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Internet Internet: Familiensofa statt Hotelbett

Von HANS-WERNER RODRIAN 22.03.2012, 16:53

Halle (Saale)/MZ. - Wie war das noch damals? Das Geld für Reisen war knapp, man pumpte nachts die Luftmatratze bei entfernten Bekannten auf und probierte tagsüber die Tipps, die man beim Frühstück bekam. Was einst aus der Not geboren gut funktionierte, ist jetzt der letzte Schrei im Tourismus. "Social Travel" verspricht authentisch geteilte Ferien bei Privatleuten statt im Großhotel.

Sogar einen wissenschaftlichen Ausdruck gibt es bereits dafür: Collaborative Consumption. Und während die Internet-Generation fröhlich ihre Ferien teilt, grübeln Praktiker wie Wissenschaftler: Was bringt die Menschen dazu, lieber zu leihen als zu erwerben, zu tauschen als zu besitzen?

Für den Münchner Tourismus-Professor Theo Eberhard ist es "der Zug der Zeit: Junge Leute teilen heute ganz selbstverständlich ihre Musik und ihre Facebook-Freundschaften. Warum dann nicht auch den Urlaub?" Für die Reisebranche sei das gleichwohl "ein Umbruch": Gerade war doch noch alles Pauschalreise, und plötzlich suchen sich die Urlauber übers Web Bekanntschaften und Quartiere. Am Ziel brauchen sie ebenfalls keinen Reiseleiter mehr, sie haben sich ja längst virtuell angefreundet mit Menschen vor Ort, die ihnen das Reisegefühl vermitteln, nah dran zu sein an allem.

Einer, der dieses Gefühl bedient, ist Christopher Oster. Der Berliner Web-Manager ist Geschäftsführer von "Wimdu - travel like a local", einem der aktuell stark wachsenden Portale für Privatunterkünfte. Wie die Wettbewerber 9Flats und AirBnB vermittelt Wimdu Wohnungen und Zimmer von Privatleuten. Auswählen kann man aus 35 000 Unterkünften in 100 Ländern, jede Woche kommen neue dazu. Gratis wohnt man da in der Regel nicht. Den Preis bestimmt der Vermieter, er reicht von fünf bis 30 000 Euro pro Nacht, und so unterschiedlich sind auch die Angebote. Der eine hat eine Liege zu bieten, der andere eine Villa.

Wie kann sich der Vermieter auf solchen Portalen sicher sein, dass seine Wohnung bei den Besuchen Wildfremder keinen Schaden nimmt? Routiniert zählt es Christopher Oster auf: Sein Portal prüft jedes Angebot, bevor es live geschaltet wird. Es zahlt dem Gastgeber die Miete erst 24 Stunden nach Ankunft. Gastgeber und Gast bewerten sich auf der Webseite gegenseitig. Und am Ende ist der Vermieter auch noch bis 50 0000 Euro versichert. Aber das, so Oster, wird "so gut wie nie" gebraucht.

Webseiten mit privaten Übernachtungsmöglichkeiten sind die augenfälligste Entwicklung des "Social Travel". Aber auch anderweitig teilt man immer häufiger sein Hab und Gut mit Fremden: Das wohl erfolgreichste Beispiel in Deutschland dafür ist Carpooling.com. Vor zehn Jahren als Studenten-Mitfahrzentrale gegründet, hat das Portal heute zwei Millionen Mitglieder in 45 Ländern. Längst sind Bahn- und Flugtickets integriert. Das ist kein Widerspruch, sagt Geschäftsführer Markus Barnikel: "Unsere Kunden steigen ja nicht in ein fremdes Auto ein, weil sie so beseelt sind von der Idee des Teilens. Die wollen einfach und problemlos reisen." Und wenn sie dabei auch noch CO2 sparen könnten, dann sei ihnen das auch recht.

Nun sind Mitfahrzentralen nichts Neues. Aber bei fremden Leuten ins Auto zu steigen oder sich bei ihnen gar ins Bett zu legen, war jahrelang eine echte Hürde. Durchs Internet, stellt Barnikel fest, hat sich das "völlig gedreht", denn da herrsche eine "unglaubliche Transparenz": Fahrer und Mitfahrer stellen sich auf der Webseite des Portals vor. Der Fahrer weiß, dass er nach der Fahrt vom Mitfahrer bewertet wird und umgekehrt. Wer schlecht abschneidet, bei dem will niemand mehr mitfahren oder ihn einsteigen lassen.

Bis ins Reiseführergeschäft strahlt der Trend "Social Travel" aus. Urlaub nicht von ihren Touristenfallen, sondern wie ein Einheimischer kennenzulernen: Das wollen viele und dabei das Lebensgefühl einer Stadt atmen - natürlich mit den richtigen Insidertipps. Darauf hat sich Carina Schichl spezialisiert. Mit ihrem Startup "Nectar & Pulse" erstellt die junge Designerin "Reiseführer für Seelenverwandte". Die Idee: Auf ihrer Internetseite sucht man sich in seiner Traumstadt erst mal die "Locals" - ortsansässige Tippgeber, von denen man das Gefühl hat, dass sie gut zu einem passen. Und deren Tipps kauft man dann im Zwanzigerbündel, in einem Designer-Ringbuch individuell zusammengestellt.

35 Euro kostet so ein maßgeschneiderter Travel Guide. Billig ist das nicht. Wie überhaupt zwar die Social Traveller selbst tauschen und leihen, die Firmen aber Geld verdienen wollen. Wimdu kassiert von Gästen und Gastgebern zusammen 15 Prozent, Carpooling macht darüber hinaus noch Geschäfte mit den Bahn- und Flugtickets und mit Werbung auf der Seite.

Aber es gibt sie doch noch, die Idealisten. Etwa den Münchner Filmemacher Jörg Zimmermann, der mit Kumpel Markus Henssler die "Mitesszentrale.de" gründete. Seine Inspiration: "Wir wollen bundesweit Menschen zusammen bringen", sagt er schlicht. "Auf unserer Webseite kann man nachsehen, ob jemand in der gewünschten Stadt zur gewünschten Zeit kocht und dabei gern Gäste hätte." Dafür darf der Gastgeber einen Unkostenbeitrag verlangen, die Vermittlung ist bis heute kostenlos. Denn "es ist doch so viel schöner, gemeinsam als allein zu essen", weiß Zimmermann.