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Streit um die Spritze Streit um die Spritze: Dürfen Kitas nicht geimpfte Kinder ablehnen?

Von Jessica Quick 27.08.2018, 13:01
Die Impfungen gegen Gürtelrose bekommen Menschen ab 60 Jahren von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt - bei höherem Risiko schon ab 50. (Symbolbild)
Die Impfungen gegen Gürtelrose bekommen Menschen ab 60 Jahren von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt - bei höherem Risiko schon ab 50. (Symbolbild) dpa

Wethautal - Ohne Impfung kein Kitaplatz? Die Verbandsgemeinde Wethautal (Burgenlandkreis) hat jetzt Ernst gemacht: Wollen Eltern ihre Kinder in den Kindereinrichtungen vor Ort betreuen lassen, muss der Nachwuchs geimpft sein.

Während sich die Frage nach der Impfung zu DDR-Zeiten gar nicht gestellt hatte, ist sie heute für manche zur Lebenseinstellung geworden. Impfgegner verwehren sich gegen einige oder sogar alle Empfehlungen der vom Robert-Koch-Institut fachlich geführten Ständigen Impfkommission (Stiko) und gefährden damit die Effekte der flächendeckenden Impfstrategie für Deutschland.

Doch aus welchem Grund? Das individuelle Nutzen-Risiko-Verhältnis wird von der Stiko genau analysiert. „Die Impfempfehlung basiert auf epidemiologischen Daten“, erklärt auch Amtsärztin Christine Gröger aus Halle. Mit Eintritt in die Kita sollte ein altersgerechter, kompletter Impfschutz vorliegen, so die Ärztin. „Es gibt bei den Empfehlungen nur wenige Impfungen, die individuell anders zu entscheiden sein können“, sagt Gröger.

Windpocken für Schwangere, Neugeborene und Erwachsene gefährlich

Einige Eltern und auch Kinderärzte sind dennoch der Meinung, dass gesunde Kinder eine Krankheit wie Windpocken durchaus selbst durchlaufen könnten und so auch ohne den Pikser ein Leben lang immun sind. Laut der Kommission ist die Infektion mit dem sogenannten Varizellen-Zoster-Virus aber alles andere als eine ungefährliche Kinderkrankheit.

In der Schwangerschaft, für Neugeborene und für Erwachsene können Windpocken gefährlich werden. Für einen vollen Schutz empfiehlt die Stiko eine Impfung in zwei Schritten: Im Alter von elf bis 14 Monaten und die zweite im Alter von 15 bis 23 Monaten (siehe Grafik „Impfkalender“).

Durchschnittlich 250 stark juckende Knötchen und Bläschen können den Körper bei einer Windpocken-Erkrankung übersäen. Dazu hat man Fieber. Nach drei bis fünf Tagen klingt die hoch ansteckende Krankheit langsam wieder ab. Bei Erwachsenen hingegen kommt es häufig zu Komplikationen. Bei 20 Prozent der Erkrankten tritt etwa eine Lungenentzündung auf, die besonders gefährlich sein kann.

Keine Angst vor der Spritze - Sachsen-Anhalter lassen sich häufig impfen

Menschen in Sachsen-Anhalt müssen sich beim Thema Impfen glücklicherweise wenig sorgen. „Die Impfquoten hinsichtlich der Rota-, HPV, Masern-, Pneumokokken- und Influenza-Impfungen gehören zu den höchsten in Deutschland“, sagt Impfexperte Gunther Gosch, Vorstandsmitglied der Ärztekammer Sachsen-Anhalt.

Bei der Masernimmunisierung liegen laut Robert-Koch-Institut die Durchimpfungsrate sachsen-anhaltischer Kleinkinder mit 98,3 Prozent bei der ersten Impfung und 95,7 Prozent bei der zweiten oberhalb des Bundesdurchschnitts. Um die Masern zu eliminieren, sei eine Impfquote von mindestens 95 Prozent notwendig. „Obwohl wir schon in der oberen Liga mitspielen, können wir uns nicht zurücklehnen“, sagt der Kinderarzt.

Keuchhusten auch in Sachsen-Anhalt ernst zu nehmende Gefahr

Allerdings: Mit Blick auf die Durchimpfungsrate bildet Keuchhusten auch in Sachsen-Anhalt eine ernst zu nehmende Gefahr. Die Anzahl der Erkrankten ist erheblich angestiegen. Wurden 2016 noch 260 Keuchhustenfälle bestätigt, so waren es 2017 schon mehr als 760 registrierte Fälle. Auch Amtsärztin Gröger bestätigt: „Die Keuchhustenimpfung wird bei der Auffrischungen für Erwachsene oder im Zusammenhang mit der Immunisierung nach einer Verletzung in den Notfallambulanzen oft vernachlässigt.“

Wichtig ist sie vor allem für Frauen, die planen, schwanger zu werden. Sie sollten überprüfen, ob sie über einen vollständigen Impfschutz verfügen. Denn: Für das erste halben Jahr bekommen die Neugeborenen über die Plazenta der Mutter eine Art Nestschutz mit. Dieser werde nach und nach vom Körper abgebaut, sagt Gröger. Im Übrigen können einige Impfungen auch noch während der Schwangerschaft nachgeholt werden.

Wann müssen Kitas nicht geimpfte Kinder aufnehmen?

Während in Ländern wie den USA, Italien oder Frankreich verschiedene Impfungen verpflichtend sind, kann in Deutschland jeder selbst entscheiden. Wichtig ist, dass man sich beraten lassen hat. Auch wenn es mitunter für andere Kinder gefährlich werden kann:

„Kitas können nicht geimpfte Kinder nur so lange von einem Besuch der Einrichtung ausschließen, wie die Eltern keine Impfberatung vorweisen“, sagt Peggy Wießner, Sprecherin vom Landesamt für Verbraucherschutz. Werde aber ein Beratungsnachweis vorgelegt, müsse in Sachsen-Anhalt auch das nicht geimpfte Kind aufgenommen werden.

Laut Infektionsschutzgesetz haben Eltern bei der Erstaufnahme in eine Kita die Impfungen beziehungsweise die Beratung vorzuweisen. Die Kita sei verpflichtet, dem Gesundheitsamt mitzuteilen, ob bei einem unvollständigen Impfstatus eine Impfberatung erfolgte, erklärt die hallesche Amtsärztin Christine Gröger. Das Amt kann Eltern einladen und aufklären - muss aber nicht.

Arzt steht in der Pflicht

In Halle habe es vor einigen Jahren ebenfalls einen Kitaträger gegeben, der in seiner Satzung festgelegt hatte, dass er keine ungeimpften Kinder aufnimmt, erinnert sich Gröger. Allerdings gibt es einen Rechtsanspruch auf den Kitaplatz.

„In einer Stadt wie Halle ist das noch gut zu kompensieren, denn das Angebot ist vielgestaltig, sodass sich jeder im Vorfeld mit der Philosophie der Tagesstätte auseinandersetzen kann“, sagt die Amtsärztin. Dass allerdings wie vor kurzem in Sachsen Ärzte ungeimpfte Kinder ablehnen, hält Christine Gröger für undenkbar: „Ein Arzt ist immer verpflichtet, eine Erstversorgung, also Notfallbehandlung, vorzunehmen.“ Er könne höchstens im weiteren Verlauf die Behandlung nicht weiterführen.

Wenn Impfen keine Pflicht ist, wie lassen sich Gegner umstimmen? Vielleicht mit dem Fakt, dass - falls Masern auftreten - nicht geimpfte Kinder die Schule nicht betreten dürfen. 14 bis 21 Tage können sie von der Schule ausgeschlossen werden, wenn sie nicht nach fünf Tagen eine Impfung nachweisen können. „Das ist vor allem für Eltern mit Grundschulkindern eine Herausforderung, da die Betreuung ihrer Kinder sichergestellt werden muss“, sagt Gröger. Dennoch: „Am Ende profitieren die Impfgegner von denen, die geimpft worden sind.“ Die extremen Gegner könne man nicht bekehren. (mz)