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Karibik-Cocktail Karibik-Cocktail: Piña Colada für die Liebe

24.06.2003, 09:23

San Juan/East End/dpa. - Tausende Touristen haben sich draußen vor dem Schild an dem historischen Haus 104 in der Calle Fortaleza in Puerto Ricos Hauptstadt San Juan ablichten lassen: «Das Haus, wo 1963 die Piña Colada von Don Ramón Portas Mingot kreiert wurde», steht in Englisch und Spanisch am Eingang zum Restaurant «Barrachina» in der historischen Altstadt zwischen massiven Festungen und weißen Kreuzfahrtriesen im nahen Hafen. «So jung ist das Getränk, kaum zu glauben», fragt sich mancher Gast im Innenhof, wo sich zwischen Brunnen, Arkaden und Papageienkäfigen Touristen aus aller Welt an der Kreation aus Ananassaft, Rum, Kokoscreme und zerstoßenem Eis, aber auch an Rum Punch, Daiquiri und anderen Cocktails laben.

«Natürlich entstand die Original-Piña Colada hier. Daran gibt es keinen Zweifel», sagt Restaurant-Eigentümer William Mevs. «Vorgänger» sind nach seiner Ansicht «allenfalls Versuche». Der 47-Jährige ist gebürtiger Haitianer, hat einen deutschen Großvater und bevorzugt persönlich kräftigere Drinks. «Piña Colada ist mehr für die Damen», sagt der schwergewichtige Mann in gutem Deutsch.

Der frühere Barchef Ramón Portas wollte als frisch Verliebter seine Angebetete mit einem neuen tropisch-süßen, leicht alkoholischen Drink verzaubern und soll sich bei seinen Mix-Versuchen in diesem Hause auch reichlich Mut angetrunken haben. Die Beziehung soll so erfolgreich geworden sein wie der Siegeszug des exotischen Gemischs. Wer Routine mit Dosierung und dem elektrischen Mixer hat, erhält die Piña fein-cremig. Eine dünnflüssige Mischung, womöglich noch mit kleinen Eisklumpen, ist ein Ärgernis für jeden Piña Colada-Fan.

«Natürlich entstand die Original-Piña Colada bei uns. Daran gibt es keinen Zweifel.» Das sagt auch Hector Davila. Der 41-Jährige ist Chef der Pool-Bar im «Caribe Hilton», das gerade mal vier Kilometer von der Calle Fortaleza entfernt liegt. Als Erfinder gilt auch hier ein Ramón: Ramón «Monchito» Marrero. Er suchte nach einem leichten Drink, der die exotischen Reize von Puerto Rico einfängt und keinen Kater zulässt.

«Monchito» experimentierte laut Piña Colada-Chronik des «Hilton» drei Monate zwischen Kokosnusspalmen, türkisblauem Meer und blutroten Sonnenuntergängen. Am 15. August 1954 kam der ersehnte Erfolg: Diese Version, die inzwischen allein in der riesigen Hotelanlage schon über sechs Millionen Mal gemixt wurde, enthält außer weißem Bacardi-Rum, Kokoscreme und frischem Ananassaft noch einen kleinen Schuss Sahne. Heute wird weltweit häufig die sahnelose Variante bevorzugt, in der Kokos- und Rumgeschmack mehr zur Geltung kommen, verziert mit einem Stück Ananas und einer Amarenakirsche. «Charlton Heston, Elizabeth Taylor, Joan Collins und viele andere Stars waren bei uns und haben seit den fünfziger Jahren unsere Piña Colada genossen», erzählt Barchef Davila voller Stolz.

Auch auf anderen Karibikinseln haben Cocktail-Fans in den fünfziger und sechziger Jahren und vermutlich schon früher an einem Mixdrink gearbeitet, der der heutigen Piña Colada sehr nahe kommt. Doch sie hatten kein Marketing und keine Werbung. Ihr Geschick blieb unbemerkt. Die Frage des «wahren» Piña Colada-Erfinders ist weiter umstritten. Doch den Cocktail-Fans ist das egal.

Die Geschichte der Mixgetränke ist noch recht jung und so bunt wie die Zutaten. Mitte des 19. Jahrhunderts machten Pimms's 1, Sidecar, Manhattan und andere Mischungen, die meist auf Brandy und Whisky basieren, in Herrengesellschaften die Runde. Nach der Entstehung von Coca Cola folgte rasch als Cola-Rum-Mix der Cuba Libre. Heute beliebte Cocktails wie Piña Colada, Tequila Sunrise und Daiquiri traten ihren Siegeszug etwa ab 1950 an. Auch John F. Kennedy «outete» sich als Daiquiri-Fan.

Wichtigste Zutat alter karibischen Cocktails mit so klangvollen Namen wie Bahama Mama, Grenada Zombie und Aruba Ariba ist Rum. Denn die meisten der etwa 35 Inseln waren früher vom Anbau des Zuckerrohrs abhängig, aus dem der Branntwein hergestellt wird. Etliche Hotels und Restaurants bieten eine Verkostung im eigenen Rumkeller an. Im «Ritz- Carlton» auf Jamaika ist der «Rummier» Herr über etwa 150 Rumsorten. Mount Gay aus Barbados gilt mit 300 Jahren als ältester Rum. Der bekannteste aber ist Bacardi.

Ostern 1862 eröffnete der spanische Weinhändler Don Facundo Bacardi Massó in Santiago auf Kuba die erste Destillerie. Dem Don gelang es, das damals noch wie Feuer in der Kehle brennende Getränk zu «zivilisieren». Heute wird der Rum mit der Fledermaus in sieben Destillerien weltweit produziert. Auch einen Bacardi-Cocktail gibt es. Der machte in den dreißiger Jahren Schlagzeilen, als ein Gericht in New York entschied, dass er nur mit Bacardi Rum authentisch sei.

Selbst auf einer Mini-Insel wie dem britischen Anguilla mit gerade mal 12 000 Einwohnern lässt fast jeder kleine Supermarkt die Herzen von Cocktail-Fans höher schlagen. David Hodge im Dorf East End hat in seinem «Tropical Flower»-Shop auch Barchefs und Touristen als Kunden.

In dem halben Dutzend Luxushotels Anguillas ließen sich schon Sharon Stone, Chuck Norris und Ted Turner exotische Mix-Drinks schütteln oder rühren. «Ich fing klein an», sagt der 66-jährige Hodge. «Heute habe ich allein 50 Rums von einem Dutzend Inseln, aber auch Zutaten wie Kokoscreme, Angostura und Grenadine sowie Whisky, Wodka und anderes im Angebot.» Und Sohn Willis (31) weiß: «Das Cocktailerlebnis wollen viele Gäste auch in ihrer Villa-Hausbar selber zelebrieren. Dabei helfen wir ihnen.»

Am Sonntagmorgen wollen Vater und Sohn nach Kirchgang und Mittagessen ausspannen. Sie planen eine Rundfahrt zu Freunden. Den Anfang machen sie bei «Scilly Cay», einem Anguilla-Felsatoll im karibischen Meer, nur 200 Meter vom Fischerdorf Island Harbour entfernt. Hier treffen sich wohlbetuchte Cocktail- und Champagnerfans mit einheimischen Freunden bei Rum Pur und eiskaltem Bier. Zwischen üppigen Blüten in Goldgelb, Weiß und Purpur, Agaven, Kakteen, Meertraubenbäumen tanzen Arm und Reich mit einem Glas in der Hand.

«Mein Rumpunsch hat auch (dem Musikmacher und Komponisten) Quinccy Jones und (dem Ex-Skikönig) Alberto Tomba geschmeckt», sagt Eudoxie Wallace. Der attraktive Mittfünfziger mit bronzedunkler Haut, der irische und afrikanische Wurzeln hat, muss mit Dutzenden von Gästen anstoßen. Auch Claudia Schiffer soll hier an der Piña Colada genippt haben. «Das ist aber eine Weile her. Da war sie noch mit ihrem Zauberer zusammen», sagt Eudoxie.

Weiter geht es zu «Uncle Ernie». 85 Jahre jung ist er, kahlköpfig und eine über die Inselgrenzen hinaus bekannte Institution. In seiner hölzernen Beachbar an der hellsandigen Shoal Bay fließen besonders am Wochenende Piña, Rum Punsch und andere Cocktails in Strömen. Eine ältere Blondine mit breitem Texas-Akzent hält beim Tanzen auf dem Bretterboden in der einen Hand ihren Cocktail-Becher, in der anderen mit kräftigem Griff einen schwarzen Insulaner. Der ist sichtlich stolz auf seine opulenten Goldkettchen und Fingerringe.

Zusammen mit «Springer», dem früheren Calypso-King des britischen Eilands heizt «Uncle Ernie» den Tanzenden kräftig ein. Der eine mit Calypso- und Reggaeklängen, der andere mit einem kostenlosen Rum- «Nachschlag» in den Cocktailbecher. Im feinkörnigen Sand bauen Kinder Sandburgen. Vor dem nahen Riff sprüht weiße Gischt auf. Zwei Pelikane gleiten über das kristallklare Wasser. Der Schritt einiger Tanzenden wird schwerer. Rum im Cocktailmix wirkt oft erst nach dem dritten Drink, dann aber kräftig.

Nächstes Ziel von David und Willis Hodge ist die hölzerne Barbecue-Bude von «Chicken-Carl», fünf Kilometer inseleinwärts in der Minihauptstadt The Valley. Die Cocktail-Kultur der Karibik ist hier sehr weit entfernt. Unter einem mächtigen Tamarindenbaum knallen vier Männer ihre Dominosteine auf eine alte Tischplatte. Rum- und Bierflaschen stehen in Griffweite.

An der schlichten Bar mit ihren drei oder vier Schemeln lehnen Fischer, Taxifahrer und Bauleute. Ihren Rum trinken sie so wie die meisten Insulaner zwischen Kuba, Antigua, St. Lucia, Trinidad und Curacao: sonnenwarm in einem großen Schluck aus dem zu einem Drittel gefüllten Glas. Dann wird schnell mit kaltem Wasser «nachgespült». Kneipenchef Carl, so Mitte 60, rückt seine braune Schiebermütze gerade und wendet gekonnt marinierte Hühnerschenkel und Schweinerippen auf dem breiten Grill. Echte Holzkohle glüht darin. In einem großen Topf schmurgeln fangrische Fische.

Den Nachbarn der Karibikinseln hat die Cocktailwelt auch einiges zu verdanken. Lateinamerika wirbt mit Bikinischönheiten, sexy Tänzern und weißen Stränden für seine Touristenziele und die Cocktailhits: Dazu zählen Margarita und Tequila Sunrise mit Agavenschnaps aus Mexiko, Brasiliens Caipirinha mit Limette und einem Zuckerrohrbrand, der nicht mit Rum identisch ist, sowie Pisco Sour, der besonders in Peru und Chile beliebt ist. In Deutschland wurde vor allem Caipirinha zum Renner. Rum-Cocktails wie Piña Colada, Planter's Punch mit Zitronensaft, Grenadine, Orangensaft, braunem Rum und frisch geriebener Muskatnuss sowie Rum Punch mit einer Variation frischer Säfte bleiben gefragt.

In der Karibik aber behaupten sich bei Insulanern Cocktails, die weltweit keine Rolle spielen: Auf Martinique und anderen französischen Inseln wird der Ti-Punch auf Partys, beim Domino- und Kartenspiel, aber auch bei Beerdingung und Trauerfeier genossen. Dieser «kleine Punsch» aus dem 50-prozentigen Rhum Agricole, Limettensaft und Rohrzucker wird auf Guadeloupe «warm», also ohne Eiswürfel serviert. Mancherorts ist es Tradition, das letzte Glas Ti- Punch nicht leer zu trinken, um die Toten zu ehren.

Wie durch geschicktes Marketing Cocktails in die Medien gelangen, beweisen auch die Reiseveranstalter Kubas. Die Stammbars des Schriftstellers Ernest Hemingway, «El Floridita» und «Bodeguita del Medio», fehlen in keinem Reiseführer. Weil Gäste per Busladung kommen, werden nicht selten 40 von Hemingways Lieblingsdrinks Daiquiri oder Mojito auf einen Schlag vorbereitet und schmecken dann manchmal schal und abgestanden. Ein paar Ecken weiter im schlichten «Napoles» in Havanna, wo Kubaner fachsimpeln und Touristen willkommen, aber selten sind, lockt ein frischer Mojito mit Minzezweig und Limettensaft für knapp einen halben Dollar.

Der Rum hat dort weniger Sterne, aber die Augen des Barkeepers strahlen - besonders dann, wenn es außer Kundenlob auch ein kleines Trinkgeld gibt. «Minze und Limette habe ich selbst organisiert», erzählt der adrette Barmann in gestärktem weißen Hemd und rot- schwarzer Weste. «Die staatlichen Betriebe liefern mir meist nur Bier und Rum, aber keine Cocktail-Zutaten.» Die Luft ist rauchgeschwängert. Zwei Gäste aus Alemania nippen entzückt an ihrem preiswerten Mojito. Daneben wird einem Rentner mit zerfurchtem Gesicht aus einer 1,5 Liter Flasche heller Billig-Rum in den Flachmann gefüllt. Der Alte legt Münzen und Pesoscheine auf den Tresen, bekommt noch sechs kräftige «Popular»-Zigaretten in die Hand gezählt und schlurft davon.