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Baden-Württemberg Baden-Württemberg: Freiburg ist die Stadt der Bächle

Von kerstin metze 12.07.2012, 15:53

Halle (Saale)/MZ. - Wenn Altkanzler Gerhard Schröder ein fünftes Mal heiratet, dann muss es eine Freiburgerin sein. Darüber feixen die Einwohner der Stadt im Breisgau. Seit Jahrhunderten nämlich hält sich die Legende, dass eine Freiburgerin oder einen Freiburger heiraten muss, wer in eines der vielen Bächle in der Stadt stolpert. Und Schröder ist 2001, als er mit Jacques Chirac in Freiburg unterwegs war, in einen Wasserlauf getreten. Für eine neue Ehe freilich gibt es keinerlei Anzeichen.

Bloß nicht stolpern!

Die tückischen Bächle sind ein Markenzeichen von Freiburg und bundesweit in ihrem Ausmaß einmalig. Wer die kuschlige Stadt im südwestlichen Zipfel der Republik zum ersten Mal besucht, ist geneigt, nur nach unten zu schauen. Bloß nicht hineinstolpern! Insgesamt etwa neun Kilometer lang schlängeln sich die Wasserrinnen durch die Innenstadt - völlig ungesichert. Oft trennen sie den Fußgängerbereich oder die Radwege von der Straßenbahn, manchmal steht aber auch ein Marktstand genau daneben. Und wenn das quirlige Nass die Stühle im Gartenrestaurant tangiert, nutzt der Gastwirt es gleich mal als Flaschenkühlung.

Ob das Münster angesteuert wird, das Schwabentor oder der Rathausplatz - überall in Freiburg trifft man unweigerlich auf die Bächle. Hin und wieder gibt es kleine Abdeckungen, damit Kinderwagen, Fahrräder, Rollstühle oder auch Lieferfahrzeuge keine Riesenumwege machen müssen. Folgenschwere, unfreiwillige Bekanntschaften mit dem Wasser halten sich Statistiken zufolge überraschenderweise in Grenzen. Die Einheimischen umschiffen die Bächle gewohnheitsmäßig selbstsicher, und Fremde kriegen den Dreh erstaunlich schnell raus.

Seit der ADAC im Jahr 1952 mit seinem Vorstoß, die Wasserläufe als Verkehrshindernis zu beseitigen, ins Leere lief, rüttelt niemand mehr an den Stolperfallen. Selbst Maike Kohl-Richter, die Ehefrau von Altkanzler Helmut Kohl, schimpfte nicht auf die Stadtväter, als ihr Auto beim Papstbesuch 2011 in einer Rinne hängenblieb, sondern haderte der Unachtsamkeit wegen mit sich selbst. Später, als Kohl-Richters Auto geborgen worden war, erfreute sie sich möglicherweise an einem erfrischenden Fußbad - so wie es die Freiburger und ihre Gäste an warmen Tagen gern tun.

35 Zentimeter bis einen Meter breit

Gespeist werden die Bächle aus der Dreisam - einem Flüsschen, das Freiburg durchquert. 150 Schieber verteilen das Wasser, dosiert in 250 Litern je Sekunde, nach einem ausgeklügelten System auf das Kanalsystem. So, dass es nirgends staut oder zu schnell fließt. Das schmalste Bächle an der Kaufhausgasse misst 35 Zentimeter bei einer Tiefe von 15 Zentimetern. Anderswo ist das Bächle einen Meter breit und 60 Zentimeter tief.

Dafür, dass das Wasser immer sauber bleibt, sorgen zwei Bächleputzer. Dieser Beruf dürfte bundesweit einmalig sein - zwei Stadtangestellte mit dieser Profession kümmern sich täglich um die Reinigung und die Wasserregulierung.

Erstmals erwähnt worden sind die Bächle im Jahr 1220. Damals - meist nur flach gepflasterte Rinnen in der Straßenmitte - dienten sie zur Brauchwasserversorgung und zum Brandschutz. Auch ihre Abfälle entsorgten die Freiburger dort. Und es wird erzählt, dass zur Mitgift bei einer Heirat anno dazumal unbedingt ein Eimer gehörte. Die Ehefrau hatte ihn an den Herd zu stellen, so dass sie im Fall des Falles schnell Löschwasser von der Straße holen konnte.

Schiffchen werden geduldet

Heute findet sich in den Wasserläufen kein Papierschnipsel, keine Kippe. Wohin man auch schaut - es mutet an wie sauberstes Quellwasser. Besucher haben den Eindruck, die Freiburger hüten ihre Bächle aus Basalt, Kiesel, Porphyr oder Sandstein wie ein Heiligtum. Und mancher Künstler hat sich hier verewigt, ein Goldschmied etwa hat an einer Stelle einen bronzenen Frosch hineinmontiert. Nur kleine Schiffchen werden geduldet. Ein Handwerksbetrieb stellt spezielle bunte Holz-Bötchen her, die auf dem Markt verkauft werden. Der Strick wird gleich mitgeliefert, und so schauen Eltern amüsiert zu, wie ihre Kinder in den Bächle spielen.

Zur Freude der Freiburger und ihrer Gäste plätschern die Bächle das ganze Jahr über gemächlich vor sich hin. Im Winter sind die Bächleputzer für das Schneeschieben verantwortlich. Nur im Oktober, da gibt es zwei Wochen, in denen das Wasser abgestellt wird, weil die Leitungen und Pumpanlagen gewartet werden.