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Aschersleben Aschersleben: Lust auf etwas anderes

Von Susanne Thon 03.07.2012, 15:57

Aschersleben/MZ. - "Ich hätt' gern mal Beate Uhse gesprochen." Hagen Eisfeld hat sich nichts dabei gedacht, als er im Mai 1990 im zarten Alter von knapp 23 Jahren aus einer Braunschweiger Telefonzelle in Flensburg anrief und die Gründerin des berühmten Erotikimperiums höchstpersönlich verlangte. Der gelernte Elektriker wollte sich damals selbstständig machen; einen Erotikfachhandel in Aschersleben eröffnen. Doch die Herrschaften am anderen Ende der Leitung "sind vor Lachen zusammengebrochen". Nicht ob der Geschäftsidee, vielmehr der unbedarften Frage wegen. "Ich bin natürlich nicht zu ihr durchgekommen, aber ich war nah dran", grient Eisfeld. Denn nach einer gefühlten Ewigkeit bekam er den fürs Franchising zuständigen Mitarbeiter an die Strippe. Der zerstreute zwar die Idee des Jungunternehmers hinsichtlich einer Beate-Uhse-Filiale, vermittelte ihn jedoch weiter an einen Großhändler in Hamburg. Da bereits ein "halber Monatslohn" im Münzfernsprecher steckte, kam's auf ein paar Mark mehr oder weniger auch nicht mehr an. Neuer Anruf, neues Glück. Keine zehn Minuten später checkte Eisfeld die Spritvorräte - er hatte reichlich mitgenommen - und machte sich auf zu Dr. Vollbrecht, nach Schenefeld bei Hamburg. "Ohne Stadtplan, mit 20 Mark Ost in der Tasche und jeder Menge Mut, wenn nicht gar Übermut im Gepäck", sagt er.

Eisfeld wollte nicht als Elektriker "versauern". Das lag ihm schon fern, als er 1983 beim VEB Baumaschinen Gatersleben in die Lehre ging. "Nebenbei habe ich geschauspielert - in der Studiobühne - und Musik gemacht", erzählt er von seinem Leben zwischen Pflicht und Selbstverwirklichungsdrang, den zu befriedigen es in der DDR allerdings kaum Möglichkeiten gab. Die Lebensbedingungen - es waren nicht die seinen. "Irgendwann ist in mir der Entschluss gereift, das Land zu verlassen", gesteht Eisfeld, "und als ich 1987 zur Armee eingezogen wurde, hat sich der noch mehr verfestigt." Doch zurück in Aschersleben legte er das Vorhaben erst mal auf Eis. Seine Partnerin erwartete ein Kind, "ich konnte unmöglich weg". Zweieinhalb Monate nach der Geburt der Tochter, im Sommer 1989, unternahm er mit seiner kleinen Familie den Versuch, die Republik zu verlassen. "Wir waren auf dem besten Weg nach Prag, als wir im Radio gehört haben, dass die Grenzen dicht sind." Also kehrt. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Der Mauerfall leitete das Ende der DDR ein und machte Eisfelds "Masterplan" abzuhauen hinfällig.

Plan B trat in Kraft: Selbstständigkeit. Egal womit. "Es sollte nur was sein, was es in Aschersleben noch nicht gab", meint Eisfeld. Klare Sache: ein Jeansladen. Von der Pommesbude war er zu dem Zeitpunkt schon ab. Aber 70 000 D-Mark hätte es gebraucht, um den Laden auszustatten: "Das war so viel Geld, dass ich Angst hatte." Eine Krisensitzung mit dem künftigen Geschäftspartner, einem Elektrikerkollegen, wurde einberufen. Bei einem Bier durchzuckte sie dann ein Geistesblitz. Und der hatte zwei Namen: Zuerst Beate Uhse. Dann Vollbrecht.

Angekommen in Schenefeld bei Hamburg, wurde Eisfeld von einem Angestellten mit offenen Armen empfangen. "Wir sind durch die Halle gegangen und er hat mir gezeigt, was es alles gibt": Dildos und Vibratoren in allen Größen, Formen und Farben, Gummipuppen und sonstiges Spielzeug, Videos, Magazine, potenzsteigernde Mittelchen, angefangen von der Spanischen Fliege bis hin zu irgendwelchen Salben, Dessous und, und, und. Das alles auf einer Fläche etwa halb so groß wie das Kaufland. "Ich war geplättet", so Eisfeld. Wieder zu Hause leiteten er und sein Kollege alles in die Wege, um möglichst bald durchstarten zu können, bemühten sich um einen Kredit in Höhe von 20 000 Mark, besorgten sich einen Gewerbeschein sowie die Einfuhrgenehmigung für "Erotic-Materialien jeglicher Art aus der BRD" und brachten den Laden Über dem Wasser in Feierabendleistung auf Vordermann, umreißt Eisfeld.

"Am Freitag, dem 13. Juli 1990, habe ich meinen Job bei Baumaschinen hingeschmissen. Und am Montag - zwei Wochen nach der Währungsreform - haben wir eröffnet. Es war einer der ersten Erotikshops in den neuen Bundesländern, vielleicht sogar der erste." Und er hieß schlicht "Dessous" - "wir wollten uns vom Schmuddelimage abheben". Bei den Ascherslebenern kam der Laden an. "Wir hatten das ganze Sortiment an Erotikwaren an Bord und eine gut sortierte Unterwäscheabteilung", sagt Eisfeld. Kondome wurden in rauen Mengen gekauft, die "Voodoo-Medikamente" gingen ausgesprochen gut und Gleitcreme war der Kassenschlager. Es lief. Daran änderte sich auch nach dem Umzug in die wesentlich kleineren Räumlichkeiten in der Langen Reihe nichts. Da Eisfelds Geschäftspartner ausgestiegen war, wurde der Laden in "Hasis Dessous" umbenannt. "Auf den Quadratmeter gerechnet hatte ich mehr Umsatz als Karstadt", lacht Eisfeld. Kein Wunder bei dem riesigen Angebot auf 13 Quadratmetern. Mehr Platz hatte er erst wieder Hinter dem Turm - "Top Lage so neben der Kirche". Inzwischen betrieb er auch erfolgreich eine Filiale in Naumburg. Den Verkauf managten dort wie hier zunehmend die Angestellten. Er fing an, sich beruflich umzuorientieren. Als Ladeninhaber, der häufig umgezogen ist, hatte er viel mit Maklern zu tun gehabt; Versicherungen und Immobilien interessierten ihn. Und so landete er eines Tages beim Maklerbüro Krüger und Partner. "1994 hatte ich die Chance, den Versicherungsbestand zu übernehmen, wenn ich nebenbei noch eine Ausbildung mache", erklärt Eisfeld. Die Gelegenheit ließ er sich nicht entgehen.

Damit war dann aber auch das Kapitel Erotikladen abgeschlossen. In Naumburg war der Mietvertrag bereits 1993 ausgelaufen und das Geschäft in Aschersleben schloss er, um fortan Versicherung an den Mann und die Frau zu bringen. Wenn der 45-Jährige heute zum Telefonhörer greift, klingt es daher eher so: "R+V-Versicherung, Hagen Eisfeld..." Beate Uhse hätte er aber trotzdem gern mal gesprochen.