Ernährung Ernährung: Chutneys - eingemacht oder frisch

Frankfurt/Main/Hamburg/dpa. - Als fertige Gewürzsauce hat Mango-Chutney auch in vielen deutschen Küchen Einzug gehalten. Das dicke Mus lässt jedoch vergessen, dass Chutneys in der indischen und englischen Küche aus vielerlei Obst und Gemüse gezaubert werden und in Indien vorwiegend ein frisches Saisonprodukt sind. Mit ihrem Potpourri an ungewöhnlichen Gewürzen geben süß-saure Chutneys kaltem Fleisch, Gegrilltem, Eierspeisen und Käse einen exotischen Touch. Mit Essig und Zucker konserviert, machen sie Eingemachtes attraktiver und bringen im Winter euro-asiatischen Sommer auf den Tisch.
«Chatni», was so viel wie «stark gewürzt» heißt, sagen die Inder und essen es löffelweise beinahe zu jedem Gericht. «Ursprünglich ist Chutney eine Spezialität Südindiens», erklärt Isaac Pulipra vom Indischen Generalkonsulat in Frankfurt. Inzwischen habe sich die würzige Beilage aber über den gesamten Subkontinent verbreitet. Die schärfsten «Chatni» kommen jedoch immer noch aus dem Süden, aus den Bundesstaaten Kerala, Karnataka, Andra Pradesh und Tamil Nadu.
Ob Snack, Vorspeise oder Hauptgericht, zu den meisten indischen Gerichten werden Chutneys serviert. «Immer frisch zubereitet gehören sie bei uns zur täglichen Küche», sagt Amret Lal vom Restaurant «Bombay Gate» in Frankfurt. In Schälchen auf der Tali - einem Tablett aus Messing oder Edelstahl - zusammen mit den anderen Speisen angerichtet, regen sie den Appetit an und geben auch milden Gerichten eine würzige Schärfe. Auch Nationalgerichte wie in Kichererbsenmehl frittierte Gemüsekrapfen namens Pakoras sowie Samosas - mit Kartoffeln und Erbsen gefüllte Pasteten - werden mit der Würzpaste gesnackt. Gleiches gilt für Paratha, ein mit Kartoffeln, Frischkäse und gehacktem Lamm gefülltes Brot, erläutert Lal.
Über die Jahrtausende hat sich in Indien eine vegetarische Küche entwickelt, die mit Fantasie den landestypischen Reichtum an Früchten, Gewürzen und Kräutern ausnutzt. Bevorzugt werden frisches Koriandergrün, Minze, Tamarinde - auch Indische Dattel genannt - Mango, Äpfel und grüne Tomaten zu Chutney verarbeitet. Die Rezepturen variieren Pulipra zufolge von Region zu Region. Da in Südindien die Kokosnuss in der Küche eine wichtige Rolle spielt, darf zu Dosas - das sind Pfannkuchen - ein grünes Kokosnuss-Chutney aus Kokosflocken, Chili, Senfsamen, Minze oder Koriandergrün nicht fehlen.
Wie die Urform des Pickles, das seit 1690 bekannte Piccalilli, stammt auch die englische Vorliebe für Chutney aus der Kolonialzeit. Offiziere der East India Company brachten die Zubereitung zusammen mit Curry in ihr Heimatland. Aber erst auf der Insel wurden die reichhaltigen Kompositionen mit Essig und Zucker zu einer dicklichen Sauce verkocht und in sterilisierten Gläsern als Vorrat für den Winter aufbewahrt. So konnte alles, was im Sommer im Garten wuchs, mit exotischem Flair in die kalte Jahreszeit hinüber gerettet werden.
«Die Rezepturen wurden von Großmutter über Mutter und Tante immer weiter gereicht», sagt Sally Angenendt vom «British and Commonwealth Ladies Luncheon Club» in Hamburg. Noch immer werden Chutneys dort, wo die Ernte im eigenen Garten üppig ausfällt, selbst zubereitet. Soll ein Chutney in den Vorratsschrank, müssen die klein geschnittenen Zutaten lange gekocht und in sterilisierte Gläser abgefüllt werden. Auch wenn es in der Farbe nachdunkle, hält es sich mindestens ein Jahr, erklärt Angenendt.
Bei der Gewürzpalette, die den Chutneys einen Hauch von fernen Ländern geben, lässt sich Englands imperiale Vergangenheit ebenfalls nicht leugnen. So darf neben Essig und braunem Zucker nach indischem Vorbild niemals Ingwer fehlen. Kreuzkümmel, Piment, Zimt, Kardamon, Chili, Cayenne-Pfeffer und Kräuter wie Koriander sind je nach Rezept ideale Begleiter.
Inzwischen sind Chutneys allerdings in vielen Variationen auch fertig zu kaufen. Die Palette reicht vom klassischen Mango Chutney, das fast jeder britische Haushalt vorrätig hat, über Hot Gooseberry Chutney, einem scharfen Stachelbeerkompott, Lime & Chilli Chutney, eine pikante Mischung aus Limonen und Chili, bis hin zu Apricot Chutney, einem süß-sauren Aprikosenkompott oder Minted Apple Chutney aus säuerlichen Äpfeln.
Die Pasten mit der fruchtig-exotischen Note essen Briten nicht nur zu Curries, sondern auch am Montag zu kalten Resten des sonntäglichen Lamm- oder Rinderbratens. «Sie sind immer dann eine süß-saure Schmeichelei, wenn keine Sauce vorhanden ist, wie zum Beispiel zu kaltem Braten, gegrilltem Fisch oder Fleisch», empfiehlt Angenendt.
Britische Lebensweise fand bei deutschen Kaufleuten schon früh Anklang. So ist im Universal-Lexikon der Kochkunst aus dem Jahr 1886 die Rezeptur für eine lang zu kochende «Chutnee-Sauce» aus England zu finden. Sternekoch Heinz O. Wehmann vom «Landhaus Scherrer» in Hamburg zum Beispiel setzt heute allerdings bei dem pikanten Begleiter auf Frische: «Die meisten kaufen Chutney fertig und wissen nicht, dass es als frische Beilage eine witzige Sache sein kann.»
Der vielfach ausgezeichnete Koch von der Hamburger Elbchaussee zaubert aus Rharbarber, Kirschen, Aprikosen, Reneclauden, ab und zu verfeinert mit Holunderblüten, fruchtig leichte Chutneys zu Terrinen, gegrilltem Fisch oder Wild. «Der Kontrakt von Säure und Süße regt den Appetit an und spiegelt Leichtigkeit vor», sagt er. Die Wahl der entsprechenden Säure reicht neben der Fruchtsäure von Weißwein- bis zu Estragonessig. Nichts wird verkocht, damit der Frischecharakter nicht verloren geht. Und nur im Winter gibt es Mango-Chutney.
Literatur: Biskash und Marcela Kumar: Indien - Landestypische Kochrezepte und kulinarische Impressionen, Gräfe und Unzer, ISBN 3-7742-1762-9, 19,90 Euro; Julie Sahni: Genießer unterwegs - Indien, Christian Verlag, ISBN 3-88472-513-0, 36 Euro.