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Oberschenkelhalsbruch Oberschenkelhalsbruch bei alten Menschen: Nach einer OP stirbt jeder Fünfte über 70

Von Bärbel Böttcher 07.01.2019, 11:34
Vera Issel übt mit der Physiotherapeutin Adrienne Schade das Treppensteigen.
Vera Issel übt mit der Physiotherapeutin Adrienne Schade das Treppensteigen. Andreas Stedtler

Eisleben - Wie der Sturz passiert ist, das kann Vera Issel gar nicht genau sagen. „Ich war mit meinem Mann auf dem Weg zur Fußpflege. Plötzlich lagen wir da“, erzählt sie. Die 81-jährige Allstedterin (Landkreis Mansfeld-Südharz) trägt eine schwere Verletzung davon.

Die Ärzte der Helios Klinik Eisleben diagnostizieren einen hüftgelenksnahen Bruch des rechten Oberschenkelknochens. Eine Operation ist unumgänglich. Doch was wird danach?

Oberschenkelhalsbruch: Komplette Heilung nach der Reha?

Vera Issel geht besonders eine Frage durch den Kopf: Werde ich wieder so wie vorher laufen können? Bisher sind sie und ihr Mann, der bei dem Sturz übrigens nur geringe Blessuren erlitten hat, gut allein zurecht gekommen. Aber wird das so bleiben? Die Chancen dafür stehen gut.

Denn Vera Issel wird im Alterstraumatologischen Zentrum (ATZ) der Helios-Kliniken Eisleben und Hettstedt versorgt. Hier arbeiten seit Anfang 2017 Unfallchirurgen und Gerontologen, also Altersmediziner, eng im Team zusammen. Ihr gemeinsames Ziel ist es, ältere Patienten nach einem Unfall rasch wieder auf die Beine zu bringen. Sie so schnell wie möglich in ihren gewohnten Alltag zu entlassen.

Oberschenkelhalsbruch: OP bringt Risiken mit sich

Die ersten Zentren dieser Art wurden in Deutschland vor etwa zehn Jahren gegründet. Auf Initiative der Unfallchirurgen. „Entstanden sind sie aus der Erkenntnis heraus, dass der alte Mensch beispielsweise nach einem Oberschenkelhalsbruch nicht allein durch einen Nagel, eine Platte oder eine Hüftprothese geheilt wird“, sagt Dr. Lutz Lindemann-Sperfeld, Chefarzt der Orthopädie der Helios Klinik Hettstedt und des ATZ.

Die Komplikationsrate nach derartigen Eingriffen sei hoch. „Und leider sterben nach einer solchen Verletzung innerhalb eines Jahres immer noch 20 Prozent der über 70-jährigen Patienten.“ Das, so unterstreicht der Mediziner, liege allerdings nicht an den Operationen selbst, sondern daran, dass die Patienten durch zahlreiche Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, schweren Infektionen, Diabetes oder urologische Beschwerden bereits geschwächt in die Klinik kämen.

Bei Oberschenkelhalsbruch: Begleiterkrankungen sollen gleichzeitig therapiert werden

„Werden diese Krankheiten, die den Heilungsprozess erheblich beeinträchtigen, aber gleichzeitig kompetent therapiert, hat der Patient eine wesentlich höhere Überlebenschance“, unterstreicht Lutz Lindemann-Sperfeld. Das sei inzwischen wissenschaftlich bewiesen und nicht mehr nur ein Gefühl.

Seit knapp zwei Jahren wird in Eisleben, wo das Zentrum seinen Standort hat, nun nach diesem Konzept gearbeitet. Schon bei der Einlieferung nehmen Unfallchirurgen und Altersmediziner die Patienten gemeinsam in Empfang, wählen die aus, die für das ATZ in Frage kommen. Das sind die, bei denen die erfahrenen Mediziner gute Chancen sehen, dass sie sich relativ rasch erholen.

Oberschenkelhalsbruch: OP gleich am Tag der Aufnahme

Mediziner beider Disziplinen begutachten die aktuelle Verletzung, deren Versorgung natürlich an erster Stelle steht, haben aber auch mögliche andere Erkrankungen im Blick. Gemeinsam legen sie dann die weitere Vorgehensweise fest. „Die Patienten sollten so schnell wie möglich, im besten Fall schon am Tag der Aufnahme, operiert und nach einem kurzzeitigem Aufenthalt auf der Orthopädie/Unfallchirurgie ins ATZ verlegt werden“, erklärt Oberarzt Johannes Fittkau.

Hier beginne dann nach der Behandlung ihrer Verletzung sofort die sogenannte geriatrischen Akut-Reha. Das heißt, die Unfallchirurgen kümmern sich darum, dass sie mobil bleiben. Die Altersmediziner zeitgleich um die Begleiterkrankungen. Früher, so sagt Mario Schulter, Geschäftsführer der Klinik, sei das hintereinander erfolgt. Dadurch sei viel Zeit verloren gegangen.

Oberschenkelhalsbruch Symptome: Wie kam es zu dem Sturz?

Bei Vera Issel wollen die Ärzte nun zügig herausfinden, wie es zu ihrem Sturz kam. Sie selbst kann sich daran nicht erinnern, ob sie einfach gestolpert ist oder ob ihr vielleicht schwindlig war. „Aber der Sturz zeigt, dass etwas nicht in Ordnung ist“, sagt Johannes Fittkau.

Manchmal stecke ein ganz simpler Grund dahinter. „Bei vielen Patienten lohnt es sich, einen genauen Blick auf den Tablettencocktail zu werfen, den sie jeden Tag schlucken“, unterstreicht er. Oftmals gebe es Wechselwirkungen, die zu den beklagten Symptomen führten. Und oftmals könnten einige der Pillen abgesetzt werden.

Oberschenkelhalsbruch: Soziale Integration erhöht Heilungschance

In anderen Fällen müsse einfach die Stärke der Brille verändert werden. Um das alles kümmert sich das Team des Alterstraumatologischen Zentrums, zu dem neben den Ärzten auch speziell geschulte Pflegekräfte, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten sowie ein Sozialdienst gehören. Untergebracht ist das ATZ auf der geriatrischen Station in Eisleben.

Und obwohl es eine selbstständige Einheit ist, können die Patienten die therapeutischen Einrichtungen der Geriatrie mitnutzen. „Wesentliches Ziel der Behandlung im ATZ ist es auch, die frühe soziale Integration wieder herzustellen“, betont Johannes Fittkau. Das verbessere nachweislich den Heilungsprozess.

Oberschenkelhalsbruch: Patienten sollen nach der OP sofort wieder unter Leute

Anders ausgedrückt: Die Patienten sollen sich nicht in ihren Zimmern verkriechen. Deshalb nehmen sie die Mahlzeiten gemeinsam im Aufenthaltsraum ein. „Sie sitzen alle zusammen an einem Tisch, unterhalten sich und genießen sichtlich die Gemeinschaft“, sagt Johannes Fittkau.

„Die Frauen ziehen sich zum Essen um, frisieren und schminken sich“, ergänzt Lutz Lindemann-Sperfeld. Das würden sie wohl nicht machen, säßen sie allein im Zimmer.

Oberschenkelhalsbruch: Vera Issel lernt kurz nach der OP das Laufen

Vera Issel fühlt sich im ATZ wohl. Freundlich, aufmerksam und umsichtig seien die Mitarbeiter, sagt die ehemalige Bürgermeisterin von Arnstedt. Sie unterhält sich gern mit ihnen über das, was in ihrer Amtszeit, die immerhin 20 Jahre dauerte, erlebt hat. Vor allem aber übt sie schon kurz nach der OP das Laufen. Und das Treppensteigen.

Zu Hause muss sie 14 Stufen bewältigen, um in die Wohnräume ihres Hauses zu gelangen. Bad und Toilette liegen dagegen ebenerdig. Das ist eine Herausforderung. Aber die 81-Jährige kann sich nicht vorstellen, aus ihrem Haus ausziehen zu müssen. Deshalb legt sie einen unbändigen Willen an den Tag.

ATZ: 200 Patienten wurden schon behandelt

Sechs Betten hat das ATZ derzeit zur Verfügung. Sie sind gut ausgelastet. Knapp 200 Patienten wurden seit der Eröffnung hier behandelt. Und es gibt auch schon Überlegungen, das Zentrum zu erweitern. „Der Bedarf ist auf alle Fälle da“, sagt Geschäftsführer Mario Schulter.

Die Helios-Kliniken Hettstedt und Eisleben, die jetzt auf ein Qualitätssiegel für ihr ATZ hoffen, sprich: auf eine Zertifizierung durch die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU), gehören in den neuen Ländern auf diesem Gebiet zu den Vorreitern.

Oberschenkelhalsbruch: Stürze nehmen mit steigendem Alter zu

Laut DGU gibt es hier bislang vier bereits zertifizierte Zentren, von denen zwei in Sachsen-Anhalt liegen. Nämlich in Bitterfeld-Wolfen und in Dessau-Roßlau. Acht stehen vor der Zertifizierung vor - drei davon liegen wiederum in Sachsen-Anhalt.

„Die Bevölkerung unserer Region hat einen hohen Altersdurchschnitt“, sagt Mario Schulter. Der liegt im Landkreis Mansfeld-Südharz gegenwärtig bei 49 Jahren. Im Bundesdurchschnitt sind es 44 Jahre. Während nur jeder zehnte Einwohner in Mansfeld-Südharz jünger als 18 Jahre ist, ist bereits jeder vierte älter als 65 Jahre.

Und mit steigendem Lebensalter nehmen die Stürze zu. Die Helios Kliniken haben darauf mit dem ATZ reagiert. Patienten wie Vera Issel profitieren nun davon. (mz)