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Österreich Österreich: Die «schönste Leich'» kommt aus Wien

Von Daniela David 28.09.2010, 11:26
In den Katakomben des Stephansdoms: In Wien können Reisenden an vielen Orten Grüfte wie diese besuchen und bewundern. (FOTO: ÖSTERREICH WERBUNG/KALMAR/DPA)
In den Katakomben des Stephansdoms: In Wien können Reisenden an vielen Orten Grüfte wie diese besuchen und bewundern. (FOTO: ÖSTERREICH WERBUNG/KALMAR/DPA) dpa-tmn

Wien/dpa. - Zu Allerheiligen und Allerseelen Anfang Novemberströmen die Wiener auf den Zentralfriedhof im elften Bezirk inSimmering. In Massen besuchen sie dann die Ruhestätten ihrerverstorbenen Angehörigen. Eine «Gräberrallye» mit Volksfeststimmung:Kinder mit Luftballons und Zuckerwatte hüpfen vor den Grabsteinen,ältere Damen im Pelzmantel schleppen riesige Chrysanthemen-Gestecke.

Diese Grabseligkeit der Wiener zu beobachten, macht den Besuchdes mit 330 000 Grabstellen gigantischen Friedhofs zur Besonderheit.Fast zur Nebensache geraten dann die Berühmtheiten der Ehrengräber:Brahms, Strauß, Beethoven oder der 1998 zu Grabe getragene MusikerFalco haben hier ihre letzte Ruhestätte erhalten. Sein wie einetransparente CD geformtes Grab versinnbildlicht eine neueFriedhofsästhetik: Fast alles scheint erlaubt - egal, ob es gefällt.Gleichwohl wird den Großen gerade in Wien auf ewig Ehre zuteil, wieschon der Schauspieler Helmut Qualtinger wusste: «In Wien musst'erst sterben, damit sie dich hochleben lassen. Aber dann lebst'lang.»

Nach dem Ausflug in der Totenstadt treffen sich die Wiener imnahe gelegenen Restaurant «Schloß Concordia». Bei Kerzenlicht wirdeine «tröstliche Kräutersuppe» gereicht, die man sonst auch beimLeichenschmaus bestellt. Es wirkt wie ein Moment ohne Zeit. Die Uhrüber dem Eingang ist stehen geblieben - auf fünf vor Zwölf.

Die Habsburger sind sie in Wien immer noch präsent, auch durchihren Totenkult. In der Kapuzinergruft stehen ihre Sarkophage feinsäuberlich nebeneinander. «12 Kaiser, 17 Kaiserinnen, insgesamt 146Personen ruhen hier», zählt Pater Felix vom Kapuzinerkloster auf. Amprunkvollsten wirkt die Grablege von Kaiserin Maria Theresia. Siehatte den mächtigen Metallsarkophag schon Jahre vor ihrem Tod bisins Detail geplant, verziert mit Schlachtszenen, Kanonen undSchwertern.Doch Besuchergedränge herrscht nur an einem Grab - dem von «Sisi»:Chinesische Touristen fotografieren sich gegenseitig am Sarkophagder österreichischen Kaiserin Elisabeth, die 1898 ermordet wurde.

Am Stephansdom warten die Fiaker auf Kundschaft, um sie durch dieStadt zu kutschieren. Kaum einer der Gäste ahnt, dass sich unter denHufen der Pferde eine Katakombenwelt mit vielen Grüften auftut. Esmutet schon etwas schaurig an, wenn Domführer Bernhard Erlach beimGang durch diese Unterwelt erzählt, dass in der Herzogsgruft dieinneren Organe der Habsburger in Spiritus eingelegt sind.

Und da stehen sie im Regal, schmucklose, verlötete Kupferurnen,alle leicht verstaubt. «Bis 1878 war es Ritus bei den Habsburgern,die Körper der Toten dreizuteilen», erzählt Erlach. «Die Eingeweidekamen in die Herzogsgruft, die Leiber in die Kapuzinergruft und ihreHerzen ins 'Herzgrüftl' in der Augustinerkirche.»

Touristen können in Wien auch dem Tod direkt ins Gesicht sehen:Wer die steile Treppe in die Michaelergruft hinabsteigt, findet inbunt bemalten Holzsärgen die «Luftgselchten», wie der Wiener dieluftgetrockneten Mumien nennen. Einige Särge sind geöffnet. Daverstummen die Besucher, als sie auf eine Dame aus dem 18.Jahrhundert blicken: ein Skelett im Rüschenkleid mit Stöckelschuhenund einem Rosenkranz in den behandschuhten Händen. Oder sieht dasbekleidete Knochengerüst die Besucher an? «Die Wiener sind eben abisserl nekrophil», meint Gruftführer Christopher Timmermann.

Die «schöne Leich» war einst in der Kaiserstadt Wien ein Muss.Manche haben für das herrschaftliche Begräbnisritual ein Leben langgespart. Davon zeugen auch die Exponate im Bestattungsmuseum: mitGold bestickte Sargtücher, wie Gala-Uniformen anmutendeTrauer-Livreen des Personals, Pferdegeschirre mit schwarzenStraußenfedern für den Leichenzug. Die Pracht der Trauer hat in WienTradition.

Im Museum sind auch Kuriositäten zu bestaunen, darunterhandbemalte Totenschädel und ein mehrfach benutzbarer Klappsarg. DasBestattungsmuseum will aber auch mit dem Zeitgeist gehen. «Für unserProbeliegen im Sarg stehen die Leute Schlange», erklärtMuseumsleiter Wittigo Keller, der auch als Sarg-Designer aktiv ist.Sein Sitzsarg ist ihm zufolge «leicht modifiziert auch als Hausbareinsetzbar».

So komfortabel hatten es die Toten auf dem «Friedhof derNamenlosen» nicht. Ihnen wurde keine «schöne Leich'» zuteil, keinpompöses Begräbnis, noch nicht einmal die letzte Ruhe in geweihterErde. «Bei uns liegen vor allem Selbstmörder und Verunglückte,welche die Donau wegen eines Wasserstrudels hier anspülte», erklärtJosef Fuchs jr. Wie schon sein Vater und Großvater, betreut erehrenamtlich den kleinen Friedhof am Stadtrand. Nur wenige Touristenverweilen vor den schmiedeeisernen Kreuzen mit der Aufschrift«Namenlos». Der Tod kann auch ganz still sein in Wien.

Größte Attraktion in der Kapuzinergruft: Die Sarkophage von Kaiserin «Sisi» und Kaiser Franz Joseph stehen in einem Raum mit dem ihres Sohnes, Kronprinz Rudolf. (FOTO: DANIELA DAVID/DPA)
Größte Attraktion in der Kapuzinergruft: Die Sarkophage von Kaiserin «Sisi» und Kaiser Franz Joseph stehen in einem Raum mit dem ihres Sohnes, Kronprinz Rudolf. (FOTO: DANIELA DAVID/DPA)
dpa-tmn
Denkmal für einen Superstar: Auf dem Wiener Zentralfriedhof gehört Falcos Grab zu den am meisten besuchten. (FOTO: DANIELA DAVID/DPA)
Denkmal für einen Superstar: Auf dem Wiener Zentralfriedhof gehört Falcos Grab zu den am meisten besuchten. (FOTO: DANIELA DAVID/DPA)
dpa-tmn