Omas Küche neu entdeckt Omas Küche neu entdeckt: Sauerkrautsuppe auf Feinschmecker-Niveau

Erfurt/Darscheid/dpa. - Aber auch als rustikaler Seelenwärmer in der kalten Jahreszeit hat die Kohlsuppe besonders in Thüringen nach wie vor ihren Stellenwert. In kaum einem Kochbuch der thüringischen Landesküche fehlt ein Rezept für Sauerkrautsuppe. «Sie lebt noch. Doch es ist mehr die ältere Generation, die sie kennt und noch immer isst», sagt Joachim Köhler vom Gastro-Berufsbildungswerk in Erfurt.
Traditionell gehörte die Suppe zur Hausschlachtung. Als Brühe wurde Schlachtsuppe verwendet, in der die Würste gegart worden waren. Für eine leichte Bindung sorgten geriebene Kartoffeln und etwas Schmand. Deftige Einlage waren Wellfleisch oder gebratene Rotwurst. «Es war eine Arme-Leute-Suppe, die sättigen musste», sagt Köhler.
Nicht nur in Thüringen war Sauerkraut ein «Überlebensmittel» der einfachen Bevölkerung. Doch das Verfahren, aus Weißkohl mit Hilfe der Milchsäuregärung ein ohne Konservierungsstoffe über Monate haltbares Gemüse zu machen, ist keinesfalls eine «urdeutsche» Erfindung. Schon der griechische Arzt Hippokrates empfahl im 4. Jahrhundert vor Christus Sauerkraut als eine gesunde Speise. Auch die Römer kannten die Herstellung. In Mitteleuropa haben dann die Elsässer als erste im 15. Jahrhundert den Kohl geschnitten und mit Salz eingelegt.
Durchschlagenden Erfolg hatte das stark Vitamin-C-haltige Gemüse seit dem 18. Jahrhundert als Anti-Skorbut-Mittel in der Schifffahrt. So soll der Engländer James Cook bei seiner zweiten Weltumseglung 1772 bis 1775 insgesamt 60 Tonnen Sauerkraut mit auf die Reise genommen haben. Und auch zu Lande hatte jeder bürgerliche Haushalt sein Fass selbst gemachten Sauerkohl im Keller. Umherziehende «Krautschneider» boten in Gegenden, wo viel Sauerkraut gegessen wurde, ihre Dienste für den privaten Weißkohleinschnitt an.
Die kommerzielle Produktion begann in Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts. Im Ersten Weltkrieg lebten bis zu 1600 Betriebe davon, dass das vergorene Kraut die Truppen und die Bevölkerung ernährte. Das «Überlebensmittel» brachte den Soldaten an der Front den bei Engländern immer noch gebräuchlichen Spitznamen «The Krauts» ein.
Sauerkraut gilt jedoch zu Unrecht als Nationalgericht der Deutschen. Besonders in den osteuropäischen Staaten wird sehr viel Kraut gegessen. Urmutter aller russischen Suppen ist die «Schtschi», eine Kohlsuppe, die im Winter aus Sauerkraut zubereitet wird. «Kislye Schtschi» enthält alles, was im Haushalt gerade vorhanden ist. Knoblauch und saure Sahne geben dem herzhaften Gericht mit Hammel- oder Rindfleisch den letzten Pfiff.
Inzwischen sind Sauerkraut und seine Suppenvariante in deutschen Feinschmecker-Kreisen längst salonfähig. Als die Gourmetküche die Vielseitigkeit des Krauts entdeckte, kam auch die rustikale Suppe auf den Prüfstand. Die Brühe wurde entfettet und mit etwas Sahne verfeinert. Besonders das Innenleben der Löffelspeise eignet sich bestens als Spielwiese kulinarischer Fantasie.
So greift Martin Kucher von «Kucher's Landhotel» in Darscheid in der Vulkaneifel bei der Einlage mit kleinen Kartoffelknödeln, die mit etwas Blut- oder Leberwurst gefüllt sind, die ursprünglichen Zutaten einer Schlachtplatte auf. Oder er legt ein Stück kross gebratenen Zander in die Suppentopf, füllt mit Sauerkrautsuppe auf und garniert mit ausgelassenen Speckstreifen. «Wild passt auch sehr gut zum Sauerkrautgeschmack», so Kucher, der zu kleinen Wildbratwürsten oder Streifen aus geräuchertem Reh- oder Hirschschinken in der Suppe rät.