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Nesthäkchen bevorzugt?

Von FELIX REHWALD 19.11.2010, 13:13

MÜNCHEN/DPA. - Familienforscher haben herausgefunden, dass sich Geschwister umso häufiger streiten, je kürzer sie nacheinander geboren sind. Entscheidend seien der Altersabstand und die Geschlechterreihenfolge, erläutert Christian Alt vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München. "Bei Kindern, die keine vier Jahre auseinander sind, kracht es häufiger." Auch bei gleichgeschlechtlichen Geschwistern gebe es öfter Stunk. In beiden Fällen sei die Rivalität größer, nennt Alt als Grund.

Bei einem größeren Altersabstand werde etwa der ältere Bruder vom jüngeren nicht als Konkurrent, sondern oft als Vorbild empfunden, den man noch eher als die Eltern in vielen Dingen um Rat fragen kann. "Weniger dramatisch" sei der Zoff außerdem, wenn das ältere Geschwister ein Mädchen ist. Mädchen seien sozial kompetenter und gingen daher anders mit der Konkurrenzsituation in der Familie um.

Denn oft ist das, was Familienforscher "Prinzensturz" nennen, der Auslöser für den ganzen Ärger: Wenn Eltern ein zweites Kind bekommen, verliere der Erstgeborene sein Alleinstellungsmerkmal in der Familie, erklärt Alt. Er ist plötzlich nicht mehr das einzige Kind, reagiert daher mit Eifersucht und Vernachlässigungsgefühlen. Ein bisschen sei da auch was dran, sagt Alt. Zwar behandelten die Eltern ihr älteres Kind nicht plötzlich "schlechter", aber eben "anders": "Es gibt tatsächlich beobachtbare Unterschiede im Verhalten der Eltern", sagt Alt. Sie gehen anders mit ihm um, verlangten vom größeren Bruder eine gewisse Verantwortung und seien viel aufmerksamer gegenüber dem Baby.

"Die Dynamik verändert sich vollkommen", beschreibt Andreas Engel, stellvertretender Vorsitzender der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke), die neue Situation in der Familie. Das erste Kind müsse die Aufmerksamkeit mehr teilen, gerate im Vergleich zum Baby erstmal ins Hintertreffen. Das ist mit einem zu versorgenden Neugeborenen natürlich oft nicht anders zu organisieren, für Kinder aber nicht nachvollziehbar. "Ihre Einsicht fehlt", erläutert Christian Alt. "Sie reagieren emotional und mit gekränkter Eitelkeit. Sie wollen, dass alles wieder so wie früher ist."

Mit unvermittelt abverlangten neuen Rollen - etwa als älterer auf den jüngeren Bruder aufzupassen - seien Kinder schlicht überfordert. Eine Rolle bei der Ungleichbehandlung spielten auch die "situativen Rahmenbedingungen", in denen sich die Eltern befinden, sagt Prof. Martin Schweer vom Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie der Universität Vechta. "Der Umgang mit dem ersten Kind ist logischerweise mit ganz anderen Unsicherheiten verbunden als beispielsweise der Umgang mit dem dritten Kind.

Viele Ängste und Sorgen haben sich bereits als unnötig erwiesen, manche Erziehungsstrategien als nicht zielführend herausgestellt." Erstgeborene werden daher laut Prof. Schweer oft besonders behütet und müssen sich viele kleine Freiheiten hart erkämpfen.

Für die Ausprägung von Rivalität zwischen Geschwistern spielten die Eltern "eine zentrale Rolle", bestätigt Professor Hartmut Kasten in seinem Buch "Geschwister". "Ihre Haltung und innere Einstellung den heranwachsenden Kindern gegenüber ist ursächlich daran beteiligt, wenn zwischen den Geschwistern immer wieder Neid und Eifersucht und damit verbundenes Konkurrenzverhalten zu registrieren ist." Ab der Geburt des zweiten Kindes zieht sich der Konkurrenzkampf oft über Jahre hin. Er lässt laut Kasten erst nach, wenn die Jugendlichen das Elternhaus verlassen haben und beginnen, eigene Wege zu gehen.

Wenn Eltern rechtzeitig gegensteuern, prägt sich die Eifersucht des Erstgeborenen womöglich nicht so sehr aus, so Kasten. Hilfreich sei, wenn sie sich intensiver dem älteren Kind zuwenden, betont der Buchautor.