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Feuer-Unfall beim Grillen Feuer-Unfall beim Grillen: So kämpft sich ein Verbrennungsopfer zurück ins Leben

Von Bärbel Böttcher 12.10.2017, 13:48
Annika Ladeweg hat viele Operationen überstanden.
Annika Ladeweg hat viele Operationen überstanden. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Eine riesige Stichflamme. Schreie. Rennende Menschen. Mittendrin Annika Ladewig. Ihre Kleidung brennt. Die 18-Jährige lässt sich auf den Boden fallen. Aufgeregte Menschen überschütten sie mit Wasser und Bier. Ein Mann wirft sich auf sie, erstickt mit seinem Körper schließlich das Feuer. Alles zusammen rettet der jungen Frau das Leben.

Unfall beim Grillen: Verbrennungsopfer schwebte In Lebensgefahr

Was ist passiert an jenem Abend des 5. Juni 2014, an dem die Salzwedlerin (Altmarkkreis) mit einer Gruppe von Freunden das Spring Break Festival auf der Halbinsel Pouch bei Bitterfeld besucht?

Die jungen Leute grillen auf dem Zeltplatz. Einer von ihnen kippt Spiritus in die Glut. Es kommt zur Stichflamme. Vor Schreck wirft er die Flasche mit der brennbaren Flüssigkeit weg. Genau in Richtung Annika. Sie steht nicht weit entfernt vom Grill.

In der MZ ist am folgenden Tag über den Vorfall zu lesen: „Eine 18-jährige Frau erleidet so massive Verbrennungen, dass ein Rettungshubschrauber sie in das Brandverletztenzentrum des Klinikums Bergmannstrost in Halle bringen musste.“

Als Annika Ladewig dort zum ersten Mal zu sich kommt, ist es Nacht. Sie wundert sich, „wegen der kleinen Brandwunde an der Hand“ in einer Klinik gelandet zu sein. Schläft aber wieder ein.

„Am Tag, als ich dann wirklich wach geworden bin, standen Mama und Papa am Bett“, erzählt sie. Eigentlich darf aus Gründen der Hygiene pro Tag nur ein Besucher - in voller Schutzkleidung - zu den Patienten. Die Belastung mit Keimen soll so gering wie möglich gehalten werden, denn den Verletzten fehlt die äußere Schutzhülle, die Haut. Bei schweren Fällen wird diese Regel schon mal gelockert.

Annika ist so ein schwerer Fall. Sie schwebt in Lebensgefahr. Und macht sich Sorgen um ihre Haare. Die werden den Patienten bei ihrer Ankunft im Brandverletztenzentrum (BVZ) nämlich abrasiert. „Haare sind voller Bakterien, die müssen - bis auf Wimpern und Augenbrauen - weg“, sagt Dr. Beate Reichelt, Oberärztin am BVZ. Bakterielle Infektionen sollen auf jeden Fall vermieden werden.

Annika, die unter starken Schmerzmitteln steht, kann das nicht fassen. „Wo sind meine Haare?“, fragt sie ihre Mama. Und ist in Tränen aufgelöst, als sie merkt: die sind wirklich weg. „Ich habe tatsächlich wegen der Haare geheult, nicht weil ich da lag“, sagt sie. „Aber ich wusste ja noch nicht, was da unten abgeht.“

Da unten. Das sind Verbrennungen dritten Grades an den Beinen, am Bauch und am Po. Etwa 23 Prozent der Körperoberfläche. „Mir ging es zwar nicht gut, aber das habe ich nicht realisiert. Ich dachte, die rechte Hand ist verbrannt“, erzählt sie. Es dauert geraume Zeit, bis sie das Ausmaß ihrer Verletzungen erfasst.

Verbrennungsopfer: Hauttransplantationen nach Unfall beim Grillen

Wie alle Brandverletzten wird die junge Frau nach ihrer Einlieferung im Bergmannstrost zunächst gründlich gesäubert. Danach entfernen die Ärzte Brandblasen sowie Hautfetzen. Und sie decken die Wunden mit sterilen Feuchtverbänden ab.

„Sind mehr als 20 Prozent der Körperoberfläche verbrannt, machen die Patienten eine Verbrennungskrankheit durch“, sagt Beate Reichelt. Es sind komplizierte Reaktionen im Körper, die die Ärzte unter Kontrolle halten müssen. Sie können den gesamten Organismus schädigen, im schlimmsten Fall zu einem Multiorganversagen führen. Am dritten Tag sei das meist ausgestanden.

„Und dann fangen wir an zu operieren“, so die Medizinerin. Das heißt, die Ärzte schaben die verbrannte Haut ab, entnehmen von gesunden Körperstellen 0,2 Millimeter dicke Hautpartien und transplantieren diese. Auf die Wunde kommt für mindestens fünf Tage ein spezieller Verband. Ist dann die Haut gut angewachsen, werden die Patienten regelmäßig gebadet. „Dadurch stabilisiert sich die Haut“, erklärt die Oberärztin. Nach dem Bad wird ein neuer Verband angelegt.

Nach dem Brandunfall beim Grillen: Verbrennungsopfer erlebt schlimmes Tief

Bei Annika Ladewig vollzieht sich das anfangs alles unter Vollnarkose. „Ich bin immer mit weißen Beinen aufgewacht“, sagt sie. Das heißt, die Beine waren verbunden. Irgendwann erklärt Oberärztin Reichelt ihr jedoch, dass eine so häufige Narkose für den Körper nicht gut sei. Sie müsse die Prozedur jetzt mal im wachen Zustand über sich ergehen lassen.

„Ich hatte mörderische Angst vor den Schmerzen, ich habe geheult, aber ich musste da durch“, erzählt die heute 21-Jährige. Sie wird in die Wanne gelegt, der Verband wird geöffnet - und sie sieht zum ersten Mal ihre verbrannten Beine. „Das war so schlimm, dass ich dachte, ich falle in Ohnmacht“, erinnert sie sich. „Zwar haben die Ärzte mich darauf vorbereitet. Aber so hätte ich es mir nie vorgestellt.“

Die junge Patientin durchlebt in der Folge ein schlimmes Tief. Sie lässt sich gehen, möchte am liebsten den ganzen Tag nur im Bett liegen. Dabei ist es höchste Zeit, aufzustehen, zu sitzen, zu laufen. Es ist Pfleger Holger, der Annika auf die Beine bringt. Mit deutlichen Worten macht er ihr klar, dass Selbstmitleid nichts nützt. „Das war hart für mich, das zu hören, aber es hat gewirkt“, sagt sie heute. Sie steht auf, geht drei Schritte und hat das Gefühl, Marathon gelaufen zu sein.

Insgesamt acht Wochen liegt Annika Ladewig im Brandverletztenzentrum. Als sie entlassen wird, sind die Wunden im wesentlichen verheilt. Doch durch die Narben ist die Beweglichkeit der Knie und der Hüfte eingeschränkt. Außerdem kann sie die Füße nicht richtig abrollen.

Deshalb folgen acht Wochen Reha in Bad Klosterlausnitz. Die Klinik in Thüringen wird sie in der Folgezeit noch mehrfach aufsuchen. „Es hat wohl ein halbes Jahr gedauert, bis ich wieder richtig laufen konnte“, sagt sie. „Doch erst seit der letzten Reha im vergangenen Jahr kann ich die Beine wieder richtig beugen, mich hinhocken.“

Im Unfalljahr 2014 sitzt sie Anfang September wieder auf der Schulbank. Auf einem Schwimmring, weil die Wunden an manchen Körperstellen schlecht heilen. Morgens und abends kommt ein Pflegedienst, der entsprechende Verbände anlegt. In den Oktoberferien fährt Annika Ladewig noch einmal zur Reha. Danach sind alle offenen Stellen zu. Sie geht weiter zur Schule und macht gemeinsam mit ihren alten Klassenkameraden im Frühjahr darauf das Abitur.

Im Anschluss fängt sie eine Ausbildung zur Physiotherapeutin an, weil sie gesehen hat „wie cool“ dieser Beruf ist. Ein Jahr liegt noch vor ihr. Dann möchte sie am liebsten mit Brandverletzten arbeiten. „Dazu braucht man viel Einfühlungsvermögen“, sagt sie. Wer weiß das besser als sie.

Die junge Frau leidet nicht nur körperlich unter den Brandverletzungen. „Es war schon komisch, nach der Rückkehr in die Schule von allen angestarrt zu werden“, erzählt sie. Es hat sich herumgesprochen, was passiert ist. Zudem ist Annika dünn geworden. Die Haare sind kurz. „Aber meine Freundinnen waren immer wie ein Traube um mich herum, haben mich vor neugierigen Blicken beschützt.“

Verbrennungsopfer nach Unfall beim Grillen: Lästige Blicke nach den Hauttransplantationen

Die neugierigen Blicke. Die machen ihr bis heute zu schaffen. Auch wenn die junge Frau selbstbewusst wirkt. „Ich würde mich nie trauen, im Sommer mit kurzer Hose oder Rock durch die Stadt zu gehen“, sagt sie. Was sowieso nicht geht, da die Narben vor der Sonne geschützt werden müssen.

Die ersten zwei Jahre sei sie auch bei höchsten Temperaturen mit langer Hose und Jacke unterwegs gewesen. Am liebsten aber zu Hause geblieben. Unter der Jeans muss sie zudem bis heute eine Kompressionshose tragen, damit die Narben nicht zu wulstig werden.

Doch im zurückliegenden Sommer ist Annika Ladewig spontan mit einer Freundin nach Griechenland geflogen. Im Gepäck Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 50. Und sie hat gebadet. Im Bikini. „Zwar war der Strand etwas abgelegen und auf dem Weg zum Meer habe ich ein langes Kleid getragen. Aber für mich war es ein riesiger Schritt“, betont sie.

„Es ist mir nicht völlig egal, wenn die Leute gucken“, sagt Annika. Dabei ist sie „megafroh“, dass das Gesicht nicht betroffen ist. „Die Beine kann ich verstecken“, sagt sie. „Ich denke, deswegen bin ich auch so wie ich bin, eben positiv. Ich kann damit ganz gut leben.“

Klar gebe es auch dunkle Tage. Tage, an denen sie sich frage: Warum ich? Aber dann erinnert sie sich an ihre Mutter, die gesagt hat: So etwas passiert nur starken Menschen, die schaffen es, da durchzukommen. Und klar, sie sei stärker geworden. Habe eine ganz neue Lebenseinstellung gefunden. „Man lebt nur einmal“, sagt sie. Wann immer es geht, erfüllt sie sich ihre Wünsche. „Es kann so schnell vorbei sein“, betont die 21-Jährige.

Mehr als acht Operationen hat Annika Ladewig schon hinter sich. Den Hauttransplantationen im BVZ folgen Eingriffe aus ästhetischen Gründen. Sie hat Probleme mit den Narben. Die werden bei ihr sehr fest und wulstig. Durch die Eingriffe werden sie elastischer. Einige größere OP, vor allem an den Beinen, stehen noch bevor. Sie sieht ihnen optimistisch entgegen, die tapfere Annika. (mz)