Autokinos in Sachsen-Anhalt Autokinos in Sachsen-Anhalt: Welche Erfahrung unser Redakteur in Aschersleben machte

Aschersleben - Der Film läuft keine zwei Minuten, und schon fliegt das erste Stück Popcorn im hohen Bogen durch das Auto.
Der unförmige Puffmais springt an das Lenkrad und setzt seine Reise meinem Bein folgend in Richtung Fußraum fort. Unter dem Gaspedal bleibt er liegen. Na wunderprächtig!
Während ich mich ganz grazil an Steuer und Schalthebel vorbeischlängele, trampeln die Kinder mit ihren Schuhen schwarz-braune Staub-Abdrücke in die Polster der Sitze. Zum Glück habe ich auf dem Gebiet der Autoinnenraumhygiene schon einige Gelassenheit erlangt.
Mitunter bedeckt die Rückbank meines Fahrzeugs eine Krümelschicht, angesichts der man glauben könnte, jemand wolle dort Enten füttern.
Es ist also alles nur halb so wild, und schließlich sitzen wir an diesem späten Freitagnachmittag ja auch zum Vergnügen im Auto - und nicht, um uns über Popcorn unterm Gaspedal zu ärgern. Denn wir - also meine Familie und ich - wollen einen Film gucken. Und zwar im Autokino in Aschersleben (Salzlandkreis).
Hinterm Lenkrad die Werke aus Hollywood und anderen Traumfabriken zu bestaunen, hat ja gerade Hochkonjunktur. Allein in Sachsen-Anhalt öffneten in dieser Woche über fünf Freilichtkinos ihre Pforten. Davor gab es kein einziges. Grund genug, die Premiere in Aschersleben auszuprobieren.
Wer hat das Aschersleber Autokino ins Leben gerufen?
Die Anreise ist wohltuend unaufregend. Das Ticket muss zuvor online gebucht werden. Dann ab ins Auto, alle rein, die mitkommen sollen, und einfach sitzen bleiben. Die Eintrittskarten werden am Eingang gescannt, dann folgt ein Drive-in-Schalter für die kulinarische Versorgung.
Wir kaufen zwei Tüten Popcorn - eine mindestens suboptimale Entscheidung, wie sich nach zwei Minuten Film zeigen wird.
Um das Bewegtbildspektakel unterm Aschersleber Himmel auf die Beine zu stellen, hat sich eine Allianz gebildet, die auch eine Selbsthilfegruppe der Corona-Opfer hätte gründen können.
Da wären: Eventveranstalter Jörg Widder, der keine Veranstaltungen mehr ausrichten darf. Busreiseunternehmer Mike Schubert, der keine Busreisen mehr unternehmen darf. Und das Kinobetreiber-Ehepaar Heidrun und Matthias Uhde, das sein Kino in Aschersleben nicht mehr öffnen darf.
Eigentlich also die Top-Besetzung für ein Trauerspiel. Doch anstatt sich in die Virusopferrolle zu begeben, bastelte das Quartett lieber an seinem persönlichen Happyend und eröffnete das, was derzeit möglich ist: ein Autokino.
Beantragung der Funklizenz dauerte zwei Wochen
Bevor die ersten Bilder über die Leinwand flimmern konnten, waren allerdings einige Hürden zu nehmen, wie Eventmanager Widder erzählt: „Wir mussten eine Open-Air-Lizenz beantragen, die Freigabe von den Behörden bekommen und das Gelände herrichten.“ Hinzu kam noch die Beantragung einer Funklizenz bei der Bundesnetzagentur. „Die zu bekommen, hat 14 Tage gedauert“, berichtet Widder. Diese Erlaubnis ist wichtig, weil über sie das Tonsignal in die Autos übertragen wird. Kurz bevor der Film beginnt, steht deswegen die UKW-Frequenz groß auf der Leinwand: 88,6. Schnell am Radio eingestellt, funktioniert einwandfrei. Los geht’s.
Zum Auftakt gibt es einen Familienfilm. Es ist ja das Nachmittagsprogramm. Gezeigt wird: „Die Eisprinzessin 2“ aus dem Disney-Universum. Nun ist es so, dass ich animierte Prinzessinnen und sprechende Schneemänner ungefähr so gern habe wie einen Marder im Motorraum. Und bei den Gesangseinlagen würde ich die Radiofrequenz gern wechseln - doch was tut man nicht alles für die Kinder. Und ein bisschen Spaß macht es ja trotzdem.
Leckere Entschuldigung
Immerhin ist es abseits von Fahrradfahren, Spazierengehen und Einkaufen seit Langem mal wieder ein Grund, das Haus zu verlassen. Zudem stellt sich wirklich dieses fast schon verloren geglaubte Kinogefühl ein. Trotz des Umstands, dass es taghell ist, produziert die 40 Quadratmeter große Leinwand ein sattes Bild, das nur bei dunklen Szenen etwas schwächelt. Der Ton hat zwar zwei Aussetzer. Als Entschädigung werden aber sogleich Popcorn-Tüten und ein Gutschein für einen weiteren Besuch verteilt.
So großzügig entschuldigen sich nur wenige. Und auch der Blick aus dem Auto zeigt rundum Vergnügen. Jungs und Mädchen stopfen sich den Puffmais in den Mund, Mütter schmunzeln mit ihren Kindern, und aus dem Seitenfenster eines roten Golfs ragt sogar ein Fuß. Man macht es sich bequem.
Während auf der Leinwand Prinzessinnen und Schneemänner durch die Luft wirbeln, frage ich mich, warum Autokinos eigentlich so aus der Mode gekommen sind. Selbst Filmenthusiasten wie Matthias Uhde sprechen nur in nostalgischen Bildern davon. „Zu DDR-Zeiten gab es das noch, da war ich immer mit dem Motorroller da“, erzählt der Kinobetreiber. Auf der Leinwand trabte damals Chefindianer Gojko Mitic durch die Prärie. Lang ist’s her.
Amüsieren trotz Vorbehalten
Matthias Uhde, der mit seiner Frau Heidrun das Kino in Aschersleben rettete, hätte nicht erwartet, dass er noch einmal ins Metier der Freilicht-Flimmerer wechselt. „Aber wir freuen uns, dass wir wieder etwas zeigen können“, sagt Uhde. Dessen Lieblingsfilm ist „Meuterei auf der Bounty“ mit Marlon Brando. „Der Film war so gut, dass ich am liebsten mit gemeutert hätte“, sagt der 69-Jährige. Mit der Eisprinzessin kann Uhde sich aber arrangieren: „Diese Filme sind von Disney geschickt gemacht, weil auch die Eltern etwas zu lachen haben.“
Und so ähnlich geht es mir auch. Trotz der Vorbehalte gegen den Film amüsiere ich mich - und die Kinder erst recht. Zum Popcorn im Fußraum gesellt sich in den 90 Minuten im Übrigen noch das ein oder andere Krümelchen hinzu. Doch was soll’s: Autokino ist ein Erlebnis. Und vielleicht überlebt es ja sogar die Corona-Pandemie. Zu wünschen wäre es. (mz)
