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Angeborener Herzfehler Angeborener Herzfehler: Kinderkardiologie der Universitätsklinik Halle bietet spezielle Betreuung für Herzpatienten

Von Bärbel Böttcher 14.08.2018, 04:00
Der Arzt Ralph Grabitz und sein Team - die Ärztin Kristina Gerlach sowie die Schwestern Daniela Roth und Miriam Krause (von links) bei einer Behandlung von Günter Musculus.
Der Arzt Ralph Grabitz und sein Team - die Ärztin Kristina Gerlach sowie die Schwestern Daniela Roth und Miriam Krause (von links) bei einer Behandlung von Günter Musculus. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Als Günter Musculus am 30. Mai 1962 in die hallesche Universitätsklinik eingewiesen wird, ahnt er nicht, dass ihm eine Operation am offenen Herzen bevorsteht.

Die Eltern haben dem Achtjährigen etwas von einer Routinekontrolle erzählt. Sie wollen ihn nicht beunruhigen. Haben sie doch genug damit zu tun, die eigenen Ängste zu beherrschen.

Zu dieser Zeit ist ein solch großer Eingriff alles andere als alltäglich. Der Operation zuzustimmen ist ihnen nicht leicht gefallen. Sie birgt Risiken. Andererseits ist sie für ihren Sohn die einzige Chance, das Erwachsenenalter zu erreichen.

Loch im Herzen: Blut erreicht Lunge nicht vollständig

Günter Musculus ist mit einem Herzfehler auf die Welt gekommen. Zwischen den beiden Vorhöfen seines Herzens gibt es ein Loch, das da nicht sein dürfte. Deswegen kann Blut vom linken in den rechten Vorhof fließen.

Anders ausgedrückt: Sauerstoffreiches Blut, das aus der Lunge kommt, wird nicht vollständig in den großen Blutkreislauf, der die Organe mit Sauerstoff versorgt, gepumpt, sondern ein Teil fließt über den rechten Vorhof zur Lunge zurück.

Kinder mit solch einem Vorhofseptumdefekt, so der medizinisch korrekte Ausdruck, sind körperlich weniger leistungsfähig als ihre Altersgenossen. Zudem kann durch den zusätzlichen Blutstrom in die Lunge ein gefährlicher Lungenhochdruck entstehen, der das Organ massiv schädigt.

Ärzte entdecken den Herzfehler bei Günter Musculus als er ein knappes Jahr alt ist. Der Junge wird nun regelmäßig untersucht. Und sie raten ihm, sich möglichst wenig zu bewegen.

Professor aus Halle: Karl-Ludwig Schober baut Herz-Lungen-Maschine

Mehr können die Ärzte in Halle zunächst nicht tun - bis ein Team um Professor Karl-Ludwig Schober Anfang der 60er Jahre eine Herz-Lungen-Maschine entwirft und baut. Nun ist es auch an der halleschen Universitätsklinik möglich, am offenen Herzen zu operieren.

Der achtjährige Günter ist einer der ersten, der davon profitiert. Am 5. Juni 1962 wird während eines siebenstündigen Eingriffs das Loch in seinem Herzen geschlossen.

Günter Musculus gilt nun als geheilt. Ein Irrtum, wie sich Jahre später herausstellt. Vielmehr hat sich im Laufe der Zeit dank des Fortschritts vor allem auf den Gebieten der Kinderkardiologie und der Kinderherzchirurgie eine neue, ständig wachsende Patientengruppe herausgebildet - die Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler, kurz Emah genannt.

„Noch vor wenigen Jahrzehnten sind 80 bis 90 Prozent der kleinen Patienten bereits vor ihrem 18. Geburtstag gestorben“, sagt Professor Ralph Grabitz, Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Pädiatrie II am Universitätsklinikum Halle. Heute liege die Überlebensrate weit über 90 Prozent.

Trotz erfolgreicher Operation: Spätfolgen bei angeborenem Herzfehler

Gibt es deutschlandweit Anfang der 90er Jahre 20.000 bis 30.000 Erwachsene mit angeborenem Herzfehler, sind es aktuell zwischen 250.000 und 300.000.

Mit der Patientengruppe wächst auch die Erkenntnis: „Ein erfolgreich operierter Herzfehler im Kindesalter bedeutet nicht, dass damit sämtliche Probleme für den Rest des Lebens behoben sind“, sagt Ralph Grabitz.

Noch viele Jahre später könne es zu Erkrankungen kommen, die im Zusammenhang mit der Herz-Operation im Kindesalter stehen. Der Kardiologe nennt beispielsweise Herzrhythmus-Störungen infolge der Narbenbildung am Herzen.

Bei anderen Patienten komme es durch Narben, die mit dem Herzen nicht mitwachsen, zu engen oder zu undichten Herzklappen.

Die Ärzte an der halleschen Uniklinik erkennen früh, dass diese Erwachsenen eine auf ihre spezielle Situation zugeschnittene medizinische Versorgung brauchen. Schon Anfang der 70er Jahre wird hier für sie eine besondere Sprechstunde eingerichtet - in der Kinderkardiologie. Dort etabliert sich dann in Laufe der Jahre das „Kompetenzzentrum Angeborene Herzfehler im Erwachsenenalter“.

Heute ist die sogenannte Emah-Sprechstunde eine der fünf größten in ganz Deutschland. Derzeit werden hier etwa 1.500 Patienten zwischen 18 und 68 Jahren betreut. Und zwar von Kinder- und Erwachsenenkardiologen, die eine zertifizierte Weiterbildung auf diesem Gebiet absolviert haben. Einer der erfahrensten ist Dr. Joachim Syska. Der 76-jährige Arzt aus Leidenschaft betreut noch immer Emah-Patienten. „Viele von ihnen habe ich bereits im Geburtstrakt auf dem Arm gehabt. Heute sehe ich sie mit ihren Kindern“, erzählt er. Seine Patienten schätzen diese Kontinuität.

Seit mehr als 40 Jahren ist Joachim Syska auch der erste Ansprechpartner von Günter Musculus. Der lebt lange ohne Beschwerden. Erst 2012 treten bei dem heute 64-Jährigen Herzrhythmusstörungen auf.

Seitdem muss er öfter eine sogenannte Kardioversion über sich ergehen lassen. Dabei wird - vereinfacht gesagt - das Herz mittels eines Stromstoßes dazu gebracht, wieder im normalen Rhythmus zu schlagen. „Wenn ich merke, dass ich Probleme habe, gehe ich in die Kinderkardiologie“, sagt der Hallenser. Seinen Namen brauche er schon gar nicht mehr zu sagen.

Behandelt werden dort aber nicht nur Patienten aus Halle und Umgebung. Manch einer, der vor Jahren weggezogen ist, kommt zur Nachsorge oder bei Problemen nach Halle zurück. Eben weil er das Team in dem spezialisierten Zentrum seit vielen Jahren kenne und sich hier gut aufgehoben fühle, wie Ralph Grabitz sagt.

Herzstiftung klagt über Lücke in der Versorgung bei angeborenem Herzfehler

Die Herzstiftung beklagt indes, dass zehntausende Emah-Patienten in Deutschland nicht ausreichend fachgerecht versorgt würden. Andere Experten bemängeln, dass es zu wenige Spezialisten und Zentren gibt.

Daran kann es in Halle jedoch nicht liegen, dass einige der Betroffenen die Sprechstunde meiden, wenn sie das 18. Lebensjahr überschritten haben.

Kinderkardiologe Grabitz sieht darin einen Abnabelungsprozess. Später, häufig zu spät, tauchten viele wieder auf. Mit Beschwerden. Oftmals sei der günstigste Zeitpunkt für eine Behandlung dann aber verstrichen. Dadurch steige das Risiko bei der Operation und die Lebenserwartung sinke womöglich.

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Andere, so der Mediziner, kämen wieder, wenn sie eine Familie gründen und sich über das Risiko, ihren Herzfehler zu vererben, informieren wollten. Das liege bei fünf Prozent. Betroffenen Eltern, so Ralph Grabitz, werde während der Schwangerschaft eine spezielle Untersuchung angeboten, um Fehlbildungen zu erkennen und früh darauf reagieren zu können.

Übrigens - um einen Herzfehler, wie er bei Günter Musculus festgestellt wurde, zu beheben, ist heute in der Regel keine Operation am offenen Herzen nötig. Meist genügt ein Katheter-Eingriff. Im günstigsten Fall braucht der Arzt dafür weniger als ein Stunde.  (mz)