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Das schmeckt ja plötzlich! Das schmeckt ja plötzlich!: Alkoholfreies Bier ist nicht mehr so schlecht wie sein Ruf

Von Till Simon Nagel 11.03.2020, 14:18

Wie Schwimmen ohne Wasser" oder "Da fehlt irgendetwas", sind nur zwei häufige Meinungen zu alkoholfreiem Bier. Fragt man näher nach, hält sich die Erfahrung der meisten Biertrinker mit dem alkoholfreien Stoff aber in Grenzen - oder der letzte Kontakt mit der Materie ist ziemlich lange her. So auch beim Autor dieser Zeilen - bis zu einer Art Geschmacks-Erweckungserlebnis im vergangenen Sommer.

Der Blick ins Getränkeregal gut sortierter Supermärkte offenbart: Das alkoholfreie Bier springt seit einiger Zeit mit viel Kraft aus der Nische. Da warten mittlerweile neben den paar Pilsnern der großen Brauereien und Weizen etliche neue Biersorten - darunter auch Lagerbier, Ale, Altbier, und selbst die Craft-Beer-Szene entdeckt das Bier ohne Prozente. Was ist da nur passiert?

Alles eine Frage der Technik, sagt Martin Krottenthaler von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Weihenstephan-Triesdorf. Früher wurde beim alkoholfreien Bier meistens nach einer gewissen Zeit die Gärung gestoppt. Heute lässt man das Bier fertig gären und entzieht ihm anschließend den Alkohol.


Ganz neue Aromen
Während der Gärungsstopp mit dem Kältekontaktverfahren für recht viel Restsüße im Bier sorgt, haben teurere Verfahren wie Umkehrosmose, Dialyse oder Vakuumverdampfung einen entscheidenden Vorteil. "Geschmack und Aromen des Biers bleiben erhalten", sagt Krottenthaler. So hat man am Ende ein "richtiges" Bier, nur eben ohne die Prozente. Aber das ist nicht alles.

"Seit einigen Jahren darf Bier auch nachgehopft werden", erklärt Krottenthaler, der Brauwesen unterrichtet. Soll heißen: Dem Bier werden noch weitere Hopfensorten zugesetzt. Etwa Cascade, Citra oder Dolden mit Namen wie Hallertauer Tradition, Akoya oder Polaris. So kann man dem Bier nachträglich viele neue Aromen wie Zitrus, Minze, Ananas oder Holunderblüte verleihen. "Da gibt es richtige Geschmacksbomben, wo man vor lauter Hopfen gar nicht schmeckt, dass der Alkohol fehlt", so der Professor.

Ein Trend, den auch die Biersommelière und Bloggerin Mareike Hasenbeck verfolgt. "Durch die neuen Rohstoffkombinationen sind ganz andere Aromen möglich", sagt sie. Besonders die Kreativbrauszene jenseits der großen Brauereien bringe mittlerweile erstaunliche Biere mit Aromen zum Beispiel von Mango, Schokolade oder Kaffee heraus.

Und auch jenseits des Reinheitsgebots gebe es zum Beispiel alkoholfreie Stouts mit Kaffeebohnen oder ausgefallene Sorten wie etwa ein Weizen-Pale-Ale mit Earl-Grey-Tee. Mareike Hasenbeck serviert bei Bier-Verkostungen gerne mal ein anonymes Alkoholfreies. "Wenn ich sage, dass es ein alkoholfreies Bier ist, fallen die meisten Leute aus den Wolken", stellt sie immer wieder fest. Neben dem Kältekontaktverfahren, der Umkehrosmose, Dialyse oder Vakuumverdampfung gibt es noch einen Weg, um Bier mit wenig Alkohol herzustellen: spezielle Hefesorten, die ab einem recht geringen Alkoholgehalt schon absterben. Solche Sorten sind laut Hasenbeck besonders bei den Kreativbrauern beliebt.

Der Trend zum alkoholfreien Bier lässt sich auch an konkreten Zahlen festmachen. Mittlerweile ist das Ohne-Bier eine feste Größe auf dem deutschen Biermarkt. Es kommt nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes auf 7,21 Prozent - Marktanteil. Nimmt man das Malzbier hinzu, sind es sogar 8,05 Prozent - Tendenz steigend. Binnen weniger Jahre rechnet der Deutsche Brauer-Bund mit einem Anteil von gut zehn Prozent. Deutschland sei damit weltweit führend beim Brauen alkoholfreier Biere. Und mehr noch: Das Ohne-Bier gleicht den Absatzrückgang beim alkoholhaltigen Bier aus, erklärt der Brauer-Bund.

Neben dem klassischen Alkoholfreien gibt es auch immer mehr Biere, die ganz ohne Alkohol auskommen. Zur Erklärung: Ein alkoholfreies Bier darf maximal 0,5 Volumenprozent Alkohol enthalten. Die 0,0-Prozent-Biere sind frei von Alkohol. "Da lässt man die Entalkoholisierung einfach laufen, bis kein Alkohol mehr da ist", erklärt Krottenthaler. Den Unterschied zwischen normalem Alkoholfreien und den Nullnullern nennt er eine "psychologische Schwelle". "Die 0,0-Prozent-Biere sind da qualitativ nicht besser, aber vielleicht besser für das Gewissen." Dafür kann es einen geschmacklichen Unterschied geben: "Entalkoholisierte Biere sind trocken im Abtrunk." Also nicht so süß wie manches Ohne-Bier mit gestoppter Gärung.


Weniger Kalorien
Moderne Brautechnik, neue Verfahren, Hopfen, andere Hefen - das alles erklärt vielleicht die technische Seite des immer größeren Angebots an alkoholfreiem Bier. Aber warum trinken die Leute plötzlich auch mehr davon? Martin Krottenthaler sieht das eine als Ursache des anderen, sprich: besseres Bier wird lieber getrunken. Und einen Wandel der Mentalität: "Die Akzeptanz, in der Kneipe auch alkoholfrei zu trinken, hat zugenommen." Und der Ruf des Bieres sei mittlerweile besser, was wiederum dazu führe, dass Bierfreunde bereit sind, dafür auch Geld auszugeben. "Das ermöglicht es, mit teureren Verfahren wie Umkehrosmose, Dialyse oder Vakuumverdampfung bessere Biere zu produzieren", sagt Krottenthaler.

Auch der Ernährungs- und Fitnessgedanke spielt eine Rolle, sagt Biersommelière Mareike Hasenbeck. Der Blick aufs Etikett gibt die einfache Antwort. Alkoholfreies Bier hat einfach viel weniger Kalorien als die Prozent-Variante. "Und es hat den Vorteil, dass man auch Autofahren kann, und man hat da trotzdem etwas zu trinken, das gut schmeckt."