Reise Sonne, Sand, Salz, Seeluft satt
Die Nordseeinsel Borkum feiert in diesem Jahr ihr 175-jähriges Jubiläum als Seebad.

Emden, Borkumkai. Der Katamaran “Nordlicht“ (mit portugiesischer Flagge, weil auf der Insel Madeira registriert) wartet schon. Schnell noch ein friesisches Pils und ein ziemlich gutes Stück handwerklich gebackenen Mohnkuchen vom Imbiss im Abfertigungsgebäude der Reederei. Dann aufs Schiff. Borkum ahoi.
Bester, weil einziger Außenplatz ist im Obergeschoss am Heck. Sehr, sehr frische Luft, Blick auf das wilde Wellengestrudel, das die zwei zusammen etwa 8.000 PS starken Schiffsturbinen erzeugen. Die “Nordlicht“ brettert mit rund 60 km/h über das Wasser von Dollart und Außenems. Mit uns auf der Nordsee: Autotransporter randvoll mit nagelneuen Volkswagen aus dem Emdener Werk, Segelyachten. Links Niedersachsen, rechts Niederlande. Also entgegen der Fahrtrichtung, vom besten Platz aus gesehen. Die Windräder, Lagerhallen, Schafe, Wiesen am Festland-Ufer werden immer kleiner.
Nach genau einer Stunde dann Ausschiffen auf Borkum. Umsteigen auf die Inselbahn, Fahrpreis mit dem Schiffsticket abgegolten. Zwischen Sanddorn- und Hundsrosen-Hecken zuckelt das Bähnchen auf 900-Millimeter-Schmalspur in zehn Minuten die gut sieben Kilometer Richtung Borkum City. Endstation auf der Hauptverkehrsstraße. Das „Tuuuut“ der Dieselloks gehört zum Soundtrack der Insel. Wie das Möwengeschrei an der Promenade und das Rauschen der Wellen am Strand.
Rasantes Strandvergnügen
Borkum kann Strand. Und Sand. Auch im Sinne von Zwangssouvenir: Nach jedem Strandgang hat man nachhaltig wie unfreiwillig gefühlt mehrere Kilo bei sich, verteilt auf Hosentaschen, Schuhe, Kapuze. Und zwischen den Zähnen knirscht es auch.
Stichwort Strand: sehr weitläufig, 26 Kilometer lang. Je nach Tide sind es von der Inselpromenade zum Teil ordentliche tausend Meter bis zum Wassersaum. Viel Platz für - zum Beispiel - Strandsegeln. Bequemer Liegesessel auf einer Art Edelstahl-Gokart. Oben ein Segel dran, gelenkt wird mit den Füßen. Mit ein bisschen Winderfahrung lernt man in 30 Minuten, wie man so ein Gefährt effizient bewegt. Um dann mit gut 50 Sachen über den vom permanenten Wind plattgefrästen Strand zu brettern. Riesen-Gaudi. Wer Abwechslung mag: Windsurfen, Kitesurfen oder Wingfoilen geht hier auch trefflich. Zum Beispiel bei worldofwind.de
Nochmal Sand: Borkum nennt sich selbst schönster Sandhaufen der Welt (bis zu knapp 20 Meter über dem Meeresspiegel) und hat auf einer Gesamtfläche von 31 Quadratkilometern immerhin drei Klimazonen: gemäßigtes Insel-Inneres, windige Dünenzone, sehr windiger Strand. Das geht - trotz sehr respektabler 2.000 Sonnenstunden im Jahr mit teils immensen (gefühlten) Temperaturunterschieden einher. Allein entlang der Strandpromenade wechseln je nach Seewind-Sonne-Verhältnis innerhalb weniger Meter alle möglichen Zustände von Jackenpflicht bis Schwitzalarm.
175 Jahre Seebad
Von der Schifffahrt zum Tourismus: Aktuell wird gefeiert, schon die ganze Saison: 175 Jahre Seebad. 1850 wurden 252 Gäste registriert. Heute sind es pro Jahr um die 300.000.
Bis zur Geburtsstunde des Inseltourismus lebten die Insulaner hauptsächlich von der Schifffahrt. Borkumer Seeleute transportierten holländischen Backstein zum Aufbau der wohlhabenden Hansestädte im Osten, wie z.B. Danzig. Auf der Rücktour nahmen sie Eichenholz aus Estland oder Finnland mit. Für die Pfähle, mit denen Amsterdam im Sumpfland errichtet wurde. Zwischendurch immer mal eine Walfangtour nach Grönland. Die preußische Regierung machte dann vor 175 Jahren mit gezielten Förderprogrammen und günstigen Krediten den Fremdenverkehr zum wirtschaftlichen Rückgrat der Insel.
Gefühlt ist Borkum zumindest in der Hauptsaison eine Art Außenstelle von Nordrhein-Westfalen, externes NRW-Territorium. Familien kommen seit Generationen jeden Sommer in das voll verklinkerte Inselstädtchen. Sie bevölkern trubelige Einkaufsstraßen mit Fischkneipen und Pizzerien, Teeläden und Souvenirgeschäften auf allen Ebenen der nach oben und unten offenen Skala des guten Geschmacks.
Oder sitzen rund um die Strandpromenade lässig in der Sonne – im Strandkorb oder an einer der sogenannten Milchbuden. Früher gab es hier hauptsächlich Milch, um der Dehydrierung nach einem langen Strandaufenthalt entgegenzuwirken. Heute auch kühles Bier oder bunte Schirmchen-Getränke mit so ziemlich derselben Begründung.
Gut gerüstet aufEntdeckungsreise
Wichtigste Utensilien zur Inselerkundung abseits von Borkum City (stattliche 130 Kilometer Rad- und Wanderwege durch Strand, Dünen, weite Wiesen und über den Deich): Bequeme Schuhe, die sich schnell aus- und anziehen lassen (Strand und Watt). Windjacke, Sonnenbrille, Mütze. Leihfahrrad. Smartphone zum Fotografieren, als Navi und Kneipenfinder.
Borkumer Geschichte
Im 18. Jahrhundert fuhren die Borkumer auf Walfang Richtung Grönland. Aus dem Speck der riesigen Meeressäuger wurde Tran gewonnen, ein begehrter Brennstoff zum Beispiel für die damaligen Lampen. Die Unterkiefer der erlegten Grönlandwale brachten die Walfänger mit nach Hause. Diese enthielten ein wertvolles Öl, das besonders in der Uhrenindustrie geschätzt wurde. Die Knochen wurden an der sonnenzugewandten Hauswand hochkant aufgestellt, unten lief das kostbare Öl in eine Auffangschale. Die leeren Knochen – man schmeißt ja nichts weg – dienten dann als Gartenzaun. Hält bis heute. Schönes Beispiel für Nachhaltigkeit. Heute kann man die Zäune auf dem Borkumer Walpfad sehen.
Solche Geschichten kennt Tjard Steemann (68), Fremdenführer im Heimatmuseum. Hier erfährt man alles über Borkum. Das Dykhus in der Ortsmitte ist ein liebevoll original eingerichtetes Wohnhaus. Im ehemaligen Stall hängt ein 15 Meter langes Pottwal-Skelett unter der Decke. Darunter stehen Porzellanservices, die vor 150 Jahren zur Hochzeit verschenkt wurden. An den Wänden hängen unzählige Fotos der stolzen Strandpromenade vor 100 Jahren und wie es dort heute aussieht.
Sand-Sammlung
Dann gibt es noch eine beachtliche Sammlung von, ja, Sand. Obwohl am Meer vor der Tür mehr als genug davon liegt. Die Geschichte der Sand-Kollektion: Bäcker Walter Dykmann, der inselbekannte schöne Walter, zeigte gern Gästen den Strand und behauptete, dass Borkum den feinsten Sand der Welt hat. Feriengäste, die es besser wussten, schickten daraufhin Kuverts und Päckchen mit Sand aus der ganzen Welt nach Borkum. Von Sansibar und den Malediven, vom Wann- und Tegernsee. Der ist jetzt in hunderten fein säuberlich beschrifteten Konservengläschen in Glasvitrinen zu bestaunen. „Nur ein Bruchteil von dem, was wir noch im Magazin haben“, sagt Tjard Steemann. Infos gibt es unter heimatverein-borkum.de/heimatmuseum
Axel Ehrlich



Borkum für Schlaumeier
Schönes, aber nutzloses Wissen zum Angeben: Der Name kommt vom altnordischen burkn, was so viel wie Farnkraut bedeutet. Die westlichste der Ostfriesischen Inseln liegt, wie ihre Schwestern auch, in Niedersachsen. Sie gehörte Anfang des 19. Jahrhunderts ein paar Jahre zu Holland. Das Borkumer Platt und das Niederländische sind sehr kompatibel. Die Insel war unter Napoleon sogar kurz Teil des französischen Kaiserreiches.
Ursprünglicher Schatz der Borkumer war ihre Seefahrer-Tradition. Die wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Im Winter, wenn die Schiffe nicht auslaufen konnten, bekamen die jungen Borkumer Unterricht in allen maritimen Dingen. Theoretisch und praktisch. Ab dem zehnten Lebensjahr fuhren die Jungs mit Vater, Großvater oder Onkel als Azubi zur See, lernten alles, was ein guter Seefahrer braucht. Kaum volljährig waren sie top ausgebildete, branchenweit begehrte Fachkräfte, konnten sehr bald gutes Geld verdienen.
Infos und Anreise
Anreise: Per Bahn bis Emden Außenhafen, von hier sind es nur ein paar Schritte zum Fährterminal. Mit dem Auto bis zum Inselparkplatz Emden Außenhafen. Die Überfahrt kostet hin und zurück ab 79 Euro (Katamaran) oder 51 Euro p.P. mit der (langsameren) Autofähre. Alternativ kann man auch ab dem niederländischen Eemshaven nach Borkum übersetzen. Alle Services und Preise unter ag-ems.de
Übernachten: Auf Borkum gibt es tausende(!) Ferienwohnungen, Hotels aller Kategorien und die größte Jugendherberge Deutschlands. borkum.de
Gut schlafen kann man zum Beispiel im Insellust Ressort, Arthotel Bakker. Minimalistisch-stylish eingerichtet, Aussichtssauna auf dem Dach. Üppiges Frühstück und Snacks jenseits von Backfisch oder Labskaus in der benachbarten Bakkerie. Alle Infos unter arthotel-bakker.de