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Statistik Statistik: Deutsche haben immer mehr Appetit auf Gemüse

Von Gregor Tholl 20.03.2006, 13:57

Hannover/dpa. - Edel- und Szenelokale setzen am Rande dieses Trends vermehrt auf vergessene und verdrängte Sorten - Raritäten wie Topinambur, Steckrüben oder Schwarzwurzeln tauchen auf Speisekarten wieder auf. Egal, ob Massensorten oder seltenes Wurzelgemüse - der steigende Gemüseappetit hat nach Ansicht einiger Experten auch mit der Angst vor Tierseuchen wie jetzt der Vogelgrippe zu tun oder mit Fleischskandalen.

«Jeder Skandal und jede Seuche trägt dazu bei, dass die Leute gegenüber Fleisch skeptischer werden», ist sich der Sprecher des Vegetarierbundes in Hannover, Hilmar Steppat, sicher. Seit der BSE- Krise 2000/2001 würden wöchentlich etwa 4000 Deutsche neu Vegetarier. Der Anteil der Vegetarier an der Gesamtbevölkerung liege mittlerweile bei fast acht Prozent, 1980 seien es erst 0,5 Prozent gewesen, sagt Steppat.

Doch auch wer nicht gleich komplett auf Pflanzliches umsteigt, tischt offenbar in anderer Verteilung Fleisch und Gemüse auf. Dafür sprechen zumindest die Zahlen. Im vergangenen Jahr aß jeder Deutsche laut Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) rund 86,7 Kilogramm Gemüse, rund zwei Kilogramm mehr als im Vorjahr. Der Fleischkonsum pro Kopf lag bei 61,1 Kilogramm. Er hat schon lange nicht mehr das Niveau der 80er und frühen 90er Jahre.

«Die Menschen in Deutschland werden gesundheitsbewusster», sagt der Patron des Gourmetrestaurants «Weinstube Biesler» in Hannover, Dieter Biesler. Da sei weniger Fleisch angebracht. «Viele vergessene Gemüse erfahren derzeit eine Renaissance», meint der 61-Jährige. Beispielsweise die lange als «Kriegsgemüse» verpönte Steckrübe begeistere die Gäste seines Lokals. «Sie passt hervorragend zu Lamm.» Allerdings seien solche Sorten mit viel Arbeit verbunden. «Schwarzwurzeln etwa sind oft sehr sandig, müssen gebürstet werden und sind hartnäckig zu schälen. Das scheuen viele Hausfrauen natürlich, aber auch Köche.»

Der Professor für Gemüsebau von der Fachhochschule Osnabrück, Christoph Wonneberger, weiß, wie Seltenes schnell selbstverständlich werden kann: «Noch Anfang der 70er Jahre wurden in einem 'ABC der Gemüseraritäten' Auberginen, Brokkoli, Dill, Eissalat, Zucchini, Fenchel oder Fleischtomaten aufgeführt. Heute gehören diese Sorten längst zum normalen Sortiment.» Im Zuge der Nostalgiewelle würden vielleicht auch wieder alte Sorten wie Topinambur oder Pastinaken Standard. Ihre zum Teil schwierige Handhabe könne dies jedoch auch verhindern.

Nach Angaben des Landvolks Niedersachsen, dem Landesbauernverband, wird die Anbaufläche von Gemüse in Deutschland seit Jahren größer. Die Zahl der Gemüsebauern geht jedoch gleichzeitig zurück auf zuletzt knapp 12 000. Flächenmäßig sind in Deutschland Spargel, Möhren und Speise-Zwiebeln die wichtigsten Gemüsearten.

Die Zentrale Markt- und Preisberichtstelle für Erzeugnisse der Landwirtschaft (ZMP) gibt für 2005 eine Gemüseanbaufläche von fast 110 000 Hektar in Deutschland an. 1996, also vor zehn Jahren, waren es nur etwa 90 000. Niedersachsen hat seine Anbaufläche von allen Ländern am stärksten ausgeweitet. 2004 waren es gut 18 000 Hektar Freilandfläche gegenüber etwa 12 000 vier Jahre zuvor. Platz eins beim Gemüseanbau belegt Nachbarland Nordrhein-Westfalen.

«Es gibt einen Gemüse-Boom, der Trend zum seltenen Gemüse aber ist eher virtuell», sagt ZMP-Sprecher Christoph Behr. Das vergessene Gemüse werde immer wieder von Fernsehköchen propagiert und von Gastronomen, die sich von der Masse absetzen wollten. In den normalen Einkaufskörben finde es sich aber noch nicht bemerkbar häufiger.