Großbritannien Großbritannien: Auf Geisterjagd durch Edinburgh

Edinburgh/dpa. - Schon lange hat sich keine mir unbekanntejunge Frau mehr hilfesuchend an mich geklammert. Neulich aber ist espassiert. Ich muss zugeben, es geschah eher, weil ich gerade nebenihr stand, und ist mit einer akuten Schrecksituation zu erklären:Wir befanden uns auf einer Geisterjagd durch die Unterwelt derschottischen Hauptstadt Edinburgh.
Edinburgh ist das perfekte Gespenster-Biotop. Auf einem Felsenthront eine Draculaburg, und weite Teile der Innenstadt sehen auswie eine Gruselfilmkulisse. Der Gespenstertourismus ist inzwischengut für eine ganze Industrie. Jeden Tag wandeln Hunderte auf denSpuren der Untoten. Ich gehe systematisch an die Sache heran undwähle für meine Geistererfahrung den allerunheimlichsten Ort indieser unheimlichen Stadt. Er liegt in der Old Town, besser gesagt:unter der Old Town. Es sind die «Edinburgh Vaults», ein Labyrinthvon Kellern und Gewölben.
Unser «Ghost Hunting» beginnt spät am Abend, wir werden angeführtvon Liz, die auf den ersten Blick wie eine nette ältere Dame wirkt.Aber das biedere Äußere könnte nur Ablenkung sein. So weiß Liz sehranschaulich davon zu erzählen, wie sich bei Hinrichtungen auf demPlatz vor der St. Giles-Kathedrale die Hirnmasse der Delinquentenüber das Straßenpflaster verteilte.
Liz führt uns zu einer Häuserzeile und öffnet eine unscheinbareschwarze Tür. Dahinter windet sich eine steinerne Treppe hinab indie Dunkelheit. «Alle dicht beieinander bleiben!», warnt sie. «Wersich dort unten verläuft, der kommt vielleicht nie wieder raus.» DieWände erinnern mich an den Keller meines elterlichenGründerzeithauses, in dem ich manchmal für meine Mutter Kartoffelnholen musste. Aber dort gab es wenigstens eine elektrische Funzel -hier unten nur Kerzenlicht.
Immer weiter geht es abwärts. Dann kommt ein Korridor, hier unddort ein alter Lagerraum.In einem hohen Gewölbe hält Liz an. Imflackernden Schein einer Kerze, die sie mit beiden Händenumklammert, wirft sie einen riesigen Schatten auf das Mauerwerk.Ihre Kappe sieht jetzt aus wie ein Hexenhut.
Die Vaults dienten ursprünglich als billige Unterkunft fürHandwerksbetriebe, später wurden sie zum Unterschlupf für dieÄrmsten der Armen. Verglichen mit ihren Lebensbedingungen konntesich selbst Oliver Twist glücklich schätzen: kaum Licht, keinfließend Wasser. Serienkiller, die die Leichen zum Sezieren an diemedizinische Fakultät verkauften, trieben ihr Unwesen. Irgendwann im19. Jahrhundert war der Stadt diese Parallelwelt nicht mehr geheuer:Mit Geröll ließ sie alle Eingänge verschließen.
Erst in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden siewiederentdeckt und in den 90ern neu erschlossen. Unmittelbar daraufbegannen die Berichte über merkwürdige Erscheinungen undunerklärliche Stimmen. Für Liz besteht kein Zweifel daran, dass esdie Geister der ehemaligen Bewohner sind, deren irdische Existenzzur Bewältigung ihrer furchtbaren Erlebnisse einfach nichtausgereicht hat. Sie spricht über sie wie andere über exzentrischeNachbarn.
Da gibt es zum Beispiel den «Watcher», der die Besucher ausdunklen Ecken heraus anstarrt. Harmlos ist der «Cobbler», einSchuster, der nur einen ganz bestimmten Raum bewohnt. In derFachsprache ein «territorialer Geist», wie Liz uns erklärt. Da sichder «Cobbler» noch immer für Schuhe interessiert, ist es möglich,dass er mit kalten Spinnenfingern unsere Füße betastet.
Ich glaube nicht an Gespenster. Noch nicht mal hier unten.Dennoch vermeide ich es, der Letzte zu sein, als sich unsere Gruppenun wieder in Bewegung setzt. Wir nähern uns dem bevorzugten Reviervon Mr. Boots, der bösartigsten Heimsuchung dieses unglücklichenOrtes. Angeblich ist er der Mörder einer Prostituierten. Langebeschränkte er sich darauf, den ungebetenen Gästen ein «Get out!»zuzuraunen, doch neuerdings gibt er sich informativer: «I'm Edward»,haben ihn manche sagen hören.
Nun geht es in den meistbespukten Raum dieses meistbespuktenOrtes. Ich komme wieder als Vorletzter herein und finde kaum nochPlatz. Liz, das muss man sagen, ist eine begnadete Erzählerin. Siehat ein solches Gefühl für Spannungsaufbau und Dramaturgie, dass sieuns alle in ihren Bann zieht. Als sie plötzlich laut aufschreit,kommt es zu der eingangs erwähnten Umklammerung durch die neben mirstehende Dame.
Es geht auf Mitternacht zu, als wir unsere Jagd unverrichteterDinge abbrechen. Als Liz nach mir die Tür schließen will, weise ichdarauf hin, dass hinter mir noch jemand kommt. «Nein, nein»,entgegnet sie. «Sie waren die ganze Zeit der Letzte, da hab' ichdrauf geachtet. Sehr mutig!»