bundesweit einmalig Warum Kinder in Halle heute anders schwimmen lernen – und andere nicht
In der Kita „Wunderwelt“ in Halle gehört Schwimmen zum Alltag – und das ist bundesweit einzigartig. Während viele Kinder in Sachsen-Anhalt die Schule verlassen, ohne sicher schwimmen zu können, lernen die Kleinen hier früh den Umgang mit Wasser – dank engagierter Leiterin, eines eigenen Pools und einem langen Kampf für Genehmigungen.

Halle (Saale). Badeanzüge und Badehosen gehören für die Kinder der halleschen Kita „Wunderwelt“ zum Kita-Alltag wie die Spielsachen oder das Mittagessen: „Die Kinder sind von April bis Oktober eigentlich täglich im Wasser“, sagt Tina Witkowski.
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Sie ist die geschäftsführende Leiterin der „Wunderwelt“ und Gründerin von deren Kita-Träger Kahuza. Der Verein unterhält eigens für die Kita-Kinder einen Pool. Wenn sie zusammen mit den Erzieherinnen planschen, geht es aber nicht allein um Badespaß – sondern um mehr Sicherheit im Wasser: Denn nur wer schwimmen lernt, kann sich später gefahrlos in Schwimmbädern, Seen oder anderen Badeorten aufhalten.
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Dabei profitieren Kinder von einem frühen Start: „Je eher ein Kind mit Wassergewöhnung und -bewältigung konfrontiert wird, desto leichter ist es für das Kind später, schwimmen zu lernen“, sagt Witkowski.
DRK-zertifizierte Erzieherinnen sorgen für sichere Schwimmer
Viele der Erzieherinnen haben die Ausbildung des Deutschen Roten Kreuz (DRK) zur Rettungsschwimmerin absolviert, Witkowski ist zusätzlich Trainerin für das Schwimmen.
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Alle Kinder, die von der Kita „Wunderwelt“ in die Grundschule wechseln, haben das Seepferdchen-Abzeichen, die meisten von ihnen sind darüber hinaus sichere Schwimmer. Strukturelle Ursachen Das ist heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr – im Gegenteil:

„Wir schätzen, dass am Ende der Grundschulzeit keine 60 Prozent der Kinder in Sachsen-Anhalt ein Schwimmabzeichen in Bronze abgelegt haben“, sagt Holger Hövelmann, Präsident des DLRG-Landesverbands Sachsen-Anhalt.
„Und nur etwa 80 Prozent der Kinder in Sachsen-Anhalt haben nach der vierten Klasse überhaupt das Seepferdchen, was ja aber keine Schwimmfähigkeit ist, sondern eher die Fähigkeit, im Wasser erst mal nicht unterzugehen.“
Schwimmunterricht in Sachsen-Anhalt: Zahlen, die alarmieren
Im Umkehrschluss bedeutet das, dass mindestens jedes fünfte Kind, das die Grundschule verlässt, ein Nichtschwimmer ist – und das, obwohl der Schwimmunterricht in Sachsen-Anhalt im Lehrplan verankert ist.
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Zusätzlich besorgniserregend: „Die Zahl der Nichtschwimmer steigt seit Jahren“, sagt Hövelmann. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Da sind zum Beispiel die Nachwirkungen der Pandemie: „Während der zweieinhalb Corona-Jahre fanden viele Schwimmkurse nicht statt.
Einen Teil davon haben wir aufgeholt, aber längst nicht alles“, sagt Hövelmann. „Auch der Lehrermangel macht sich bemerkbar – es fehlt an Lehrern in allen Fächern, und somit auch dem Sportunterricht.“
Bädersterben, Lehrermangel und Corona – die Ursachen für Nichtschwimmer
Das gravierendste Problem sei jedoch das Bädersterben: „Früher war es fast schon selbstverständlich, dass der nächste Badesee oder das nächste Freibad nur fünf oder zehn Minuten weit weg war“, sagt Hövelmann. „Jetzt gibt es immer weniger Möglichkeiten.“
Wenn es für einen Schulstandort in zwanzig oder dreißig Kilometern Umkreis kein Schwimmbad gibt, wird es schwierig, den Unterricht in den normalen Schulalltag zu integrieren.“ Um das Bädersterben aufzuhalten, sei ein Umdenken nötig: „Wir bauen für viele, viele Millionen Euro Spaßbäder“, sagt Hövelmann.

„Sie sind gigantisch groß, gigantisch teuer und gehen zu Lasten der kleinen Schwimmbäder. In Schwimmbädern kann man beides haben: Schwimmen und Spaß haben. Statt ein großes Spaßbad zu bauen, wäre es sinnvoller, zehn kleine Freibäder auf dem Dorf zu sanieren, um mehr Menschen den Zugang zu ermöglichen.“
In Anbetracht der steigenden Nichtschwimmer-Zahlen plädiert er dafür, auf einfache Konzepte zu setzen: „Zum Schwimmenlernen braucht es keine riesige Rutsche und eine Strömungsanlage, die auch im Unterhalt horrende Summen verschlingen. Es reicht ein einfaches rechteckiges Schwimmbecken“, sagt Hövelmann.
Arm und Reich: Schwimmen als soziale Frage
Dabei haben insbesondere Familien mit einem geringen Einkommen das Nachsehen. Das legt eine von der DLRG beauftragte Umfrage der Sozialforschungsgesellschaft forsa von 2022 nahe. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die Schwimmfähigkeiten von Kindern stark mit dem Haushaltseinkommen zusammenhängen.
Über die Gründe kann Hövelmann nur mutmaßen: „Viele Familien haben vielleicht Sorge, dass sie sich den Schwimmkurs nicht leisten können. Das Land stellt zwar Gutscheine zur Verfügung, aber diese zu beantragen, ist sicher eine Hürde für viele Eltern.“
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Dazu kommt, dass viel Eigeninitiative vonseiten der Eltern gefragt ist, damit Kinder das Schwimmen nicht verlernen: Das bedeutet etwa, dass sie das Kind viele Kilometer weit bis zum nächsten Schwimmbad fahren oder regelmäßig mit ihm schwimmen gehen müssen, um die Schwimmfähigkeiten zu trainieren.
„Bei Eltern mit höherem Einkommen sind die zeitlichen und finanziellen Ressourcen dafür eher vorhanden, während in einkommensschwachen Familien andere Dinge eine höhere Prioritäten haben“, sagt Hövelmann.
Umso wichtiger sind Angebote wie das der Kita „Wunderwelt“ in Halle, das von den Eltern dankbar angenommen wird: „Die Eltern finden das gut, wir haben wirklich für alle Kinder Badegenehmigungen vorliegen“, sagt Tina Witkowski von der „Wunderwelt“.
Dass der Kindergarten mit seinem Schwimmangebot in Sachsen-Anhalt trotzdem eine Ausnahme darstellt, liegt wohl an den Hürden, die dafür zu überwinden sind: „Wir haben 2010 mit einem Planschbecken angefangen“, sagt Witkowski. „Nach und nach wurden die Becken größer und mit dem ersten richtig großen Pool 2013 fing es an, dass mehrere Ämter uns das verbieten wollten.Das war ein mühsamer Kampf.“
Sie habe sich so manchen Spruch anhören müssen, sagt Witkowski, nach dem Motto: „Wenn Sie einen Pool haben wollen und baden wollen, dann können Sie das doch privat für sich machen.“ „Aber es geht doch nicht um mich, es geht um die Kinder, darum, dass sie sich ans Wasser gewöhnen und schwimmen lernen“, sagt sie.
Die Wunderwelt zeigt, wie’s geht – mit Pool und Hartnäckigkeit
Schließlich wandte sich Witkowski an Sven Thomas, Chef der Wasserwacht Halle, die zum Deutschen Roten Kreuz gehört. „Wir haben ein Konzept entwickelt, und mit seiner Unterstützung haben wir die Genehmigung bekommen, ein Schwimmbecken zu betreiben“, sagt Witkowski.
„Und als der Pool langsam zu klein wurde, haben wir den gebaut, den wir jetzt haben, mit Dach und Heizung, damit wir die Badezeit bis in den Herbst hinein verlängern können.“ Die Kosten dafür deckte Witkowski mit Spendeneinnahmen.
Alle zwei Jahre überprüft die DRK Wasserrettung Halle, ob die Kita alle Rechtsvorschriften und Sicherheitsmaßnahmen einhält. Bei der letzten Überprüfung im Februar 2025 erhielt die Einrichtung fünf von fünf Sternen – für Witkowski der erneute Beweis dafür, dass sich ihre Hartnäckigkeit gelohnt hat.