt. 30 Mitglieder, darunter sind acht Frauen, hat der Schützenverein heute.

Neu Königsaue kann auch sportliche Erfolge mit Kreismeistertiteln, einem Kreis-Schützenkönig und einem Landesmeister Luftgewehr Auflage sowie einem Kreis-Jugendschützenkönig vorweisen. „Wir möchten auch weiterhin unserem Schießsport, ob aus Spaß oder ergebnisorientiert, nachgehen können“, hatte Lutz Jentsch schon in der Festveranstaltung gesagt und an die Politik appelliert, den Sport nicht weiter einzuschränken oder zu behindern. Etwas Nachwuchs könnte auch guttun.

Das Vereinsleben wird übrigens sehr hoch gehalten. Bei Festen oder runden Geburtstagsfeiern kann sogar auf Kostüme zurückgegriffen werden.