Teil 48: Gesundheitsprobleme im Land Teil 48: Gesundheitsprobleme in Sachsen-Anhalt: Interview mit Ministerin Petra Grimm-Benne

Wenn unser Land seine großen Gesundheitsprobleme lösen will, dann muss bei den Jüngsten angefangen werden, sagt Petra Grimm-Benne, Ministerin für Arbeit, Soziales und Integration (SPD). Mit ihr sprachen zum Abschluss der MZ-Gesundheitsserie Hartmut Augustin und Bärbel Böttcher.
Frau Ministerin, Sie gehen gern Walken. Wie oft kommen Sie dazu?
Petra Grimm-Benne: Seit ich im Frühjahr das Ministeramt übernommen habe, leider viel zu selten. Ich nutze jetzt den Sonntag dazu. Früher bin ich auch in der Woche wenigsten noch einmal mit den Stöcken unterwegs gewesen. Es ist eine Bewegung, bei der ich mich gut entspannen kann und den Kopf freibekomme. Ich vermisse das sehr.
Petra Grimm-Benne wurde in Wuppertal geboren. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. 1991 zog sie nach Schönebeck. Die 54-Jährige ist ausgebildete Rechtsanwältin. Lange Zeit war die SPD-Politikerin Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion im Landtag Sachsen-Anhalts. Sie engagierte sich zudem im sozialen Bereich, so als Vorstandsvorsitzende des AWO-Landesverbandes. Seit April ist sie Ministerin für Arbeit, Soziales und Integration.
Da geht es Ihnen anders, als vielen Sachsen-Anhaltern. Wenn man sich die Gesundheitsstatistiken ansieht, dann scheint es, dass Bewegung nicht hoch im Kurs steht.
Grimm-Benne: Ich merke es an mir selber. Der innere Schweinehund muss überwunden werden. Das beginnt im Kopf. Sich etwas Gutes zu tun, kann auch heißen, sich zu bewegen, das kann heißen, die Nudel wegzulassen und einen Salat zu essen, zu überlegen, ob die Zigarette jetzt wirklich nötig ist und ob es nicht reicht, sich das Glas Wein nur am Wochenende zu gönnen.
Wie können Menschen dazu gebracht werden, solche Überlegungen anzustellen?
Grimm-Benne: Es muss früh damit begonnen werden, klarzumachen, wie wichtig gesunde Ernährung ist - bereits in der Kita. Und dass es Spaß macht, sich darum zu kümmern. Hier kann das Kind beispielsweise erleben, wie toll es ist, auch mal Gemüse zu putzen und daraus eine gesunde Suppe zu kochen. Wir haben früher öfter eine Zaubersuppe gekocht: verschiedene Gemüsesorten in einen Topf gepackt und am Ende den Pürierstab hineingehalten. Die Suppe hatte eine schöne Farbe und war zudem gesund. Ich bin fest davon überzeugt, dass das, was den Kleinen beigebracht wird, auch im Erwachsenenalter noch Bestand hat.
Qualität - ob beim Kita- oder Schulessen - hat ihren Preis. Und in Sachsen-Anhalt läuft der Wettbewerb zwischen den Anbietern häufig nach dem Motto: Hauptsache billig. Ist das nicht fatal?
Grimm-Benne: Das ist richtig. Insbesondere beim Schulessen muss die Qualität im Fokus stehen. Es soll nicht nur preiswert, sondern vor allem auch gesund sein. In Sachsen-Anhalt werden bereits seit 2009 über die Vernetzungsstelle Schulverpflegung bei der Landesvereinigung für Gesundheit Caterer, Schulträger und die Akteure in den Schulen dabei unterstützt, den Qualitätsstandard der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) umzusetzen. Was gut funktioniert, sind sogenannte Verpflegungsgremien, in denen sich Bildungseinrichtung, Träger, Elternvertreter und Caterer verständigen, wie das Essen aussehen sollte. Das bietet die Chance, ein gemeinsames Verständnis von gesunder Ernährung zu erarbeiten.
Und das gelingt?
Grimm-Benne: Insbesondere in den Kitas und auch in den Grundschulen findet derzeit ein Umdenken statt. Immer mehr Eltern sind bereit, etwas tiefer in die Tasche zu greifen, wenn sie wissen, dass ihre Kinder gesund ernährt werden. Und: Viele Kitas gehen dazu über, Ganztagsverpflegung anzubieten, also neben dem Mittagessen auch noch ein gesundes Frühstück, eine Obstmahlzeit oder anderes. Häufig wird auch wieder selbst gekocht. Übrigens - bundesweit betrachtet - sind von den Kitas, die sich Gesundheit auf die Fahnen geschrieben haben, überproportional viele in Sachsen-Anhalt. Von den bundesweit über die Vernetzungsstellen Schulverpflegung als „Gesunde Schule“ zertifizierten 181 Schulen, sind 66 bei uns. Sie sorgen sich übrigens nicht nur um gesunde Ernährung. Mittlerweile gibt es auch überall Bewegungsräume.
Bleiben wir bei der Ernährung. In der Kita bekommen die Kleinen Gesundes - und zu Hause?
Grimm-Benne: Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Wir müssen auch intensiv mit den Eltern zusammenarbeiten, sie noch stärker sensibilisieren. Leider ist es oft so, dass das, was in Sachen gesunder Ernährung den Kitas vermittelt wird, zu Hause nicht weitergeführt wird.
Warum klappt das bei den Eltern nicht?
Grimm-Benne: Viele Eltern haben verlernt, selbst zu kochen. Ich habe mir das noch bei meiner Mutter abgeschaut. Aber diese Tradition geht mehr und mehr verloren. Heute wird zu schnell zu einem Fertiggericht gegriffen. Es müsste wieder verstärkt vermittelt werden, wie man bewusst einkauft und dann die Mahlzeiten auch selbst zubereitet.
Zum Beispiel durch ein Unterrichtsfach „Gesunde Ernährung“?
Grimm-Benne: Ja. So etwas müsste es geben. Kochen und alles was damit zusammenhängt als Unterrichtsfach anzubieten, oder zumindest mehr Arbeitsgemeinschaften an Schulen einzurichten, das wäre wichtig.
Sachsen-Anhalt als Spitzenreiter bei Herz-Kreislauferkrankungen und das neue Präventionsgesetz
Waren die Sachsen-Anhalter in den vergangenen 25 Jahren vielleicht zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt und haben die eigene Gesundheit deshalb vernachlässigt?
Grimm-Benne: Das spielt eine Rolle. Da gibt es diejenigen, die viel arbeiten und kaum noch Zeit haben, sich mit ihren Kindern einmal am Tag gemeinsam an den Tisch zu setzen. Die gemeinsame Familienmahlzeit wird immer seltener. Und dann gibt es Menschen, die in der neuen Gesellschaft nicht richtig angekommen sind, die das Gefühl haben, nie eine Chance bekommen zu haben, an den gesellschaftlichen Prozessen und vor allem auch nicht am Arbeitsleben teilzunehmen. Langzeitarbeitslose haben viele Sorgen und Probleme und ein Teil von ihnen macht sich vielleicht auch deshalb nicht vorrangig Gedanken darum, ob ihre Kinder so gesund wie möglich aufwachsen. Wenn Familien den Besuch einer Fast-Food-Kette als Höhepunkt ansehen, dann ist das weder gesund noch tut es dem Geldbeutel gut. Ich habe nichts gegen einen gelegentlichen Burger. Solange wir uns einig sind: Man kann Kindern auch anders eine Freude machen.
Langfristig führt häufiger Fast-Food-Genuss auch dazu, dass Sachsen-Anhalt die Statistiken der Herz- Kreislauferkrankungen anführt.
Grimm-Benne: Wie gesagt, um das zu ändern, muss ein Schalter im Kopf umgelegt werden.
Aber wie geht das?
Grimm-Benne: Ich setze große Hoffnungen in das Präventionsgesetz, das im vergangenen Jahr verabschiedet wurde. Wir haben lange darauf gewartet. Denn auf der Grundlage dieses Gesetzes werden die gesetzlichen Krankenkassen mit Geld ausgestattet, um für ihre Versicherten Gesundheitsprojekte aufzulegen. Da entwickelt sich gerade sehr viel - nicht nur, was gesunde Ernährung anbelangt, sondern auch im Bereich der Bewegung oder bei Hilfestellungen, um mit dem Rauchen aufzuhören.
Also setzen Sie hauptsächlich auf die Krankenkassen?
Grimm-Benne: Sie haben die Mittel dafür bekommen. Das Land gibt die Ziele vor. Wir sind uns mit ihnen übrigens schnell einig darüber geworden, dass im Mittelpunkt der Prävention Herz- Kreislauferkrankungen und Diabetes stehen müssen. Und dass da im Kindesalter angesetzt werden muss. Entsprechend hat das Land seine Gesundheitsziele formuliert. Da geht es vor allem um Ernährung, Bewegung, um das Rauchen und den Alkohol-Konsum.
Das Ergebnis unserer MZ-Gesundheitsserie ist eindeutig: Sachsen-Anhalt ist das ungesündeste Bundesland in Deutschland. Das zu ändern, ist eine große Aufgabe und Verantwortung für die gesamte Landesregierung...
Grimm-Benne: Ehrlich gesagt, ich habe manchmal schon das Gefühl, ziemlich allein dazustehen. Debatten über Kinderbetreuung sind zu oft nur Auseinandersetzungen um das Geld. Wenn wir gute und gesundheitsbewusste Kitas haben wollen, dann gibt es das nicht zum Nulltarif. Wenn unser Land die großen Gesundheitsprobleme lösen will, dann müssen wir bei den Jüngsten anfangen. Die Kindertagesstätten sind der Schlüssel. Wir brauchen gute Konzepte und gut ausgebildete Fachkräfte. In den entsprechenden Debatten würde ich mir auf allen politischen Ebenen breite Unterstützung wünschen, auch im Kabinett.
