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"Rock am Ring"-Absage "Rock am Ring"-Absage: Anwalt Thomas Waetke: "Das Wetter ist das Risiko des Veranstalters"

Von Hans-Jürgen Deglow 05.06.2016, 11:57
Absage Rock am Ring: Veranstalter müssen einen Abbruch gut abwägen.
Absage Rock am Ring: Veranstalter müssen einen Abbruch gut abwägen. dpa

Eine voreilige Absage kann zu viel Ärger führen, sagt Thomas Waetke, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und Experte für Eventrecht. Und wenn sich voreilige Absagen häufen, so der Jurist, „dann nehmen Besucher und Verantwortliche die Warnungen vielleicht irgendwann auch nicht mehr ernst“.  

Am Freitag wurden bei Rock am Ring mehr als 80 Menschen verletzt. Ein Blitz schlug vermutlich in eine Metallplatte auf einer Freifläche vor einem Zelt ein. Haben die Verletzten Anspruch auf Schadensersatz? Und wenn ja, gegen wen?

Thomas Waetke: Für einen Schadenersatzanspruch müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein. Ich kenne die konkreten Ursachen und Vorgänge für den Vorfall nicht, daher kann ich die Frage nur sehr pauschalisiert und allgemein beantworten.

Ein Schadenersatzanspruch eines verletzten Besuchers kann sich immer gegen mehrere Personen richten: Da wäre einmal sein Vertragspartner, der Veranstalter. Da wären dann aber auch beispielsweise der Techniker beziehungsweise der Zeltbauer, der die Metallplatte auf den Boden gelegt hat.

Maßgeblich ist dann unter anderem ein Verschulden: Derjenige, den der Besucher in Anspruch nehmen möchte, muss entweder fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt haben – und zwar auch mit Blick auf den Eintritt des Schadens. D.h., nur weil ein Mitarbeiter absichtlich eine Metallplatte vor ein Zelt legt, heißt das nicht, dass er auch den Schaden absichtlich herbeigeführt hätte.

Man wird im Schadensfall untersuchen müssen, ob es für die Verantwortlichen vorhersehbar war, dass ein solcher Schaden eintreten kann. Ebenso, ob man den Schaden überhaupt hätte vermeiden können. Grundsätzlich mag es Möglichkeiten geben, Blitzschutzanlagen zu installieren, z.B. an Bühnen, Zelten usw., aber auch hier hat man keinen absoluten Schutz.

Was müssen Besucher selbst beachten?

Waetke: Schließlich wäre auch zu prüfen, inwieweit ein geschädigter Besucher die Gefahr erkennen und ihnen gegebenenfalls selbständig ausweichen kann. Der Mensch neigt dazu, sich unter einen Baum zu stellen, wenn es gewittert – weil er nicht nass werden möchte. Dass er sich dann in die Gefahr eines Blitzschlages begibt, mag er vielleicht wissen – aber er blendet in dem Moment aus, dass gerade er verletzt werden könnte. Welcher Besucher kauert sich aber gerne in den Matsch, wenn um ihn herum Freunde und andere Besucher ganz normal herumspazieren und den Regen eher lustig finden? Und inwieweit kann ein Veranstalter verantwortlich gemacht werden, wenn Besucher sich nicht an die Anweisungen oder an das in der Schule Erlernte halten? In diesem Kontext gibt es viele komplexe Rechtsfragen.

Trotz der insgesamt gefährlichen Wetterlage wurde die Veranstaltung fortgesetzt. Kennen Sie vergleichbare Fälle aus Ihrer Praxis?

Waetke: Ja, eine Vielzahl. Ohne die konkrete Situation in Mendig kommentieren zu wollen: Ich selbst habe schon Veranstaltungen erlebt, da ist wenige Kilometer entfernt ein heftiges Unwetter heruntergekommen, wir selbst mussten uns noch mit Sonnencreme vor Sonnenbrand schützen. Manchmal ist es schwierig, die Wetterlage direkt am Veranstaltungsort vorherzusagen, und gegebenenfalls hat man nur wenige Minuten Zeit, nachdem eine Gewitterzelle entstanden ist.

Für einen Veranstalter kann es sinnvoll sein, aber bereits im Vorfeld dafür zu sorgen, dass jedenfalls keine Gegenstände umherfliegen können. Wasser und Wind sind nicht gefährlich für den Besucher. Aber wenn der Wind Zelte umweht oder Bauzäune herumschleudert, an denen Werbebanner befestigt sind, dann sind das oft vermeidbare Schäden, auf die sich ein Veranstalter vorbereiten kann – und die einem im Verhältnis nicht weh tun, wenn das Unwetter am Veranstaltungsort dann doch vorbeizieht.

Viele Veranstalter investieren in den Bereich Sicherheit viel Zeit und Geld. Allerdings muss man auch aufpassen, dass man es nicht übertreibt: Ein Restrisiko wird immer bleiben. Aus juristischer Sicht muss man die Frage stellen, welche Sicherheitsmaßnahmen einerseits notwendig und für den Veranstalter zumutbar sind – und andererseits, welche Sicherheitsmaßnahmen der durchschnittliche Besucher einer Großveranstaltung erwartet. Eine Grenzziehung ist hier extrem schwierig.

Warum tun sich Veranstalter mit Absagen so schwer?

Man konnte den Eindruck gewinnen, weder Landesregierung noch Veranstalter wollten den Schwarzen Peter für eine frühere Absage in Kauf nehmen. Warum tun sich Veranstalter mit Absagen so schwer?

Waetke: Das kann ich aber grundsätzlich gut nachvollziehen. Es steckt auch immer der Faktor Mensch dahinter: Hinter einer großen Veranstaltung stehen erhebliche Investitionen, Arbeitsplätze und letztlich auch das Image. Ein Veranstalter hat monatelang mit vielen Mitarbeitern und Dienstleistern daraufhin gearbeitet, auch die Fans freuen sich. 

Eine voreilige Absage kann zu viel Ärger führen. Und wenn sich voreilige Absagen häufen, dann nehmen Besucher und Verantwortliche die Warnungen vielleicht irgendwann auch nicht mehr ernst.

Übrigens darf man die Verantwortung nicht nur bei einem Veranstalter sehen: Ein Fußgänger, der durch die Innenstadt oder den Stadtpark spaziert oder am Baggersee liegt, setzt sich einem ähnlichen Risiko aus – allerdings wird er hier im Regelfall nicht vor einem Unwetter gewarnt. Und auch hier setzt sich der Mensch der Gefahr vor Blitzschlag aus.

Ich kenne eine Vielzahl von Fällen, in denen die Besucher sogar aggressiv wurden, als sie vom Sicherheitspersonal gebeten wurden, die Veranstaltungsfläche aufgrund eines nahenden Unwetters zu verlassen. 
Am Samstag wurde mit Unterbrechungen noch gespielt, nur auf den Sonntag als Festivaltag verzichtet. Hat dies Auswirkungen auf die Erstattungspflicht des Veranstalters? Wann haften Veranstalter, wie werden Künstler entschädigt?

Waetge: Es kommt darauf an, warum eine Veranstaltung vorzeitig abgebrochen wird.

Hat der Veranstalter den Abbruch fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführt (etwa weil er vergessen hat, eine notwendige Genehmigung herbeizuführen)? Hier sieht die Rechtslage ganz anders aus als bei der so genannten Höheren Gewalt.

Extreme Unwetterlagen sind juristisch Höhere Gewalt. In diesem Fall tut man so, als ob sich die Vertragspartner nie gesehen hätten: Der Veranstalter verliert seinen Anspruch auf den Eintrittspreis, der Besucher verliert seinen Anspruch auf die Show. Hat der Besucher bereits bezahlt, kann er den Eintrittspreis erstattet verlangen. Hat der Besucher bereits Teile der Show erleben können, so kann er nur noch einen Anteil des Eintrittspreises erstattet verlangen.

Bei einem mehrtägigen Festival hängt es davon ab, ob der Veranstalter pro Tag eigene Tickets verkauft hat oder nur Gesamttickets. Allgemein stellt man dabei nicht streng auf den Zeitablauf ab, sondern auch auf die Schwergewichte der bisher aufgetretenen Künstler: Fehlt der angekündigte Headliner, wird der Veranstalter einen höheren Betrag zurückerstatten müssen, als wenn eine unbekannte Vorgruppe fehlen würde.

Letztlich ist das Wetter das Risiko des Veranstalters, wogegen er sich grundsätzlich versichern kann.

Zwischen Veranstalter und Künstler kann es dazu abweichende vertragliche Regelungen geben.

Das Gespräch führte Hans-Jürgen Deglow