Kinder Kinder: Schielen in den meisten Fällen heilbar
Landshut/gms. - «Andererseits werden sieauch für etwas zurückgeblieben gehalten und weniger gefördert.»Tatsache ist: Die Kinder knüpfen schwerer Kontakt zu Spielgefährtenund werden leicht zu Außenseitern. Im Erwachsenenalter leiden sie oftunter psychischen Störungen und sind nicht selten in ihrer Berufswahleingeschränkt. Dabei ist Schielen, unter Medizinern Strabismusgenannt, heute in den meisten Fällen heilbar - gerade bei Kindern.
Diese leiden in der Regel unter so genanntem Begleitschielen.Anders als Lähmungsschielen, das in allen Altersstufen auftreten kannund durch den Ausfall der Augenmuskeln verursacht wird, trittBegleitschielen immer im Kleinkindalter auf und wird daher auch alsfrühkindliches Schielen bezeichnet. Auslöser ist meistens eine starkeWeitsichtigkeit. Doch zur Sehschwäche müssen weitere Faktoren kommen,damit sie zum Schielen führt. Zum Beispiel eine Fusionsschwäche, alsodie Unfähigkeit, die von beiden Augen gesehenen Bilder zur Deckung zubringen. Rund 60 Prozent der Schielenden haben diese Fusionsschwächegeerbt. Auch eine Frühgeburt kann Schielen begünstigen.
In jedem Fall kann das schwächere, also schielende AugeGegenstände schlecht fokussieren und beschränkt sich daher auf dasBegleiten des gesunden Auges. Dabei kreuzen sich die Blickachsen inder Regel. Augenärzte sprechen vom Einwärtsschielen, das etwa 90Prozent der Patienten haben. Es verhindert die Entwicklung desgemeinsamen, beidäugigen Sehens, das erst im Zusammenspiel einenräumlicher Eindruck entstehen lässt. Stattdessen verselbstständigtsich jedes Auge und übermittelt das gesehene Bild an unterschiedlicheGehirnregionen. Der Schieler müsste eigentlich Doppelbilder sehen,was für Orientierung und Gleichgewicht sehr störend wäre. Deswegenwird das schwächere Auge unterdrückt und damit im Laufe der Zeit nochschwächer. Das kann bis zur Blindheit auf dem schielenden Augeführen.
Immerhin drei Prozent aller Kinder sind von frühkindlichemSchielen betroffen. Doch in den meisten Fällen wird der Sehfehlerzunächst nicht erkannt. Direkt nach der Geburt lässt sich gar nichtsdarüber aussagen, weil sich die Sehachsen erst nach den ersten sechsLebenswochen einstellen. Das mitunter äußerst erheiternde«Babyschielen» bei Säuglingen ist deshalb kein Grund zur Sorge.Therapiebedürftiges Schielen setzt im dritten Lebensmonat ein, alsodann, wenn sich normalerweise beidäugiges Sehen ausbilden würde.Allerdings manifestiert sich das Schielen erst allmählich.Zwischendurch verschwindet es und tritt nur zeitweise auf - meistens,wenn das Kind müde ist.
Die Heilungsaussichten sind um so besser, je früher mit derTherapie begonnen wird. Bis zum dritten Lebensjahr ist dasmenschliche Gehirn noch nicht ausgereift, die Sehentwicklung nochflexibel und stimulierbar. Setzt die Behandlung in dieser Phase ein,kann man den Sehschaden in kurzer Zeit vollständig heilen. Beginntsie erst nach dem sechsten Lebensjahr, ist die Hirnentwicklungbereits abgeschlossen, die Erfolgsaussicht wesentlich schlechter unddie Behandlung langwieriger. «Dann wird die Therapie im Durchschnittbis zum elften Lebensjahr andauern», erklärt Professor Klaus-PeterBoergen von der Augenklinik der Universität München. «Startet siehingegen im zweiten Lebensjahr, kann sie schon nach einigen Monatenabgeschlossen sein. Am besten wäre natürlich, die Betroffenen kämennoch im ersten Lebensjahr.» Immer noch kommen zu viele Kinder erstkurz vor der Einschulung.
Der Berufsverband der Augenärzte fordert deswegen eineRegeluntersuchung bis zum zweiten Geburtstag. Eine Forderung, diebislang am Unwillen der Krankenkassen scheiterte, die eine solchePflichtuntersuchung regulär bezahlen müssten. «Die Früherkennung istin den letzten Jahren allerdings schon viel besser geworden», meintBoergen. «Schielen bei Kindern wird nicht mehr bagatellisiert.»