Gesundheitsfonds: Viele Kassen, ein Beitragssatz
Berlin/dpa. - «Murks», «Monster», «Pfusch» - der Gesundheitsfonds hat Kritik auf sich gezogen wie kaum ein anderes Reformprojekt der großen Koalition. Mit einem Einheitssatz von 15,5 Prozent müssen Millionen Menschen ab Anfang 2009 Rekordbeiträge zahlen.
Der Fonds krempelt die gesetzliche Krankenversicherung dauerhaft um - Antworten auf die wichtigsten Fragen:
Wie wirken die Veränderungen nach dem Start am 1. Januar 2009?
Für die meisten der 70 Millionen Versicherten ändert sich zunächst nur der Beitrag. Die Mehrbelastung für Durchschnittsverdiener etwa bei der Barmer beträgt monatlich 2,50 Euro. Mitglieder teurer Kassen müssen weniger, jene bei heute günstigen Kassen teils deutlich mehr zahlen. Rund 167 Milliarden Euro können die Kassen 2009 ausgeben, rund 11 Milliarden mehr als 2008. Die Kassen blicken trotzdem unsicher in die Zukunft. Das Geld ist - etwa für höhere Arzthonorare - schon verplant. Keiner will bei den Zusatzbeiträgen der erste sein. Folge: Zunächst dürften Kassen sparen. Erste Unternehmen könnten schon im Jahresverlauf Extrageld von ihren Mitgliedern brauchen.
Was bekommen die Krankenkassen aus dem Fonds?
Erstmals werden die unterschiedlichen Ausgaben der Kassen je nach Krankheitszustand ihrer Klientel weitgehend ausgeglichen. Der Geldfluss aus dem Fonds an eine Kasse ist kleiner, wenn sie viele junge, gesunde Mitglieder hat. Gibt es bei den Versicherten einer Kasse viele Krankheiten aus einer Liste mit 80 Leiden und tausenden Einzeldiagnosen, fließt mehr Geld an diese Versicherung. Der Durchschnittswert für einen Versicherten variiert von Kasse zu Kasse zwischen 100 und 280 Euro pro Monat.
Wie kommen die Milliarden in den Fonds und Zusatzbeiträge zu den Krankenkassen?
Arbeitgeber und Beschäftigte zahlen wie heute Beiträge aufs Bruttoeinkommen der Kassenmitglieder. Es gilt der von der Regierung festgesetzte Einheitssatz für alle mehr als 200 Kassen. Außerdem fließt Steuergeld in steigender Höhe in den Fonds, 2009 vier Milliarden Euro. Die Kassen ziehen die Beiträge ein - erhöhen können einzelne Kassen in Geldnot nicht mehr. Reichen die Pauschalen aus dem Fonds nicht, kann die Kasse Zusatzbeiträge von ihren Mitgliedern erheben - maximal ein Prozent des beitragspflichtigen Einkommens. Das sind 2009 etwas mehr als 36 Euro im Monat. Kassen, die Geld übrig haben, können Prämien auszahlen.
Wie geht es ab 2010 weiter mit Beiträgen und Angeboten weiter?
Fusionen nehmen voraussichtlich zu, möglicherweise kommt es auch zu Schließungen und Insolvenzen von Kassen. Verstärkt werden wohl Zusatzbeiträge fällig. Der Gesundheitsfonds muss die steigenden Gesamtkosten nämlich nicht mehr wie am Anfang komplett abdecken. Außerdem könnte es eng werden, wenn der Bund dem Fonds wegen Rezessionsfolgen unter die Arme greifen muss. Denn Ende 2010 müsste die Nothilfe zurückgezahlt werden. Mit Zusatzbeiträgen und unterschiedlichen Kassen-Profilen wird dann der Wettbewerb wieder Fahrt aufnehmen: Welche Kasse kostet mehr - wo gibt es jeweils passende Leistungen? Welche Kasse tut mehr für Familien? Gesetzliche Kassen setzen stärker auf Zusatztarife - selbst eine private Zusatzversicherung für besonders teure, neue Therapien wurde schon vorgeschlagen. Vorbei die Zeit, als die Versicherten keinen Blick für Vor- und Nachteile der Kassen hatten.
Warum wird der Fonds eingeführt?
Mehr Wettbewerb und begrenzte Lohnnebenkosten sind Hauptziele. Der Fonds ist ein Kompromiss. Das Unions-Ziel einheitlicher Gesundheitsprämien und das SPD-Konzept einer Bürgerversicherung, in die auch Selbständige und Beamte einzahlen sollten, standen unversöhnlich gegenüber.
Löst der Gesundheitsfonds längerfristige Probleme?
Nein. Die Bevölkerung schrumpft bis 2050 laut Statistischem Bundesamt von heute 82 auf 69 bis 74 Millionen Einwohner. Weniger Jüngere, weniger Gesunde, weniger Beitragszahler wird es geben - dafür mehr Ältere, höhere Lebenserwartung, mehr Behandlungsbedarf. Die Zahl der 80-Jährigen und Älteren soll von heute knapp 4 auf 10 Millionen im Jahr 2050 klettern. Immer teurere Therapien verlängern das Leben - meist ohne die Heilungschancen deutlich zu verbessern. Verschiedene Studien haben Beitragssätze von über 20 bis über 30 Prozent zur Mitte des Jahrhunderts prognostiziert. Damit dürfte dann der Leistungskatalog der Kassen stärker unter Druck geraten. Von den künftigen politischen Mehrheiten hängt ab, wie stark der Kassensatz steigt, wie üppig Steuermilliarden fließen oder ob sich Versicherte mehr privat absichern müssen und Niedrigverdiener sich gegen weniger Gesundheitsrisiken absichern können