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Leckerbissen oder Sättigungsbeilage: Die Kartoffel

Von Gudrun Janicke 31.03.2008, 10:47

Dresden/dpa. - Die kleinen Erdhaufen schauen aus wie Maulwurfshügel. «Darunter liegen Saatkartoffeln, alles alte Sorten», freut sich der 70-jährige Brandenburger Dietmar Grübl über den Anblick des märkischen Ackers.

Der pensionierte Landwirt kümmert sich mit Mitgliedern eines Fördervereins in Paaren/Glien um die Bewahrung alter und exotischer Sorten. «Es geht um die Vielfalt», meint er. «Und um die Erinnerung an den Geschmack der Kindheit.»

Was Grübl und seine Mitstreiter als Hobby betreiben, davon lebt in Sachsen Bauer Wilhelm Stassen, Geschäftsführer des Agrarhofs Wolkenburg in Kaufungen. Auch er verbringt seinen Tag mit Kartoffeln. «Jedoch stammen sie von modernen Züchtungen», sagt er. Sie heißen Adretta, Cilena, Nicola, Princess, Granola oder Likaria. Rund 210 Sorten werden in Deutschland angebaut - und regional vermarktet und gegessen. Der Ostdeutsche bevorzugt mehlig kochende Sorten, der Westdeutsche eher die festen.

Kartoffelanbau hat in Ostdeutschland Tradition. So sorgte Preußenkönig Friedrich II. dafür, dass auf Brandenburger Äckern die aus Südamerika stammenden Nachtschattengewächse angebaut wurden. Er wollte mit den Knollen Hungersnöte bekämpfen. Selbiges hat die UNO bewogen, 2008 zum «Jahr der Kartoffel» zu erklären. Die Vereinten Nationen wollen auf die Bedeutung der Kartoffel als wichtiges Grundnahrungsmittel in Entwicklungsländern aufmerksam zu machen.

Der Appetit der Deutschen auf die einstige Sättigungsbeilage lässt allerdings seit Jahren deutlich nach. Laut Centraler Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) sank der Verbrauch im Vorjahr pro Kopf um 3,5 auf 63 Kilogramm. Statt klassischer Salz-, Pell- oder Stampfkartoffeln landen immer öfter Pasta und Reis auf den Tellern. Auch bei Trockenprodukten wie Kloßmehl und Püree sowie vorgefertigten, gebackenen und gefrosteten Produkten wie Pommes, Reibekuchen und Kartoffelchips halten sich die Kunden zurück. Einzig Lieferungen an Großverbraucher und der Export nehmen zu.

Den sich wandelnden Geschmack bekommen die Bauern natürlich zu spüren: Es werden weniger Kartoffeln angebaut. 1990 gab es in Deutschland insgesamt rund 550 000 Hektar Anbaufläche. Diese verringerte sich bis zum Anbaujahr 2006/07 auf rund 276 000 Hektar, heißt es bei der Union der deutschen Kartoffelwirtschaft (Unika), die die Branche vertritt. Grund war auch, dass zu DDR-Zeiten große Mengen als Tierfutter verwendet wurden.

«Die Landwirte bemerken die zurückgehenden Nachfrage», sagt Fritz Schumann, Hauptgeschäftsführer des Landesbauernverbandes Sachsen- Anhalt. Kartoffeln werden heute direkt für den künftigen Verarbeiter angebaut. «Bei uns sind das vor allem Kartoffeln für Pommes oder die Stärkeindustrie», sagt er. Das sei alles sehr spezialisiert. Der Spruch von den «dümmsten Bauern, die die größten Kartoffeln haben» sei deshalb Unsinn, meint Landwirt Stassen. «Wer bestehen will, braucht viel Wissen.» Dazu sei sehr spezialisierte Technik im Wert von mehreren hunderttausend Euro notwendig.

In allen Regionen gibt es aber immer mehr Liebhaber alter Sorten. «Allein die Namen klingen wunderbar», schwärmt Rentner Grübl. Bamberger Hörnchen, französische Trüffelkartoffeln, La Ratte, Pink Fir Apple, Red Duke of York, Sieglinde oder Vitelotte - er kennt viele. Und kann die unterschiedlichen Eigenschaften und Geschmacksrichtungen genau beschreiben.

«Das sind aber eher Leckerbissen für besondere Gelegenheiten», sagt Bauer Stassen. Auf etwa 0,3 Hektar seiner insgesamt 800 Hektar großen Felder baut er als Liebhaberei alte Sorten an. «Etwa 2000 Kilogramm können geerntet werden», sagt Stassen. Der Anbau sei heute einfach zu teuer. In der Kartoffel-Genbank in Groß Lüsewitz in Mecklenburg-Vorpommern wird dafür gesorgt, dass die alten Sorten nicht aussterben. In der Einrichtung des Instituts für Pflanzengenetik werden 5900 Muster und eine Kulturkartoffel-Sammlung von 2600 Sorten bewahrt und vermehrt.

In vielen Regionen wird die Ehre der Knollen, Erdäpfel oder Trüffeln bei Festen oder Landwirtschaftstagen als gesundes Nahrungsmittel hochgehalten. In Thüringen ist im Kloßmuseum in Heichelheim gerade eine Wanderschau zum Jahr der Kartoffel eröffnet worden, die viel über Produktion, Züchtung, Vielfalt und Kultur der Knolle erzählt.

Auch aus der modernen Gourmet-Küche sind die Knollen nicht wegzudenken. «Ich verwende zu etwa 30 Prozent Kartoffeln, als Garnitur oder als Beilage», sagt der Dresdner Sterne-Koch Stefan Hermann («bean&beluga»). Seine Vorliebe gilt eher den alten Sorten wie der festkochenden Sieglinde. «Sie ist dunkelgelb, fettig-speckig und vor allem für Kartoffelsalat oder Bratkartoffeln ideal», schwärmt er. Die Suche nach geeigneten Sorten werde aber immer schwieriger: Die EU-Sortenbereinigung mache auch vor der Knolle nicht halt und sorge für geschmackliches Einerlei.

INFO: Immer weniger Kartoffeln

Etwa 64 000 Landwirte bauen bundesweit Kartoffeln an. Im Anbaujahr 2006/07 wurden rund 276 000 Hektar bearbeitet. Die Fläche ist seit der Wende kontinuierlich geschrumpft - von damals rund 555 000 Hektar.

Grund ist zum einen die stetig gesunkene Nachfrage beim Verbraucher, aber auch die Aufgabe von Anbauflächen im Osten. Dort wurden zu DDR-Zeiten vor allem Kartoffeln zur Verfütterung angebaut. In der EU ist Deutschland von der Fläche her immer noch zweitgrößter Produzent nach Polen, wo die Knollen auf rund 600 000 Hektar wachen. Beim Ertrag stehen die deutschen Bauern auf Platz 1 mit einem Jahresertrag von 9,8 Millionen Tonnen.

Die Groß Lüsewitzer Kartoffel: glks.ipk-gatersleben.de

Paaren im Glien: www.paaren-im-glien

Rund um den Kloß: www.klossmuseum.de

Union der Deutschen Kartoffelwirtschaft e.V.: www.unika-ev.de