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Mythos Ostschrippe - Brötchenkultur aus DDR-Zeiten

Von Caroline Bock 01.10.2007, 12:50

Berlin/dpa. - Zumindest bei den Brötchen war nicht alles schlecht: Auch 17 Jahre nach der Wiedervereinigung hält sich im Osten Deutschlands dieser Mythos. Es ist wie beim Ampelmännchen oder dem Rechtsabbieger-Pfeil.

Die «Ostschrippe» gilt als eine der wenigen Errungenschaften aus DDR-Zeiten, die heute noch Fans haben. Kurz nach der Wende hielt das Wessi-Brötchen Einzug. Das war aufgeblasen und sah gut aus, wie vieles in der westlichen Glitzerwelt. Nur geschmeckt hat es vielen nicht, so dass heute Bäcker wieder stolz «Ostschrippe» ans Regal schreiben. Manchen kommt nur in die Tüte, was wie früher schmeckt. Und das war in der Erinnerung von Ostdeutschen besser, zumindest wenn die Ware nicht vom Konsum oder aus Backwarenkombinaten kam.

In der ehemals geteilten Stadt Berlin ist es ausgerechnet ein Westdeutscher, der sich für die Ostschrippe interessiert. Oliver Sporys (41) wollte den Mythos ergründen und sagt heute: «Es ist ein ganz klassisches Brötchen.» Angefangen hat Sporys mit Laugengebäck wie in seiner baden-württembergischen Heimat, in einem WG-Zimmer in Moabit. Heute ist der Bäcker Chef von 20 Mitarbeitern, in den Filialen seines Betriebes wird ganz traditionell gebacken. Vorgefertigte Teiglinge aus Polen oder China haben bei einem echten Bäcker nichts zu suchen.

Weizenmehl, Salz, Hefe, Wasser, Malzpaste sind die Zutaten für die kompakten, handtellergroßen Brötchen, die der Experte im Laufe der Zubereitung mindestens fünf Mal in der Hand hat. «Slow Baking» nennt das Sporys. «Man nimmt sich einfach ein bisschen Zeit.» Ihre goldbraune Kruste erhalten die Teigstücke mit der charakteristischen Ritze im Etagenofen. Wichtig ist laut Sporys, dass sie danach eine kleine Wassernebel-Dusche bekommen, wie er in seiner Backstube in Berlin-Mitte demonstriert. Richtig erstaunt seien seine Kunden, dass seine Ware nicht angeliefert werde: «Was, Sie machen das selbst?»

Die Zahlen vom Zentralverband des deutschen Bäckerhandwerks bestätigen, dass die Back-Kunst generell seltener wird. 1999 gab es bundesweit noch 20 600 Betriebe, heute sind es 16 300. Dennoch: «Wir haben nach wie vor die größte Artenvielfalt bei Brot und Brötchen», sagt Frank Rennebarth, Volkswirt beim Zentralverband. Oft sind es Discounter, Kioske, Imbisse und Tankstellen, die den Bäckern Konkurrenz machen.

Ob Rundstücke, Knüppel oder Semmel: Fades Backwerk wird zum Leidwesen von Kennern mittlerweile häufig angeboten. Und das in einem Land, das mit 300 Brotsorten wirbt und in dem pro Kopf jedes Jahr 26 Kilo Brot und Brötchen verzehrt werden. Auch im Westen vermisst mancher den guten Geschmack beim Frühstück. «Wer hat's versemmelt?», fragten sich schon süddeutsche Gastrokritiker.

«Wonach schmeckt Luft?», lautet die rhetorische Frage, die der Berliner Bäcker Lars Siebert (49) angesichts der aufgeblasenen Ware stellt. Er führt in vierter Generation einen Betrieb im Prenzlauer Berg und beteuert, dass dort die Brötchen schmecken wie früher. Täglich werden in seiner Stube bis zu 10 000 Stück gebacken, die wie bei seinem Kollegen Sporys 20 Cent kosten. «Die Kunden kommen von weit her und stehen Schlange», erzählt Siebert. Das Aroma steckt ihm zufolge in der Kruste. «Ein Brötchen soll ja nach was schmecken.»

Das Stadtmagazin «Tip» hebt hervor: «Ob Ost, ob West - die Schrippe gab es schon vor Mauerbau.» Wie ein Prachtexemplar aussieht, kann man denn auch im Westen der Stadt sehen: Im Wedding steht ein fünf Tonnen schweres Kunstwerk aus Sandstein.