Schuldgefühle Schuldgefühle: Mit Fehlern leben
Göttingen/dapd. - Manchmal überkommt einen der Wunsch, man könnte die Uhr zurückdrehen. Die verletzende Kritik an der Freundin, der Auffahrunfall wegen Übermüdung, der Seitensprung nach der Fete - all das könnte man dann einfach ungeschehen machen. Doch stattdessen muss man lernen, mit seinen Fehlern zu leben.
"Man kann Schuld nicht ungeschehen machen - aber man kann lernen, Abstand zu gewinnen zu dem, was geschehen ist", sagt die Tübinger Psychologin und Theologin Beate Weingardt. Eine wichtige Voraussetzung dafür sei, dass man sich seiner Schuld stelle und sie als Teil seiner Lebensgeschichte anerkenne. Denn verdrängte Schuldgefühle verstärkten sich meist eher, als dass sie in Vergessenheit gerieten. "Außerdem kostet das Verdrängen sehr viel wertvolle Lebensenergie", sagt die Expertin.
Schuldgefühle sind eine ganz natürliche Reaktion. "Sie schützen uns davor, einen Fehler zweimal zu begehen", sagt der Göttinger Psychologe Borwin Bandelow. Allerdings könnten schwere Schuldgefühle zu einer Belastung werden. "Viele müssen ständig an die Situation denken, wachen deshalb nachts auf und können es einfach nicht loslassen", sagt Bandelow. Daraus könne sich eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln, für deren Bewältigung man die Hilfe eines Psychiaters oder Psychologen zurate ziehen sollte.
Beate Weingardt empfiehlt, sich zu fragen, worin die eigene Schuld besteht. Dabei stelle man manchmal fest: Auch andere Faktoren oder Menschen haben dazu beigetragen, dass die Situation so gelaufen ist - oder einen selbst eigentlich gar keine Schuld trifft. "Möglicherweise sind die eigenen Maßstäbe einfach unrealistisch", sagt die Autorin des Ratgebers "Wie konnt' ich nur...!? - Die Herausforderung, sich immer wieder selbst zu verzeihen".
Gut sei auch, mit anderen Menschen über die eigene Schuld zu sprechen. "Sie können einem dabei helfen, eine andere Sicht auf die Dinge zu bekommen", sagt Weingardt. Zudem fühlten sich viele erleichtert, wenn sie Dritten von ihren belastenden Schuldgefühlen erzählt hätten. "Manchen hilft es, ihren Fehler einem Geistlichen zu beichten. Anderen tut es gut, sich mit einem Psychiater oder einem guten Freund darüber auszutauschen", sagt Borwin Bandelow. Der Experte empfiehlt zudem, auch allgemein offen mit dem Thema Schuld umzugehen. "Oft hat es etwas Befreiendes, wenn man anderen gegenüber mit solcher Klarheit auftritt", sagt Bandelow.
Wenn man die Möglichkeit hat, sollte man mit dem Opfer sprechen und es um Verzeihung bitten, empfiehlt Beate Weingardt. "Dabei kann man auch fragen, ob es etwas gibt, mit dem man den anderen entschädigen könnte", ergänzt die Expertin. Manchmal helfe Geld oder eine symbolische Wiedergutmachung.
Aber auch außerhalb eines direkten Ausgleichs gebe es viele Möglichkeiten, Schuld auf konstruktive Weise in sein Leben zu integrieren. Viele empfänden es beispielsweise entlastend, anderen Menschen etwas Gutes zu tun und so zu zeigen, dass sie eine positive Lehre aus ihrem Fehler gezogen haben. "Manche gründen eine Initiative, die anderen dabei hilft, Fehler wie ihren zu vermeiden", sagt Weingardt.
Man müsse sich klar machen, dass Fehler und Irrungen menschlich sind. "Dem Ideal vom Menschen ohne schwarze Flecken kann keiner gerecht werden", betont die Psychologin. Anstatt sich wegen seiner Schuld zu verdammen, sollte man versuchen, seine Fehlbarkeit zu akzeptieren und eine gelassene Einstellung dazu zu entwickeln. "Auch wer Schuld auf sich geladen hat, ist ein liebenswerter Mensch - vor allem, wenn er Reue zeigt", ergänzt Borwin Bandelow.
Das Buch "Wie konnt' ich nur..." ist 2010 im Brunnen-Verlag erschienen und kostet 9,95 Euro.