1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Gesundheit
  6. >
  7. Rechenschwäche: Rechenschwäche: Auf eigenen Wegen durchs Reich der Zahlen

Rechenschwäche Rechenschwäche: Auf eigenen Wegen durchs Reich der Zahlen

Von Katrin Zeug 07.04.2004, 08:59
Vielen Kindern fällt das Mathematik-Lernen mit anschaulichen Lernmethoden leichter. (Foto:dpa)
Vielen Kindern fällt das Mathematik-Lernen mit anschaulichen Lernmethoden leichter. (Foto:dpa) Zentralbild

Verden/Hannover/dpa. - Unendliche Zahlenräume, abstrakte Formeln und meist kein Anhaltspunkt, wofür die Mathematik gebraucht werden könnte: So richtig wohl fühlen sich die wenigsten Schüler im komplexen System der Zahlen. Wenn der Rechenfrust aber schlimmer und ein Kind im Matheunterricht zum Problemfall wird, sind Lehrer und Eltern oft ratlos. Verbissenes Üben ist meist die Konsequenz, ein Bescheid über Lernschwäche oder sogar eine Verhaltensstörung das traurige Ergebnis. Die Meinungen zu den Ursachen von Rechenproblemen gehen unter Experten weit auseinander.

Die Lösungsvorschläge gipfeln fast immer in der gleichen Forderung: Auf Kinder muss individueller eingegangen werden. «Kinder lernen sehr unterschiedlich. Wenn die persönlichen Methoden akzeptiert werden, können alle rechnen», meint Barthold Wilkens, Lehrer und Fachberater bei Rechenschwäche aus dem niedersächsischen Verden.

Laut Professor Gerhard Porps von der Universität Hannover bedürfen 20 Prozent der Grundschüler besonderer Förderung im Rechnen. Bisher werden Ursachenanalysen jedoch vernachlässigt und die Kinder schlicht zum Üben geschickt. Rund 3,5 Milliarden Euro geben Eltern jährlich insgesamt für Nachhilfe aus. Mathe sei dabei neben Fremdsprachen der größte Bereich, sagt Renate Hendricks, Vorsitzende des Bundeselternrats (BER) in Bonn.

Josef Kraus, Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbandes (DL) in Bonn, sieht die Gründe für mangelnde Mathematikleistungen im schlechten Bild des Fachs in der Öffentlichkeit. «In Deutschland ist es salonfähig, von Mathe keine Ahnung zu haben - und viele Schüler unterschätzen die Notwendigkeit von mathematischem Wissen», so Kraus.

Die Ursachen liegen weit verstreut und sind schwer voneinander abzugrenzen. Manchen Kindern fehlt das Interesse an mathematischen Zusammenhängen, manchen die Begabung, diese auf dem vom Lehrer vorgegebenen Weg zu lösen. Konzentrationsschwäche, Sehstörungen und Versagensängste können ebenso Gründe sein wie häufige Lehrerwechsel, erläutert Professor Porps. Wichtig für Kinder mit Problemen in Mathe sei immer die Veranschaulichung der Zahlen. Perlenketten und Würfelspiele, aber auch Finger und kleine Geldmengen zum Selbstverwalten können Kindern den Umgang mit Zahlen näher bringen.

Hans-Joachim Lukow vom Zentrum für angewandte Lernforschung in Osnabrück weist darauf hin, dass bei schwerwiegenden Rechenproblemen, auch Dyskalkulie genannt, eine Lerntherapie angesetzt werden sollte. «Dyskalkulie ist keine unheilbare Krankheit, die Kinder bedürfen aber auf jeden Fall einer verstärkten Förderung», sagt Lukow.

«Die Angst zu versagen blockiert das Kind, und es kann gar nichts mehr», weiß Dieter Ellrott von der Universität Bremen. Wichtig ist daher in erster Linie, den Kindern ihr Selbstvertrauen zurückzugeben und sie nicht unter Erfolgsdruck zu setzen. Dafür ist Zusammenarbeit von Eltern und Lehrern unbedingt nötig. Auch Sportarten aus Kampfkunst oder Tanz können das Selbstbewusstsein stärken und zusätzlich das räumliche Vorstellungsvermögen schulen, sagt Porps.

Dass Mathe nicht das Lieblingsfach aller Schüler ist, hält Dieter Ellrott für kein Geheimnis. Aber eine «Mathe-Krankheit» will der Pädagoge nicht gelten lassen. «Bei bisher 3000 untersuchten Schülern mit Rechenproblemen ist mir noch keiner untergekommen, der ein hoffnungsloser Fall war.»