Bei Anruf Stress: Arbeit in Call-Centern
Neubrandenburg/Stuttgart/dpa. - Das Telefon klingelt unentwegt, die Menschen am anderen Ende der Leitung sind nicht immer gut aufgelegt, die Uhr zur schnellen Gesprächsabwicklung tickt: Die Arbeit in einem Call-Center kann stressig sein.
«Aber es ist eine Branche, die explodiert», sagt Erich Welthe, Chef der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di im Bezirk Neubrandenburg/Greifswald. Allein in Mecklenburg-Vorpommern arbeiten rund 13 000 Menschen in Call-Centern und verkaufen hier entweder Produkte, nehmen Beschwerden entgegen oder betreiben Meinungsforschung.
Bei 50 bis 200 Telefongesprächen pro Tag klingeln den Beschäftigten, so genannten Call-Center-Agents, abends jedoch buchstäblich die Ohren. Die Klagen über gesundheitliche Beschwerden nehmen entsprechend zu. Dazu kommen Zeitdruck, oft schlechte Arbeitsbedingungen und spärliche Gehälter.
«Die Rahmenbedingungen der Beschäftigten sind sehr bescheiden», kritisiert Welthe. 5 bis 6,50 Euro pro Stunde Bruttolohn, 30 Stunden Arbeit in der Woche - da kommen nicht einmal 800 Euro am Monatsende zusammen. «Die meisten Call-Center-Agents lassen sich durch Sozialleistungen des Staates ihr Geld aufstocken.»
Aber nicht nur der geringe Verdienst ärgert den ver.di-Bezirkschef. Auch die Arbeitszeiten der Beschäftigten seien inakzeptabel. Viele arbeiteten zwar nur vier bis sechs Stunden täglich, würden aber zwei Mal am Tag eingesetzt.
Dass die Bedingungen in Call-Centern vermehrt zu wünschen übrig lassen, weiß auch Arbeitswissenschaftler Bernd Bienzeisler vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart. Großräume mit bis zu 150 Angestellten seien keine Ausnahme. «Es ist eine sehr stressige Arbeit.» Mehr als vier Stunden telefonieren am Stück seien nicht leistbar.
Zudem sei der psychische Druck extrem hoch. «Call-Center geben Zeiten vor, in denen das Kundenproblem gelöst werden soll», erklärt Bienzeisler. In der Regel müssten die Agenten in 90 Sekunden geholfen haben. Dazu kommt, dass die Kunden oft frustriert sind und ihren Ärger an den Beschäftigten auslassen.
Rund 300 000 Menschen arbeiten in Deutschland in dieser Branche - Tendenz steigend. Eine Ausbildung zum Agenten gibt es Bienzeisler zufolge nicht. Viele seien Hausfrauen oder Studenten, die sich etwas dazuverdienen möchten. «Jetzt geht der Trend in Richtung qualifiziertes Personal, die die Sache auch ernsthaft betreiben.» Auch investierten mittlerweile immer mehr Firmen in schnelle Computersoftware, Klimaanlagen und Equipment wie Kopfhörer, um die Arbeitsbelastung für ihre Angestellten zu senken.
Darüber hinaus werden der Servicegedanke und die Kundenzufriedenheit zunehmend wichtiger als die schnelle Abwicklung eines Gesprächs. «Diese Neuorientierung wird sich mittelfristig in der Aufwertung des Images von Call-Centern und in der Verbesserung der Arbeitsplatzbedingungen widerspiegeln», so der Soziologe.
Die enorme Belastung der Call-Center-Beschäftigten schlägt sich auch im Krankenstand der Branche nieder. Im vergangenen Jahr habe die Quote der bei der AOK Versicherten bei 5,75 Prozent gelegen, sagt Klaus Pelster, stellvertretender Direktor am Institut für betriebliche Gesundheitsförderung in Köln. «Das ist ein Prozentpunkt mehr als der Rheinlandsdurchschnitt.» Jeder Angestellte eines Call-Centers sei im Schnitt zwei Mal im Jahr bescheinigt krank gewesen. Gründe dafür sieht Pelster vor allem in dem Leistungsdruck und der Kontrolle durch die Uhr.
Die meisten Beschäftigten - etwa ein Viertel - litten unter Atemwegserkrankungen. «Dazu gehört der grippale Infekt, aber auch die Lungenentzündung», erläutert Pelster, der die Ursache im übermäßigem Gebrauch der Stimme vermutet. «Auf Platz 2 sind die Muskelskeletterkrankungen. Zwei Drittel dieser Diagnosen sind Rückenschmerzen.»
Beate Beermann, wissenschaftliche Direktorin bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund, rät, nicht ununterbrochen nur am Computer zu sitzen und zu telefonieren. «Fünf bis zehn Minuten Pause pro Stunde müssen sein.» Die Chefs sollten ihren Mitarbeitern regelmäßig Freiräume zur Entspannung geben. «Denn Kunden merken, wenn die Agents genervt sind.» Auch regelmäßige Schulungen und Sprechtrainings förderten die Arbeitsmotivation.