Mädchenschule: Bessere Noten im Physikunterricht
Stuttgart/dpa. - Einig sind sich die vier Mädchen der 7. Klasse am Mädchengymnasium St. Agnes nicht: Während Julia meint, der Klassenclown fehle, vermisst Mirjam Jungen überhaupt nicht. Die 13- Jährige meint: «Unter Mädchen ist man viel offener.»
Mirjam und Julia sowie zwei Klassenkameradinnen bauen gemeinsam ein Experiment zur Lichtbrechung auf. Physiklehrerin Sabine Wimmer ist überzeugt, dass gerade in den Naturwissenschaften die Schülerinnen vom getrennten Unterricht profitieren. Wimmer ist eine von 48 Lehrerinnen, die im mit 1000 Schülerinnen größten Gymnasium in Stuttgart unterrichten. Dem Kollegium der katholischen Schule gehören auch 14 Lehrer an.
Wimmer, die auch schon an einer gemischten Schule unterrichtet hat, meint: «Dort wird die Physik von den Jungen dominiert. Hier gehen die Mädchen viel mehr aus sich raus und bringen auch bessere Noten.» Schulleiterin Schwester Iris, eine von drei lehrenden Ordensschwestern, berichtet, dass in der 11. Klasse zwei Drittel der jungen Frauen Physik wählen. Auch im jetzigen Abiturjahrgang gibt es zwei oder drei künftige Physikstudentinnen. Schwester Iris erzählt stolz: «Überproportional viele unsere Schülerinnen werden Ingenieurinnen, Physikerinnen und Mathematikerinnen.» Eltern scheinen die Ausbildung zu schätzen: In Klasse fünf gibt es eine Warteliste mit 30 bis 40 Interessentinnen, obwohl die Unter- und Mittelstufe bereits vierzügig geführt wird. Ein Schulgeld von 216 Euro pro Jahr schreckt kaum jemanden ab.
Die Schule, von einem katholischen Elternverein ins Leben gerufen, wurde 1886 gegründet. Die Eltern arbeiteten mit der Kongregation der Franziskanerinnen von Bad Saulgau-Sießen im Kreis Sigmaringen zusammen. Diese hatten sich der Bildung von Mädchen verschrieben. Heute betreiben sie zehn Mädchenschulen mit 4000 bis 5000 Schülerinnen - von der Grundschule, über die Realschule bis zum Gymnasium. In Schwäbisch Gmünd startet ab kommenden Schuljahr ein Versuch mit einem katholischen Jungengymnasium.
In der Stuttgarter Schule, die nach einer jungen Märtyrerin und auch nach der ersten Schulleiterin Oberin Agnes Sauter benannt ist, sind zwei Drittel der Schülerinnen katholisch; ein Drittel ist protestantisch, moslemisch oder konfessionsfrei. Nach Überzeugung von Ordensfrau Iris sollte die Religion eine wichtige Rolle im Leben der jungen Frauen spielen, ohne dass es unbedingt die christliche sein müsste. «Meine Mädchen sollen sich ein Leben lang nicht mit dem Vordergründigen zufriedengeben, sondern nach ihrem Gott suchen», sagt sie. Der Unterricht beginnt täglich mit einem Gebet in der Klasse, einmal pro Woche können die Mädchen «atemholen» bei einem Pausengebet, dreimal im Jahr treffen sich alle Schülerinnen zu einem Gottesdienst in der Kirche St. Eberhard.
Das Erziehungs-Ideal der «Privattöchterschule» war vor 100 Jahren noch ganz auf gute Umgangsformen, Gehorsam, Bescheidenheit, kurz «auf echtes Frauentum im häuslichen Bereich» ausgerichtet - so beschreibt es eine ehemalige Absolventin. Die 62-jährige Schwester Iris hat da weit modernere Vorstellungen, zu welchen Persönlichkeiten sich ihre Schülerinnen entwickeln sollen: «Wenn man über die besseren Leistungen der Mädchen spricht, heißt es immer, sie seien fleißiger, braver und angepasster - selten: Sie sind klüger. Ich will selbstständige, selbstbewusste und nicht übertrieben feministische Frauen.»
Die Persönlichkeitsbildung der Mädchen beginnt in Klasse 5 mit einem Programm, bei dem sie spielerisch die Veränderungen in ihrem Körper kennenlernen können. In Klasse 6 informiert eine Frauenärztin die Mädchen, die ihnen auch einen Besuch in ihrer Praxis ermöglicht. Ein weiterer Baustein in Klasse 11 beschäftigt sich mit den Perspektiven der jungen Frauen, mit Berufsaussichten und den Möglichkeiten, Karriere und Familie unter einen Hut zu bringen. Schwester Iris' Credo: «Sie sollen ihre Frau stehen, ohne Männer zu degradieren - wir wollen Partnerschaft statt Feindschaft.»
Weitere Infos zum Mädchengymnasium: www.st-agnes-gymnasium.de