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Gehirndoping im Studium: Was Ritalin und Co. bewirken

Von Aliki Nassoufis 19.07.2010, 07:39

Berlin/Mainz/dpa. - Die Klausur steht kurz bevor, und der Bücherberg wird und wird nicht kleiner. Wer wünscht sich in so einer Situation nicht eine Wunderpille, mit der sich der Stoff im Handumdrehen lernen lässt?

Es ist daher kein Wunder, dass manche Studenten zu Mitteln greifen, die die Gehirnleistung steigern oder das Schlafbedürfnis senken sollen. Ob solches «Hirndoping» mit Ritalin und Co. den gewünschten Effekt bringt, ist aber längst nicht klar. Und möglicherweise sind die Pillen nicht ganz ungefährlich.

«Es kommt immer wieder vor, dass sich Studierende mit Medikamenten für eine Hausarbeit oder eine Prüfung fit zu machen versuchen», sagt Claus Normann von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde in Berlin. Das sei eine Welle aus den USA, die immer mehr nach Deutschland herüberschwappe.

Am häufigsten werden die Mittel Ritalin und Vigil mit Hirndoping in Verbindung gebracht - auch bekannt unter dem Namen des Wirkstoffes Modafinil. «Vigil wird eigentlich bei seltenen Schlafstörungen eingesetzt, da es hilft, wacher zu sein und weniger Schlaf zu benötigen», erklärt Normann, der Oberarzt an der Universitätsklinik Freiburg ist. Ritalin hingegen werde normalerweise eingesetzt, wenn jemand unter einem Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom leidet. «Es aktiviert den Hirnstoffwechsel, sodass man sich auf das Wesentliche konzentrieren kann.» Beide Mittel sind verschreibungspflichtig.

Solche Substanzen kennen viele Schüler und Studenten, wie Klaus Lieb und Andreas Franke von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz in einer Studie ermittelt haben. Zwar gaben nur 1,6 Prozent der befragten Schüler an, schon einmal derartige Stimulanzien genommen zu haben. Bei den Studenten lag der Wert unter 1 Prozent. «Das hört sich zwar nicht viel an, doch uns erschrecken diese Zahlen schon», sagt Franke. Immerhin seien viele bereit, solche Mittel einzunehmen: «Nur 10 bis 20 Prozent gaben an, sie unter keinen Umständen nehmen zu wollen.»

Was aber erhoffen sich Studenten? Vigil soll helfen, beim Pauken länger wach zu bleiben. Ritalin soll helfen, sich besser aufs Lernen zu konzentrieren. Ob die Mittel das allerdings auch tun, sei nicht eindeutig geklärt, sagt Dimitris Repantis, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Neuroenhancement-Projekt an der Charité in Berlin. «Die genaue Wirkung dieser Mittel bei gesunden Menschen ist wissenschaftlich nicht klar belegt, dazu gibt es zu wenige Studien.»

Auch die Gefahren sind nicht geklärt. «Es ist zwar nicht zu erwarten, dass die beiden Mittel auf Dauer strukturelle Hirnschäden verursachen, da viele Kranke sie bereits längere Zeit nehmen», sagt Psychiater Normann. Möglicherweise machen Ritalin und Vigil auch nicht körperlich süchtig. Mit der psychischen Abhängigkeit allerdings könnte es anders aussehen: «Wer glaubt, Stress nur noch mit entsprechenden Medikamenten bewältigen zu können, könnte psychisch abhängig werden», warnt Normann. Außerdem seien Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Kopfschmerzen nicht auszuschließen.

Ähnlich ungeklärt ist die Situation bei Medikamenten, die gegen Demenz helfen sollen. Anders als zum Beispiel bei Ritalin würde eine Tablette jedenfalls nicht zur Leistungssteigerung reichen. «Antidementiva müssen von Patienten regelmäßig eingenommen werden, um ihre Wirkung zu entfalten», erklärt Psychiater Repantis. Eine einzelne Klausur dürfte diesen Aufwand kaum lohnen.

Neben den gesundheitlichen Risiken gibt es beim Thema Hirndoping auch ethische Probleme, wie der Psychiater Claus Normann findet: «Es stellt sich natürlich die Frage, ob die Prüfungsbedingungen unter den Studierenden dann noch fair sind.» Fraglich sei auch, ob man die Anstrengung des Lernens mit Medikamenten einfach überspringen solle.

Vor allem aber sollte seiner Ansicht nach die Frage geklärt werden, ob sich Studenten zu jedem Preis an die Prüfungsbedingungen anpassen müssen - oder ob nicht lieber das Studium verändert werden sollte. Er sehe es als eine sehr bedenkliche Entwicklung, dass sich junge Menschen «zurechtdopen», um den Anforderungen gerecht zu werden, anstatt das Studiensystem zu hinterfragen.