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Zurück ins alte Leben Zurück ins alte Leben: Wie Patienten der Geriatrie in Halle wieder fit gemacht werden

Von Bärbel Böttcher 07.11.2018, 05:00
Rosemarie Ackermann wird bei ihren Gehversuchen von Physiotherapeut Robert Viehweg unterstützt. 
Rosemarie Ackermann wird bei ihren Gehversuchen von Physiotherapeut Robert Viehweg unterstützt.  Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Rosemarie Ackermann möchte wieder so laufen können wie vor ihrer Operation. Die 83-Jährige hatte sich das Steißbein gebrochen. „Das verlängerte Rückgrat“, wie sie sagt. Und nun fehlt es ihr an Kraft und Sicherheit. Deshalb übt sie intensiv im Gehbarren. Die Handläufe rechts und links geben ihr Halt. Am Boden hat Physiotherapeut Robert Viehweg mit Luft gefüllte Balancekissen platziert. Der dadurch entstandene instabile Untergrund muss beim Gehen vom Körper ausgeglichen werden. Das stärkt die Muskulatur und den Gleichgewichtssinn. Dient also gleichzeitig der Sturzprophylaxe.

Dabei war es kein Sturz, der Rosemarie Ackermann aus der Bahn geworfen hat, sondern eine unglückliche Bewegung im Sessel. „Plötzlich krachte es fürchterlich“, erzählt sie. Schuld daran sei die hochgradige Osteoporose gewesen, eine Krankheit, bei der die Knochen instabil und brüchig werden. Mit schier unerträglichen Schmerzen kam sie ins Diakoniekrankenhaus in Halle, wo der Bruch verdrahtet wurde. Nun ist sie hier Patientin im Geriatrischen Zentrum.

Geriatrie ist vergleichsweise junges Fach der Medizin

Die Hallenserin ist für die Geriatrie ein ganz typischer Fall. Sie ist bereits älter als 70 Jahre, wird seit längerem wegen verschiedener Krankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes behandelt und hat nun durch ein akutes Leiden ihre Mobilität und damit auch ihre Selbstständigkeit eingebüßt. Vorrübergehend. „Denn bei unseren Patienten besteht die realistische Aussicht, dass sie wieder in ihre gewohnte häusliche Umgebung entlassen werden können“, sagt Chefärztin Dr. Christina Naumann. Darum bemühe sich ein multiprofessionelles Team, bestehend aus Ärzten, speziell geschultem Pflegepersonal, Physio- und Ergotherapeuten, Logopäden, Psychologen sowie Sozialarbeitern.

Die Geriatrie ist ein vergleichsweise junges Fach der Medizin. Entwickelt habe es sich in den 1960er Jahren aus der Notwendigkeit heraus, dass bei älteren Patienten die Rehabilitation eine größere Rolle spielen müsse, sagt Christina Naumann. Erste geriatrische Kliniken seien Anfang der 70er Jahre entstanden. „Der größere Schub kam dann Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre.“ Und der Bedarf wachse. Gerade erst hat das Diakoniekrankenhaus die die Bettenkapazität auf ihren nunmehr drei geriatrischen Stationen von 39 auf 54 erhöht. „Ganz banal gesagt: Die Menschen werden immer älter, die Erkrankungen, die damit einhergehen, nehmen dementsprechend zu“, betont die Ärztin.

Geriatrie und die Selbstständigkeit des Menschen

Bei den etwa 700 Patienten, die pro Jahr auf ihre Stationen kommen, wird zunächst einmal ein sogenanntes geriatrisches Assessment erhoben. Neben einer körperlichen Untersuchung stehen dabei Tests auf dem Programm, bei denen beispielsweise geprüft wird, wie es um die Selbstständigkeit des Menschen bestellt ist. Im Blick hat das Team ebenso kognitive Fähigkeiten wie die Gedächtnisleistung oder die Orientierung.

Durchforstet wird dabei übrigens auch die Medikamentenliste der Patienten, die nicht selten eine beachtliche Länge aufweist. „15 Tabletten sind keine Seltenheit“, sagt Christina Naumann. „Es gibt Verordnungen vom Hausarzt, von Fachärzten und dann kaufen sich die Patienten in der Apotheke noch selbst irgendwelche Tabletten“, fügt sie hinzu. Oftmals stünden darauf auch Medikamente, die für ältere Menschen gänzlich ungeeignet seien. Die Nebenwirkung der einen Pille werde dann mit einer weiteren bekämpft. Das sei ein Teufelskreis. Und den gelte es zu durchbrechen. Das heißt: „Wir schauen, welche Arzneimittel unbedingt nötig sind und versuchen, die langen Listen zu reduzieren.“ Worüber die meisten Betroffenen übrigens recht froh seien.

Geriatrie fokussiert aktive therapeutische Pflege

Ist die Diagnostik abgeschlossen, steht die aktivierende therapeutische Pflege im Mittelpunkt. „Unsere Patienten brauchen sehr viel Zuwendung, vor allem kommunikative Zuwendung und Einfühlungsvermögen“, sagt die Geriaterin. Aber auch Unterstützung. Das beginne morgens bei der Körperpflege. Aktivierend heißt in diesem Fall: Die Patienten werden nicht im Bett von oben bis unten gewaschen. Vielmehr fahren die Pflegekräfte sie im Rollstuhl ins Bad, unterstützen sie bei der selbstständigen Körperpflege, ermutigen sie, geben vielleicht Anweisungen. „Das kostet zwar mehr Zeit“, sagt Christina Naumann. „Aber die nehmen wir uns.“

Sobald es dann der Allgemeinzustand zulässt, wird dafür gesorgt, dass die Kranken aufstehen, sich anziehen, das Zimmer verlassen, dass sie gemeinsam am Tisch sitzend das Essen einnehmen. Und es stehen neben allen anderen Therapien alltagspraktische Übungen auf dem Tagesplan. Es sind die sogenannten geriatrischen „i“, Risiken, die dadurch in Schach gehalten werden sollen: Immobilität, Instabilität, Inkontinenz und intellektueller Abbau sind die wichtigsten.

Rosemarie Ackermann will ins Heim umziehen

Rosemarie Ackermann freut sich an diesem Nachmittag nach ihrem Gehtraining auf einen gemütlichen Kaffeeklatsch mit anderen Patientinnen. Doch dafür muss sie im Aufenthaltsraum der Station erst einmal selbst den Tisch decken. Als Transportmittel für Tassen und Teller dient ihr Rollator. Der Rentnerin, die übrigens zwischen 1949 und 1989 als Maschinensetzerin bei der „Freiheit“ gearbeitet hat, gelingt das schon recht gut. Doch hier in der Klinik hat die Frau Unterstützung von Ergotherapeutin Simone Obert. Wie wird das zu Hause werden, wo sie allein ist?

Bisher, so erzählt sie, sei sie in ihrer Wohnung immer noch ganz gut zurecht gekommen. Trotz mancher Handicaps. Wäsche gewaschen und saubergemacht habe ihre Tochter. „Ein Pflegedienst musste nicht kommen“, sagt Rosemarie Ackermann. „Doch jetzt merke ich, dass die Kraft zu Ende geht.“ Auch für die Tochter, die selbst nicht ganz gesund sei, werde langsam alles zu stressig. Die 83-jährige Mutter möchte ins Heim umziehen. Und zwar dorthin, wo ihr Mann, der an Demenz erkrankt ist, seit knapp einem Jahr schon lebt. Sie will noch ein wenig Zeit mit ihm verbringen. „Solange er uns noch erkennt“, fügt sie leise hinzu.

Kümmern um das Danach

Es ist der Sozialdienst des Hauses, der sich - in Absprache mit den Angehörigen - darum kümmert, wie es nach der Entlassung weitergeht. Seine Mitarbeiter schauen, welcher Pflegegrad vorhanden ist, ob bereits regelmäßig ein Pflegedienst gekommen ist, ob die Pflege vielleicht intensiviert werden muss und dafür ein höherer Pflegegrad beantragt werden sollte. „Bei Patienten, die entscheidungsfähig sind, und das sind hier die meisten, fragen wir auch nach einer Vorsorgevollmacht“, sagt Chefärztin Naumann. Sei keine vorhanden, werde empfohlen, so etwas einzurichten. Damit im Falle eines Falles nicht ein vom Gericht bestellter Fremder Entscheidungen treffen muss.

Eine Möglichkeit, Therapien nach dem stationären Aufenthalt in der Diakonie fortzusetzen, bietet übrigens die geriatrische Tagesklinik. Zwischen fünf und 15 Tage ist das möglich - je nachdem, wie viel Zeit von der Krankenkasse bewilligt werde.

Rosemarie Ackermann fährt erst einmal zur Reha. Sie weiß, dass das mit dem Umzug ins Seniorenheim noch eine Weile dauern kann. „Bis dahin will ich versuchen, zu Hause zurecht zu kommen“, betont sie. „Und dafür brauche ich Fitness.“

››Mehr zum Thema finden Sie unter: www.mz.de/spitzenmedizin

Die Rentnerin deckt mit Hilfe von Ergotherapeutin Simone Obert den Tisch.
Die Rentnerin deckt mit Hilfe von Ergotherapeutin Simone Obert den Tisch.
Andreas Stedtler