Naturschutzprojekt Alter Winninger Trafo-Turm ist neues Zuhause für Schleiereulen, Schwalben und Co.
Die Stiftung Pro Artenvielfalt hat in Winningen aus einer alten Trafostation einen Artenschutzturm mit 44 Nistplätzen gebaut. Wer dort alles unterkommen kann.

Winningen/MZ - „Die finden das!“, schaut Malte Backer mit zusammengekniffenen Augen zum Turmhäuschen hinauf, das direkt an der Ortsdurchfahrt von Winningen steht. Der kleine Schlitz an der Kopfseite – witzigerweise von einer Fledermaus-Silhouette umrahmt – soll den Flattertieren nämlich einen Zugang zum Turm-Inneren gewähren.
Denn die alte Trafoturmstation, die lange Zeit ungenutzt und dem Verfall preisgegeben war, ist nun der 38. Artenschutzturm, den die Stiftung Pro Artenvielfalt hergerichtet und für Gebäude bewohnende Wildtiere zugänglich gemacht hat.
50 Arten, die in Gebäuden leben
„Der ist richtig schön geworden“, staunt Robert Tischbier. Der Vorstandsvorsitzende der Stiftung bezeichnet das mit insgesamt 44 Nistplätzen und Verstecken und einem Dachstuhl zum Reinkriechen versehene Bauwerk als „regionale Rettungsinsel“. „Wir holen Schleiereulen, Schwalben und Co. zurück“, denkt er an stark bedrohte Arten. In Deutschland gebe es bis zu 50, die in Bauwerken leben. „Die haben es durch Gebäudesanierungen immer schwerer“, bestätigt Malte Backer, der der zuständige Bereichsleiter für Artenschutzprojekte der Stiftung ist.
Jahr für Jahr würden durch das Verschließen von Dachstühlen und Mauerritzen tausende Nistplätze vernichtet werden, weshalb die Zahl der bedrohten, tierischen Mitbewohner stetig steige. „Immer mehr Gebäude nutzende Arten der Vogel-, Säugetier- und Insektenwelt landen zwangsläufig auf der Roten Liste.“

Dagegen will die Stiftung etwas tun – mit genau solchen Projekten wie in Winningen. Backer zeigt auf die zahlreichen Eingänge am Turm, die den Tieren Zugang zu Nist- und Rückzugsorten bieten. „Wir haben tatsächlich rundum alles bestückt, damit es so viele Verstecke wie möglich gibt“, so der Naturschützer. Und so gibt es Nistkästen für Dohlen, Schleiereulen und Turmfalken. Draußen können Stare nisten. Dort, wo einst die Isolatoren angebracht waren, hängen jetzt künstliche Nester für Mehlschwalben. In das Mauerwerk selbst sind runde Nistzylinder eingelassen, die gern von Feldsperlingen oder Meisen genutzt werden.
Es gibt Spalten für Mauersegler und Tagesverstecke für Fledermäuse. „Auch hinter der Holzverkleidung wurden Spalten gelassen und Löcher in die Traufkästen gebohrt“, deutet der Bereichsleiter zum Turmdach hinauf. „Da braucht man Tischler, die gut drauf sind und mitdenken.“ Und genau die habe die Stiftung mit dem Schadelebener Tischler-Team Norbert Kern und seinem Sohn Steffen auch gefunden. Die Tischlerei hat die Holzarbeiten am Turm ausgeführt und einen Zwischenboden eingezogen.
Tischlerei mit Herz für Tiere
„Wir arbeiten schon sehr lange mit Uwe Nielitz zusammen“, berichtet Tischler Norbert Kern vom zuständigen Projektkoordinator, der sich in der Region schon seit Jahren für den Naturschutz stark macht und bereits zahlreiche Nistkästen angebracht hat. Einige davon wurden auch von den Tischlern gebaut. Etwa für die Schadelebener Kirche. „Privat haben wir ebenfalls Eulen- und Falkenkästen in den Scheunen und etwas für die Mauersegler“, erzählt Kern. Und sein Sohn meint mit Blick auf den Winninger Artenschutzturm: „Das ist doch ein Hingucker geworden!“ Ein bisschen bedauert er da, dass ein ähnlicher Trafoturm in seinem Heimatort in den 90er Jahren abgerissen wurde.

An der Sanierung des neuen Artenschutzturms beteiligt war auch die Cosic Fassaden Gesellschaft aus Atzendorf. „Wir haben das Gebäude trockengelegt und die Fassade innen und außen komplett erneuert – mit leichtem Rauputz, damit sich die Vögel daran festhalten können“, berichtet Bauleiter Mathias Cosic. „Drinnen haben wir auch eine spezielle Wandfarbe verwendet, so dass es nicht nach Chemie riecht“, nennt er weitere Besonderheiten und meint: „Das hält die nächsten 100 Jahre!“
Über Spenden finanziert
Die Kosten für die Arbeiten insgesamt – also für Isolierung, Dachstuhl, Giebelverblendung, Maurerarbeiten, Anstrich oder Einsetzen einer neuen Tür – liegen bei 22.500 Euro. Finanziert wird das fast ausschließlich über Spenden. „Solche Aktionen spiegeln die Bedeutung des Artenschutzes wider“, findet Ascherslebens Oberbürgermeister Steffen Amme (Widab) dann auch, der zu den Gästen der Eröffnungsfeier zählt.
„Den Turm gibt es seit über 100 Jahren. Als in Nachterstedt noch Braunkohle abgebaut wurde, ist der Strom hierüber verteilt worden“, erinnert sich Winningens Ortsbürgermeister Axel Pich, der die Sanierung und Umnutzung als tolle Sache bezeichnet. „Wir haben noch einige Dreckecken im Ort, dass es nun eine weniger gibt, freut mich natürlich.“ Bereichernd findet er es aber auch, dass auf diese Weise die Kinder des Ortes ganz praktisch an den Naturschutz herangeführt werden können.
Eine Chance, die auch Steffi Schmidl-Kolodzy, die Leiterin der Winninger Kindertagesstätte, sieht. „Wir nutzen das definitiv“, kündigt sie Projekte zum Artenschutz, zur heimischen Tierwelt an. „Wir können zum Beispiel schauen, welche Vögel hier leben“, sagt sie und freut sich, dass ein erstes Projekt bereits so gut gelungen ist. Denn zur feierlichen Übergabe des Turms haben die Kinder ein großes Banner gebastelt mit all den Vögeln, die hier bald leben könnten. „Zwei Tage haben wir daran gesessen. Jedes Kind hat sein eigenes Bild gemalt“, erzählt die Kita-Leiterin voller Stolz.
Nachahmer gesucht
Ausstrahlung könne der Artenschutzturm aber auch auf die Erwachsenen haben. „Wenn die Leute das sehen, machen sie zuhause vielleicht selbst etwas für die Tiere und schaffen ihnen Lebensraum“, hofft Malte Backer. Der hat übrigens die ersten Bewohner des Turms schon ausgemacht: „Meisen und Spatzen sind bereits drin – und ein Wespennest.“ Normal brauche es ein bis zwei Jahre, bis sich auch andere Arten ansiedeln. Vielleicht sogar Haselmäuse. Die Erfahrungen seien diesbezüglich gut. Hat die Stiftung doch inzwischen in ganz Deutschland an passenden Stellen solche Überlebensinseln gebaut.
Wie es direkt vor Ort weitergeht, soll Uwe Nielitz künftig im Blick behalten. Der Projektkoordinator, der die Sanierungsarbeiten in Winningen in den letzten Wochen begleitet hat, wird künftig auch das Brutvogel-Monitoring für den Turm übernehmen. Dass das Projekt ein Erfolg werde, da sind sich die Verantwortlichen jetzt schon gewiss.