Frankreich Frankreich: Albi im südfranzösischen Schlaraffenland

Albi/dpa. - In einem satten Rotbraun leuchten die Ziegel derKathedrale von Albi im Abendlicht. Die letzten Sonnenstrahlentauchen die Westfassade in warmes Licht, es scheint, als strahle sievon innen heraus. Sainte-Cécile ist ein Meisterwerk der Gotik - aberwer an hoch aufstrebende, fein ziselierte Mauern und Pfeiler denkt,irrt gewaltig. Die Kirche liegt wie ein riesiger Ziegelblock, dervom Himmel gefallen ist, auf der Anhöhe über dem Fluss Tarn. Mitihrem trutzigen Turm und Fenstern wie Schießscharten wirkt sie wieeine Festung. Die Altstadt rund um das ungewöhnliche Bauwerk wurdein diesem Sommer von der Unesco zum Welterbe erklärt.
Der Farbton des braun gebrannten Gesichts von PhilippeBonnecarrère ähnelt den Ziegeln seiner Stadt, in der er seit 15Jahren Bürgermeister ist. Die Kathedrale kann ihn noch immerbegeistern, als sähe er sie zum ersten Mal. «Es ist ein ganz eigenerStil, das Kirchenschiff ist sehr massiv und trotzdem unheimlichhoch», sagt er und zeigt auf die mächtigen Mauern, die mit wuchtigenHalbsäulen verstärkt und damit bis zu sieben Meter breit sind.«Wegen der starken Mauern kommt die Kirche ohne Strebepfeiler aus,die für gotische Kathedralen sonst typisch sind», erklärt er.
Dass das Gebäude eher wie eine Schutzburg als wie ein Gotteshauswirkt, hat seinen Grund in der bewegten Geschichte der Region. Siewar Schauplatz eines brutalen Kreuzzugs gegen diefundamentalistische Strömung der Katharer. Die asketischen Katharerwaren ein Stachel im Fleisch der Kirche des Mittelalters, derenKlerus im Luxus schwelgte.
Papst Innozenz III. rief 1208 zum Krieg gegen die Häretiker auf,die ihm immer gefährlicher erschienen. Die letzte Schlacht fand 1244auf der Katharerhochburg Montségur statt. Dort starben 200 Anhängerder Fundamentalistensekte in den Flammen.
Der Bau der Kathedrale von Albi, der 1282 begann, symbolisierteden Sieg der Amtskirche über die Katharer - und zugleich dasBedürfnis, sich gegen Feinde jeder Art zu schützen. «Die Botschaftder Kirche war eine doppelte: Wir haben gewonnen. Und wir habenverstanden, was Ihr wolltet», sagt Bonnecarrère. Das massive Gebäudewar in erster Linie eine Machtdemonstration. Zugleich zeigte sichdie Kirche in einer neuen Nüchternheit, als habe sie die Kritik derKatharer am Ende doch noch angenommen, zumindest für eine Weile.
Erst später legten die Bischöfe wieder mehr Wert auf aufwendigeDekoration. Das angefügte Südportal im Stil der flämischen Gotikwirkt wie ein Spitzentuch in der Brusttasche eines Tarnanzugs. Esbietet zugleich einen Vorgeschmack auf das Innere der Kirche, das ingrandiosem Kontrast zum nüchternen Äußeren steht. Ein Lettner trenntden langen Raum, der weder Quer- noch Seitenschiffe hat, in zweiTeile. Mit seinen fein gearbeiteten Statuen und löchrig-leichtenVerzierungen erinnert die Schranke an ein überdimensionalesSchatzkästchen. Von hier aus sprach der Priester zu den Gläubigen,denen der Blick auf den Altar durch den Lettner versperrt war.
Das Gewölbe haben italienische Künstler im 16. Jahrhundertausgemalt. «Die Bischöfe konnten sich die aufwendigen Arbeitenleisten, weil sie durch Steuern auf den Pastel-Handel reich gewordenwaren», erklärt der Bürgermeister. Die Pastelpflanze heißt aufDeutsch Färberwaid und war in ganz Europa zum Blaufärben begehrt. Umsie zu verarbeiten, wurden die Blätter getrocknet und zu faustgroßenKugeln gepresst. «Die nannte man 'cocagne'», erklärt Bonnecarrère,daher stamme der Ausdruck «pays de cocagne», Schlaraffenland.
Gleich neben der Kathedrale liegt der ebenfalls massiv gebauteBischofspalast, der «Palais de la Berbie». Es ist eine Ironie derGeschichte, dass ausgerechnet hier die Bordellszenen desberühmtesten Sohns der Stadt, des Malers Henri Toulouse-Lautrec(1864-1901), ausgestellt sind. Was für ein Glück für Albi, dass demMuseum für moderne Kunst in Paris das Werk des Künstlers zu gewagtwar. Heute befinden sich etwa 1000 Werke von Toulouse-Lautrec inAlbi, etwa ein Drittel des Gesamtwerks. Kunstliebhaber aus allerWelt kommen deswegen in die Kleinstadt, selbst der japanische Kaiserwar schon da.
Bonnecarrère war es, der den Ehrgeiz hatte, Albi auf die Listeder Unesco setzen zu lassen. Die erste Diskussion stieß er bereitsnach seinem Amtsantritt Mitte der 90er Jahre an. Als Albi in diesemSommer die begehrte Auszeichnung bekam, war der Jubel in der Stadtgroß. Mitten in der Nacht läuteten 20 Minuten lang die Glocken derKathedrale. In den ersten Wochen danach schwoll die Zahl derTouristen um etwa ein Drittel an. «Wir waren immer schon stolz inAlbi, aber jetzt sind wir es noch mehr», sagt ein Geschäftsmann.«Wir freuen uns auf alle, die Albi besuchen werden.»
Informationen: Atout France, Zeppelinallee 37, 60325 Frankfurt(Tel.: 0900/157 00 25 für 49 Cent pro Minute, E-Mail:[email protected]).