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Waldmeister durftet erst nach dem Pflücken

Von Helga Panten 16.04.2009, 07:15

Bonn/dpa. - Es gibt ihn als Eis, als Likör, Limonade oder Wackelpudding. Und in der Mai-Bowle ist er unverzichtbar: Fast jeder hat schon einmal Waldmeister in flüssiger oder fester Form probiert. Doch wie die Pflanze selbst aussieht, das wissen nur wenige.

Der Waldmeister ist eine niedrige Staude, die gar nicht so selten vorkommt, auch wenn viele Menschen sie gar nicht wahrnehmen. Die Nase hilft bei der Suche nicht. Denn ungestört verrät er nichts von seinen starken und süßen Aromen. Die Düfte nach Heu und Honig entfalten sich erst nach dem Pflücken, wenn das Kraut zu welken beginnt. Aber das Aussehen der 15 bis 20 Zentimeter hohen Pflänzchen ist auch ohne Duft sehr typisch. Quirle aus sechs bis acht lanzenförmigen Blättern umstehen die vierkantigen Stängelchen von Galium odoratum, wie der Waldmeister botanisch heißt. Im Mai verschafft die lockere Traube aus weißen, vierstrahligen Blütensternchen an der Stängelspitze zusätzliche Gewissheit.

Am besten gedeiht er, seinem Namen entsprechend, im Wald. Er bevorzugt Laubwälder mit lehmigen, kalkhaltigen Böden und kann im Garten vergleichbare Stellen besiedeln. Durch kurze Ausläufer bildet er im Schatten und Halbschatten saubere Trupps oder kleine Teppiche. Das macht ihn zum liebenswürdigen Bodendecker, der nie lästig fällt, auch wenn er manchmal für Überraschungen sorgt. Denn aus jedem weißen Sternblütchen entwickeln sich zwei rundliche Früchte, die mit kräftigen Häkchen besetzt sind. Damit halten sie sich an Hosenbeinen, Fell und Gefieder fest und lassen sich transportieren. So taucht Waldmeister unverhofft immer wieder an neuen Stellen auf.

Der Ernte des Krauts kommt das sehr entgegen. Dort wo er stört, wird er einfach ausgezupft und wandert in die Bowle. Aber nur die jungen Triebe eignen sich für das aromatische Getränk. Mit Beginn der Blüte steigt der Anteil an Cumarin. Diese Substanz ist zwar für das Aroma verantwortlich, sie wirkt aber in hoher Dosierung giftig und verursacht Kopfschmerzen, Schwindel und Benommenheit. In die Bowle sollten deshalb auch nicht mehr als drei Gramm frisches Kraut pro Liter wandern. Wer das einhält, kann heiter in den Mai starten, denn niedrig dosiertes Cumarin beschwingt.

Wem der heimische Waldmeister noch nicht intensiv genug ist, der nutzt den Turiner Waldmeister (Asperula taurina). Aromen von Wein und Jasmin entströmen seinen Blättern. Er unterscheidet sich durch kräftigeren Wuchs von Galium odoratum, braucht aber feuchtere Böden.

Ein weiterer, kaum bekannter Verwandter des Waldmeisters ist der Hügelmeister (Asperula cynanchica). Die hübschen Blattquirle sind auch für ihn typisch. Von Juni bis September, wenn der Waldmeister längst verblüht ist, verwandelt er sich in ein 20 Zentimeter hohes rosafarbenes Kissen. Er bildet keine Ausläufer und will anders als seine Verwandten sonnig stehen.

Die gleichen Standortansprüche stellt der Färbermeister (Asperula tinctoria). Im Garten steht er gern am sonnigen, trockenen Gehölzrand und lässt dort im Juli feine weiße Wolken entstehen. Frühere Generationen ernteten ihn als Färbemittel. Seine klein geschnittenen Wurzeln entwickeln während des Trocknens einen roten Farbstoff. In Wasser eingeweicht und unter Beigabe von Alaun, Pottasche, ranzigem Olivenöl und anderen Ingredienzien, wurden Wolle, Seide, Leinen und Baumwolle mit ihm rot gefärbt.

Der bis hinauf nach Südschweden vorkommende Färbermeister galt aber nur als Ersatz. Richtig leuchtende Farben ließen sich mit der Krappwurzel (Rubia tinctorum) erzielen, auch Färberröte genannt. Sie stammt aus Vorderasien und zählt - an den Blattquirlen deutlich abzulesen - ebenfalls zu den Verwandten des Waldmeisters. Die Türken beherrschten das Färben mit Krapp meisterhaft. Erst im 17. Jahrhundert lernten die Europäer das Färben mit der Krappwurzel, und Rubia tinctorum begann sich auch hierzulande auszubreiten.

Heute gilt die bis zu 150 Zentimeter hohe Pflanze mit den klettenartigen Haftborsten als Unkraut. Wer selbst mit Naturfarben experimentieren möchte oder Interesse an alten Kulturpflanzen hat, holt sie dennoch in den Garten. Dort trifft sie vielleicht auf noch eine Waldmeister-Verwandte, die wichtig für das Leben der Menschen war: das Echte Labkraut. Galium verum liefert das Ferment Lab, das bei der Käseherstellung die Milch gerinnen lässt. Englischer Chesterkäse entsteht so. Mit gelben, nach Honig duftenden Blütenrispen von Mai bis September ist das Echte Labkraut ein liebenswürdiger Farbfleck für Wiesen und Wildblumenpflanzungen.

Blühender Waldmeister mit seinem starken Cumarin-Gehalt taugt zwar nicht mehr zum Verzehr. Dafür wird er zum dienstbaren Geist im Wäscheschrank. Ein Sträußchen oder Beutelchen Waldmeister in den Schrank gehängt, hält Motten fern und lässt Bettwäsche, Blusen oder Badelaken frisch duften.