Botox Botox: Ein Nervengift macht Karriere
FRANKFURT (MAIN)/MZ. - Falten sucht man im Gesicht von David E.I. Pyott vergeblich. Es wäre nicht gut für sein Image. Schließlich hat der 57-Jährige aus einem Gift den ersten Beauty-Blockbuster in der Geschichte der Pharmaindustrie gemacht. Seine Firma Alleorgan vermarktet den berühmten Faltenglätter Botox. Auf sein Äußeres angesprochen, beliebt Pyott deshalb zu scherzen: "Sie würden nie darauf kommen, dass ich in Tat und Wahrheit 75 Jahre alt bin." Der Scherz ist ein Relikt aus alten Zeiten.
Denn was sich Hausfrauen, Geschäftsleute und Studentinnen in der Mittagspause oder auf Botox-Partys als Faltenglätter unter die Stirn spritzen lassen, ist längst viel mehr als ein Schönheitsmittel. Es ist ein respektables Medikament geworden. Im vergangenen Jahr (2010) konnte Pyott gleich zweimal auf einen Erfolg anstoßen. In den USA und in Großbritannien ist Botox zur präventiven Behandlung von chronischer Migräne zugelassen worden. Es war das 21. Anwendungsfeld, für das das Produkt freigegeben worden ist. 3,2 Millionen Amerikaner und 700 000 Briten könnten das Mittel benötigen. Analysten erwarten, dass die neue Indikation Alleorgan 400 Millionen Dollar zusätzlichen Jahresumsatz bringen wird.
Auch Patienten mit extrem schmerzhaften Muskelkrämpfen können seit diesem Jahr in den USA Muskelverhärtungen in Ellbogen, Handgelenk und Fingern mit Botox behandeln lassen. Pyott hat zielgerichtet auf diese Erfolge hingearbeitet. Er pumpte mehr Geld als viele andere Pharmafirmen in die Erforschung und Entwicklung von Botox, damit das Mittel von Ärzten bei möglichst vielen Krankheiten eingesetzt werden darf. Schon vor drei Jahren hatte er angekündigt, dass Migräne ganz weit oben auf seiner Liste steht. Als Nächstes will er eine Zulassung für die Behandlung von Harninkontinenz bekommen. Auch die Behandlung von Phantomscherzen wird derzeit erforscht.
Botox entwickelt sich damit weg vom Faltenkiller hin zu einem Universalmedikament. Und damit zurück zu seinen Ursprüngen. Der Wirkstoff Botulinumtoxin, übersetzt heißt das "Wurstgift", wurde 1895 entdeckt. Er hatte bis dahin schon viele Menschen ihr Leben gekostet, weil sie verdorbene Wurst- und Fleischwaren gegessen hatten. Für die Schönheit war das Gift nie gedacht. Der amerikanische Augenarzt Alan B. Scott arbeitete als erster damit. Er korrigierte 1988 schielende Augen, indem er das lähmende Gift in die Augenmuskulatur des Patienten spritzte. Eine kanadische Ärztin, die mit dem Gift zittrige Lider behandelte, bemerkte schließlich, dass nicht nur das Zittern verschwand, sondern auch die Falten. Gemäß dem in der Pharmabranche häufig vorkommenden Mechanismus, dass die Nebenwirkungen von heute die Therapien von morgen sind, machte das Gift Karriere als Beauty-Produkt. Alleorgan kreierte damit einen vollkommen neuen Markt. Einen Markt für kosmetische Medizin, die nicht mehr in Operationssälen stattfindet. Nun hat Pyott ein Produkt, um das ihn viele Pharmamanager beneiden. Eines, das sowohl als Lifestyle-Medikament als auch zur medizinischen Therapie eingesetzt werden kann.
1,3 Milliarden US-Dollar Umsatz erzielt das Produkt heute. Das entspricht einem Drittel des Jahresumsatzes von Alleorgan. Der Erfolg des Unternehmens hängt damit stark von dem Blockbuster ab. Mit jeder Zulassung ist der Aktienkurs des Unternehmens weiter gestiegen. Heute notiert er mit rund 70 US-Dollar so hoch wie noch nie. Und die Tendenz ist weiter steigend. Analysten erwarten, dass die Aktie auf über 80 US-Dollar klettern wird. Die Zuversicht ist angebracht.
Denn Rostocker Forscher wollen Botox künftig auch bei Parkinson-Kranken einsetzen. "Die Idee ist, winzige Mengen in bestimmte Gebiete im Gehirn zu spritzen", sagt der Neurologe Reiner Benecke von der Neurologischen Klinik der Universität Rostock. So soll die Ausschüttung eines Botenstoffs blockiert werden, der das Zittern der Muskeln auslöst.
Bei Mäusen hat das schon erfolgreich geklappt. Nun hofft Benecke, dass die Behandlungsmethode in drei bis fünf Jahren für Menschen verfügbar ist.