Büffeln am Nachmittag - Eltern investieren viel in Nachhilfe
Hameln/dpa. - Angestrengt lösen die fünf Siebtklässler die Rechenaufgaben an der Tafel. Ein leises Stöhnen geht durch den Raum - nach sieben Stunden Unterricht wird in der privaten Nachhilfeschule «Studienkreis» in Hameln weitergebüffelt: Nachhilfe ist gefragt wie nie.
Elf ausgebildete Lehrer, noch aktiv oder bereits pensioniert, helfen in der Zweigstelle in Südniedersachsen Kindern und Jugendlichen bei Klausurvorbereitungen, Problemfächern oder den Hausaufgaben. Selbst Grundschüler nehmen vermehrt die Unterstützung am Nachmittag in Anspruch. Rund 930 000 Schüler in Deutschland erhalten laut Bundesverband Nachhilfe- und Nachmittagsschulen (VNN) Nachhilfeunterricht. Davon besuchen circa 300 000 Kinder private Bildungs-Einrichtungen, der Rest lässt sich privat von Lehrern, älteren Schülern oder Studenten helfen. Dagmar Gabcke, die Leiterin des «Studienkreises» in Hameln, sieht als Grund für die stete Nachfrage: «Die Arbeitsmarktsituation macht vielen Eltern Angst - und zwar zu Recht. Sie wollen ihr Kind unterstützen, können das aber oftmals gar nicht selbst leisten.»
Richard Lauenstein, Sprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), macht den Staat mitverantwortlich: «Die Politik hat einfach Jahre in Kauf genommen, dass die öffentlichen Einrichtungen nicht so effizient sind, wie sie sein sollten.» Die Verhältnisse seien so, dass gerade Schüler, die mehr Förderung und Unterstützung benötigen, diese in der Schule nicht bekommen.
Der Druck, einen guten Abschluss zu machen, lastet auf vielen Kindern und Jugendlichen, weiß Wolfgang Weber, Direktor des Hamelner Albert-Einstein-Gymnasiums. Die Ansprüche steigen, die jetzigen Neuntklässler müssen das Abitur bereits nach zwölf Jahren machen, ohne dass der Stoff wesentlich gekürzt wurde. Gleichzeitig besuchen immer mehr Kinder das Gymnasium. Waren im Jahr 2003 noch 145 000 Schüler an niedersächsischen Gymnasien gemeldet, sind es seit der Wiedereingliederung der fünften und sechsten Klasse und durch die steigende Beliebtheit dieser Schulform 2007 schon etwa 225 000.
Dies führt dazu, dass der Druck sich bereits an den Grundschulen erhöht. Ein Vater, der seinen Namen nicht nennen möchte, bringt seine zehnjährige Tochter zweimal in der Woche zum «Studienkreis». «Es fehlt an den Schulen an Niveau und an Fördermöglichkeiten», meint er. «Im Sommer steht die Entscheidung an, zu welcher Schule sie gehen wird. Wir gehen zur Nachhilfe, damit sie den Sprung zum Gymnasium schafft.» Die 16 Nachhilfestunden im Monat kosten ihn 129 Euro. Damit das, außer in Einzelfällen überflüssig wird, «brauchen die Schulen mehr Ressourcen», fordert Lauenstein von der GEW.
Beinahe ein Drittel der Neuanmeldungen an Hamelner Gymnasien sind Schüler mit Realschulempfehlung. Viele Schüler seien an Schulen, an die sie eigentlich nicht gehörten, vermutet Gabcke. «Das hängt auch damit zusammen, dass Eltern in Niedersachsen die freie Wahl haben, auf welche Schule sie ihre Kinder schicken.» Sie kritisiert aber auch die Pädagogen. «Alles steht und fällt mit dem Lehrer. Das Problem ist, dass die einfach nicht überprüft werden.» Ihre Einrichtung besuchten Kinder jeden Alters und jeder Schulform.
Auch Thilo Haverkamp schwitzt an diesem Nachmittag im Nachhilfe- Kurs. «Ich habe Probleme in Mathe», erklärt der 14 Jahre alte Realschüler, «Es ist einfach viel zu viel Stoff, da komme ich nicht mehr mit.» Dennoch hat er den Wunsch, nach der Mittleren Reife noch das Gymnasium zu besuchen.