Das kulinarische Gewissen: Wolfram Siebeck wird 80
Mahlberg/dpa. - Manche titulierten ihn als «Adorno mit dem Schneebesen», andere als «Mark Twain der Küche». Unbestritten ist, dass der Gastrokritiker Wolfram Siebeck, der am 19. September seinen 80. Geburtstag feiert, seit Jahrzehnten beeinflusst, was die Deutschen essen.
Mit spitzer Feder und beißender Ironie kämpft er bis heute für höchste Qualität beim Essen und Trinken. «Bei mir steht die Aufklärung der Konsumenten an oberster Stelle», sagt der viel beachtete Prediger der Kochkunst. Deswegen müsse er, wie der Musikkritiker gegen falsche Töne, natürlich gegen veraltete Zubereitungsweisen, verfälschte Produkte und hoffnungslos überschätzte Weine anschreiben.
Zum Gourmet ist Siebeck nicht im Elternhaus geworden. «Meine Mutter kochte miserabel, außerdem gab es in den Kriegsjahren nichts Gescheites zu essen», berichtet der Wahl-Badener, der mit seiner Frau Barbara und seiner Katze Frau Hoffmann auf der Burg Schloss Mahlberg (Ortenaukreis) wohnt, den Sommer aber in der Provence bei Montélimar (Frankreich) verbringt. Siebeck, geboren und aufgewachsen im Ruhrgebiet, bemalte nach dem Krieg Reklameschilder und arbeitete als Pressezeichner und Illustrator. In den 60er Jahren schrieb er für die Zeitschrift «Twen» seine ersten kulinarischen Artikel.
Als Filmkritiker lernte er die französische Küche kennen und schätzen. «Da habe ich zum ersten Mal richtig gegessen und meine kulinarische Leidenschaft entdeckt», sagt Siebeck, der viele Kochkurse in Frankreich besuchte und später selbst immer welche veranstaltete, wobei heute zu Hause meistens seine Frau kocht. Seitdem ist Paris für ihn «immer maßgebend und stilbildend», weil die französische Küche durch ihren inneren Antrieb dynamisch sei.
«Genießen lässt sich lernen», betont er aus eigener Erfahrung. Deshalb kämpft er gegen Fast Food und Fertiggerichte und für Produkte und Zutaten von höchster Qualität. «Statt im Supermarkt sollten die Menschen beim guten Metzger, Käsehändler oder Erzeuger einkaufen», rät er. Traurig findet Siebeck auch heute noch, dass die Deutschen lieber am Essen sparen als am Auto: «Sie sind notorisch geizig und geben nur elf Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus.» Aber die Genussfeindlichkeit sei eben Bestandteil unseres Nationalcharakters.
Siebecks Kolumnen in der «Zeit» und im «Feinschmecker» sind bei seinen Lesern beliebt und bei Spitzenköchen gefürchtet. Bissig und offen spricht er Missstände an, wie etwa die Vorliebe vieler Menschen für Fast Food. «Die Leute fressen das Zeug, bis sie platzen. Man kann nur hoffen, dass die dann auch wirklich platzen», sagte er in einem Interview. Angst vor der Mode der molekularen Küche hat Siebeck nicht. «Kochen bedeutet Feuer, Brutzeln, Braten und Schmoren. Das sind ganz atavistische Bedürfnisse, Jahrtausende alt. So wird es bleiben und die Küchen werden sich nicht in Laboratorien verwandeln.»
Auch heute noch gehen Siebeck und seine Frau «sehr oft, sehr gut» essen. Im Elsass wie in Baden-Württemberg, das der Gourmet als die «Genießerregion Nummer eins» in Deutschland schätzt. Optik ist für ihn nicht das Entscheidende: «Der Geschmack ist das Wichtigste, den Verzierungen kann man lernen.» Und er glaubt, mit seinen essayistischen Artikeln und Büchern wie «Frisch gewürzt ist halb gewonnen», «Nicht nur Kraut und Rüben» oder «Die verpönte Küche» die Deutschen kulinarisch doch erzogen zu haben. «Es ist für mich oft viel befriedigender, in deutsche Restaurants zu gehen als in französische.»