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Psychologie Psychologie: Schwerer Abschied von den Weggefährten

Von Renate Giesler 10.11.2004, 13:05
Blick in die Vergangenheit - Trauer ist wichtig, um den Verlust von Angehörigen oder Freunden verarbeiten zu können. Wer sich jedoch im Gram verliert, riskiert Erkrankungen an Körper und Seele. (Foto: dpa)
Blick in die Vergangenheit - Trauer ist wichtig, um den Verlust von Angehörigen oder Freunden verarbeiten zu können. Wer sich jedoch im Gram verliert, riskiert Erkrankungen an Körper und Seele. (Foto: dpa) Mascha Brichta

Erlangen/München/Kassel/dpa. - Den Tod nahestehender Personenzu bewältigen, ist niemals leicht. Zum Lebensende jedoch nehmenMenschen einen solchen Verlust noch stärker wahr. «Ältere Menschentrauern anders als jüngere», sagt Prof. Heinz Jürgen Kaiser vomInstitut für Psychogerontologie der Universität Erlangen. «Ihrsoziales Netzwerk wird dünner. Sie müssen häufiger Abschied nehmenvon Weggefährten und erfahren hautnah, was der Herbst des Lebensbedeutet.» Doch Trauern ist keine Krankheit - nur wenn man sich nichtdamit beschäftigt, kann sie krank machen.

Verschleppte Trauer nimmt immer auch Lebensenergie. Heinz JürgenKaiser beobachtet vor allem bei den hinterbliebenden Männern eineErhöhung des Krankheitsrisikos: «Die Trauer wird in körperlicheBeschwerden umgesetzt: Angst, Depressionen und Selbstmordgefährdungsind die Folge.»

Dass die Situation für Senioren eine besondere ist, sieht auchPetra Rechenberg-Winter so, die als Diplom-Pädagogin undPsychotherapeutin im Münchener Instituts für Trauerpädagogikarbeitet. Das M.I.T. gibt Fortbildungen für Bestatter,Trauerbegleiter, Seelsorger und Mediziner. Dabei wird auch die Trauerälterer Menschen behandelt: «Oft wollen sie keinem zur Last fallen -aber jeder von uns braucht ein Gegenüber, sonst geraten wir schnellin die Desorientierung.»

Genau das müssen Trauerbegleiter vermitteln, so Rechenberg-Winter. Oft hat sie beobachtet, dass bei all denen, die Krieg und Fluchterlebt haben, durch den Tod des Mannes oder der Freundin die altenVerluste wieder aktualisiert werden. Doch wer ergraut ist, mussständig Abschied nehmen: «Von alten Rollen, von der eigenen Wohnung,der guten Sehfähigkeit und der Fitness.» Für die Fachfrau ist esdeshalb ein Zeichen von Stärke, sich im Trauerfall Unterstützung zuholen.

«Wir sind heute die Krisenagenten Nummer eins», sagt PeterKracheletz. Er ist in der dritten Generation Bestatter in Kassel, imNebenberuf Diakon, und leistet auf Wunsch Trauerbegleitung in allenPhasen. Über den Geschäftsräumen richtete er eine Begegnungsstätteein und gründete zusammen mit einem Pfarrer eine Selbsthilfegruppefür Trauernde. Die Teilnahme ist kostenlos. Die Zeitspanne, dieWitwer und Witwen in der Selbsthilfegruppe verbringen, ist sehrunterschiedlich. Das Bedürfnis nach Begleitung in der Trauerzeit seiso verschieden wie die Trauer, so Kracheletz. Manche kommen Jahre.

Annette-Susanne Hecker von «Am Rand der Zeit» und eine Kolleginbieten in Hamburg Tageswanderungen für Trauernde an. «Die Natur hatetwas sehr Tröstliches, und es tut gut, wieder in Bewegung zukommen.» Auf die Idee kamen die Trauerbegleiterinnen durch Gesprächemit Witwen, die sich nicht mehr trauten, allein die Wege zu gehen,die sie jahrelang zu zweit gegangen waren. Aus Angst, das fünfte Radam Wagen zu sein, schlossen sie sich den Spaziergängen von Freundenoder Nachbarn nicht mehr an.

Froh seien die Teilnehmer der ersten vierstündigen Wanderunggewesen, dass sie neue Wege gehen konnten - mit fremden Menschen, dieaber Vergleichbares erlebt hatten. «Jeder hörte gern und aufmerksamzu, wenn eine andere Teilnehmerin von ihrem verstorbenen Mannerzählte. Dabei sagte keiner Sätze wie «nun ist aber gut» oder «dasLeben geht doch weiter», beschreibt Diplom-Psychologin Hecker denAustausch in der Gruppe. Zum Abschluss des Tages stieg sie mit denTeilnehmern auf eine Aussichtsplattform und ließ sie Seifenblasen aufdie Reise schicken. «Wir brauchen Rituale, nur so können wir langsamloslassen.»

Um das Abschiednehmen und den Neuanfang geht es auch bei denTrauerseminaren auf Spiekeroog. «Eine Insel hat symbolischeBedeutung», sagt Pastorin Birgit Hagen, die das das fünftägigeSeminar leitet. Schon bei der Überfahrt lasse man ein Stück seinesAlltags zurück. Auf der Insel rückten die Teilnehmer näher zu einerGemeinschaft zusammen. Birgit Hagen lässt den Teilnehmern neben Redenund Schweigen in der Gruppe Zeit zum Lesen und Bewegen. Veranstalterdieses Seminars ist die Evangelische Gemeindeakademie Osnabrück, aberauch in anderen Orten gibt es solche Angebote der Kirchen.

Weil es für viele ein Problem ist, an den nächsten Urlaub zudenken, wenn der Partner gestorben ist, hat die TrauerberaterinMartina Taruttis-Schöndelen die TrauDichReisen konzipiert. Sie bietetfür kleine Gruppen ruhige Urlaubsziele in Deutschland und aufMallorca an und steht währenddessen für Gespräche zur Verfügung.

Um etwas Praktisches und zugleich Sinnliches geht es bei demzweitägigen Seminar «Kochen mit Trauernden» der Trauerakademie FritzRoth in Bergisch Gladbach. Beim letzten Mal nahmen Männer und Frauenzwischen 50 und 70 Jahren teil. «Trauer hat auch mit Liebe zu tun,und Liebe geht durch den Magen», beschreibt Fritz Roth seinen Ansatz.Oft haben Witwen und Witwer keine Lust, für sich allein zu kochen.Zugleich vermissen sie das Ritual der gemeinsamen Mahlzeit. «Ichmöchte sie aus der Passivität herauszuholen und ihre Lebensfreude zuwecken durch ein Gemeinschaftserlebnis.»

Der Trauerbegleiter geht mit den Kursteilnehmern morgens auf denMarkt, wo frische Produkte für das Vier-Gang-Menü ausgesucht werden.«Endlich wieder riechen, probieren und mit den Händlern ein paarWorte wechseln - das tut vielen gut», erläutert Roth. Bei Tisch trägtjeder noch etwas vor, das kann ein Lied sein, eine Anekdote oder einGedicht. So lernen die Teilnehmer schrittweise, ihre Trauer zubewältigen.