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Besondere Weihnachtstradition in Aschersleben Besondere Weihnachtstradition in Aschersleben: Diese Familien sind die Stollen-Tester

Von Marko Jeschor 26.12.2014, 17:24
Ingrid Lampadius packte acht Stollen aus und bereitete sie vor. Danach wird das Gebäck in weihnachtlicher Atmosphäre einer eingehenden Prüfung unterzogen.
Ingrid Lampadius packte acht Stollen aus und bereitete sie vor. Danach wird das Gebäck in weihnachtlicher Atmosphäre einer eingehenden Prüfung unterzogen. Frank Gehrmann Lizenz

Aschersleben - Mit dem ersten Blick fällt schon ein erstes Urteil: Das Stück Nummer acht ist eine Flüsterstolle. Das bedeutet: Dieses weihnachtliche Gebäck wurde von einem Meister mit besonders vielen Rosinen gebacken. Das wiederum wird Matthias Stier bei seiner späteren Benotung entsprechend berücksichtigen.

Zunächst heißt es aber anfassen: Ist der Teig schön feucht? Der Rentner weiß: Je dunkler der Teig, desto länger wurde die Stolle gebacken. Danach geht Matthias Stier mit seinem Gesicht ganz dicht an das Gebäck heran: Er könnte den Puderzucker jetzt förmlich durch die Nase ziehen. Tut er aber nicht. Der 63-Jährige lässt die Aromen intensiv auf sich wirken. Danach prüft er den Geschmack. Bestätigen sich die ersten, sehr guten Eindrücke?

Acht Stollen kommen auf den Tisch

Matthias Stier weiß mittlerweile, welche Kriterien eine gute Weihnachtsstolle erfüllen muss. Der Ascherslebener hat in den vergangenen Jahrzehnten sozusagen ein ausgezeichnetes Näschen dafür entwickelt. Während es in anderen Familien zu Heiligabend gute Tradition ist, etwa in die Kirche zu gehen, bewertet der Rentner gemeinsam mit seiner Familie und den Nachbarn der Familie Lampadius verschiedene Weihnachtsstollen.

Insgesamt acht Stollen - zumeist aus seiner sächsischen Heimat - liegen diesmal für die sechsköpfige Jury auf dem weihnachtlich geschmückten Tisch im Wohnzimmer bereit. Alle geladenen Experten gehen nach dem gleichen Schema vor. Sehen, fühlen, riechen und schmecken - für all diese Kriterien werden ähnlich wie bei einer Bewertung durch die Handwerksinnung Noten verteilt. Der Stollen mit dem besten Durchschnitt gewinnt. Bevor Wolfram Stier das Urteil verkündet, weiß Angelika Lampadius: „Wirklich schlecht war diesmal keine.“

Seit etwa 30 Jahren treffen sich die Familien Stier und Lampadius schon zu Weihnachten, um gemeinsam Stollen zu verkosten. Dabei gab es schon die ulkigsten Begebenheiten: Demnach nahmen auch bereits Gäste aus China an der Verkostung teil. „Weil sie es besonders vornehm machen wollten, aßen sie die Stollen mit Messer und Gabel“, erinnert sich Matthias Stier.

Ingrid Lampadius erinnert sich noch an eine Stolle, die in ihrem Vorratsraum verschwand und erst ein Jahr später wieder auftauchte. Das gute Stück wurde trotzdem probiert - mit überraschendem Ergebnis: „Die Butter war nicht mal ranzig.“ Die Stolle belegte immerhin noch einen der vorderen Plätze. Almut Stier wusste über eine Stolle zu berichten, die nicht aus Meisterhand, sondern aus dem Tiefkühlfach eines Supermarktes stammte. Auch das Gebäck schnitt bei dem Test ordentlicher ab als erwartet.

Stollen am ersten Weihnachtsfeiertag zu verkosten, ist übrigens „ganz schöner Wahnsinn“, wie Ingrid Lampadius findet. Denn mittags gab es Ente, „die fast so groß war wie eine Gans“. Deswegen nahmen sich die Tester am Abend meist nicht ein ganzes Stück Stolle, sondern nur einen kleinen Teil. Gereicht wurde dazu übrigens nicht etwa Wasser, sondern Kräutertee und Kaffee. Bevor die Verkostung begann, trug Angelika Lampadius noch ein passendes Gedicht vor. Gekauft werden die Stollen meist von Wolfram Stier, wenn er zu Besuch bei Onkel und Tante in Sachsen ist. (mje)

Es ist eine Tradition, die vor Jahrzehnten zu Zeiten der Mangelwirtschaft in der DDR entstanden ist. Früher, so berichtet der 63-Jährige, wurden in seiner Heimat, dem Erzgebirge, das ganze Jahr über Rosinen und Mandeln gesammelt. Vor Weihnachten schaffte man dann alle Zutaten in Eimern zu Bäckern, die wiederum daraus einen Stollen machten. Das fertige Produkt erhielt eine Kennung, anhand der man nachvollziehen konnte, welche Stolle zu wem gehörte. Anschließend wurden sie innerhalb der Familien getestet. Ähnlich verlief das auch im Raum Dresden, erklärt Ingrid Lampadius. Insofern sei das Treffen der beiden Familien zu Weihnachten immer auch mit einer gemeinsamen Vergangenheit in Sachsen verbunden, die man auch in Aschersleben aufleben lassen wolle.

So unterschiedlich die Geschmäcker normalerweise auch sein mögen, bei der Bewertung der aktuellen Stollen sind sich alle relativ einig, wobei es diesmal sogar zwei Gewinner gab. Die Brot- und Feinbäckerei Klaus Höhme aus Tharandt und die Bäckerei Gunter Weißbach aus Stollberg. Sie werden jetzt von dem Urteil unterrichtet, erklärte Matthias Stier. Auch ein Teil einer schönen Tradition. (mz)