Zocken mit Wrestling-Chips - ein gefährlicher Trend?
Berlin/dpa. - Der goldene Rey Mysterio ist der Star. Wer diesen seltenen Chip mit den zehn «Power-Punkten» in seiner Sammlung hat, rückt in der Schulhof-Hierarchie weit nach oben. Wrestling-Chips sind der neueste Spiele-Trend bei Grundschulkindern in ganz Deutschland.
Ziel von Tauschgeschäften und Spielen ist dabei immer, den Wert der eigenen Sammlung zu steigern. «Das ist Glücksspiel und gefährlich», sagen viele Lehrer. An einigen Schulen, vor allem in Hamburg und Berlin, sind die Chips mit dem Foto amerikanischer Show-Ringer schon verboten.
«Diese Chips haben nichts mehr mit Spiel zu tun, sie sind reine Abzocke», sagt Uwe Jeske, Leiter der Stechlinsee Grundschule im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Er hat die bunten Plastikscheiben vor einigen Wochen vom Schulhof verbannt, weil sie «Glücksspielcharakter» hätten. Zu oft habe die Spielerei «in emotionale Freundesbeziehungen eingegriffen». Verlierer hätten nicht nur ihre Chips, sondern auch Ansehen und Freunde eingebüßt.
Im Hort der Schule ist das Thema trotzdem noch «ziemlich groß». Dort haben Betreuer einen Raum eingerichtet, wo die Grundschulkinder unter Aufsicht spielen. Sieben verschiedene Varianten sind üblich, darunter eine namens «Slammerz»: Ein Spieler legt seinen Chip auf den Boden. Sein Gegner wirft einen zweiten darauf und versucht durch einen geschickten Treffer, den liegenden Chip auf die andere Seite zu drehen. Schafft er das, darf er beide behalten.
«Slammerz» hört sich an wie eine moderne Variante des alten Murmel-Spiels. Doch im Unterschied zu den Trends um Knicker, Sticker, Schnuller oder Pokémons spielen die Grundschulkinder jetzt immer öfter um Geld. Je mehr «Power-Punkte» ein Chip hat, desto mehr verdient der Gewinner.
Die Wrestling-Chips sind nicht zum Spiel um Geld gemacht, betont Thomas Schmitz vom amerikanischen Hersteller «Topps». «Das empfehlen wir nicht.» Im Grunde seien die Chips ein Geschicklichkeitsspiel, bei dem Sammeln und Spaß im Vordergrund stünde. Dass sie an einigen Schulen bereits verboten sind, hält Schmitz für übertrieben. «Den Unterricht dürfen sie natürlich nicht stören», sagt er. In der Pause oder am Nachmittag seien die Spiele aber harmlos.
Jeder verspielte Chip reißt ein Loch in die Taschengeld-Kasse. Ein Viererpack kostet im Kiosk 1,50 Euro. 90 unterschiedliche sind im Handel: rote, blaue und schwarze mit Männern, violette mit muskelbepackten Frauen. Doch wer die wirklich seltenen erwischen will, muss Glück haben oder investieren. Der goldene Rey Mysterio wird im Internet für mehr als zehn Euro gehandelt. Für Jeske sind die Preise der Grund, dass sich der Trend nicht an allen Grundschulen gleich ausgebreitet. «Nur da, wo das Geld lockerer sitzt.»
Die Industrie habe festgestellt, dass Grundschulkinder immer mehr Taschengeld haben, erklärt Entwicklungspsychologe Herbert Scheithauer von der Freien Universität Berlin. «Daher setzen die Firmen Trends durch Werbung.» Perfide werde ausgenutzt, wovor selbst Erwachsene nicht immer sicher sind. «Man verspricht Zugehörigkeit. Wer die Chips nicht hat, gehört nicht dazu.» Kinder brauchten zwar Identifikationsmöglichkeiten - «aber keine kommerziellen», betont der Psychologe.
Wrestling-Chips entwickeln sich zur Währung des Schulhofes. «Das Spielen um Chips kann man aber nicht zu den Glücksspielen im engeren Sinn zählen», erläutert Psychologe und Glücksspielforscher Tobias Hayer von der Universität Bremen. Einige Spielvarianten aber ähnelten dem Glücksspiel. Die Vermutung vieler Eltern, die Spielerei könne süchtig machen, weist Hayer zurück. Dennoch, so betont er, «ist es wichtig, dass Kinder ihr Freizeitverhalten nicht einseitig ausrichten».
Die Schüler der Stechlinsee-Grundschule scheinen die bunten Plastikscheiben kaum zu vermissen. «Kaum hatte ich das Verbot ausgesprochen, war der Trend mit einem Mal vorbei», erinnert sich Schulleiter Jeske. «Die Schüler haben sofort eingesehen, dass das Verbot gute Gründe hat.»