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Neue Assistenzsysteme stehen vor der Marktreife

Von Thomas Geiger 08.07.2008, 07:27

München/Berlin/dpa. - Das Auto fährt mit geschärftem Blick in die Zukunft. Nachdem Fahrzeuge schon mit Hilfe von Kamera-, Infrarot- und Radarsensoren das «Sehen» gelernt haben, wird nun ihre Wahrnehmungsleistung mit neuen Assistenzsystemen noch einmal verbessert.

Das steigere nicht nur den Komfort, sagt Unfallforscher Matthias Kühn vom Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) in Berlin. «Solche Technologien bieten auch ein großes Potenzial zur Entschärfung oder gar zur Vermeidung von Unfällen.»

Dabei ruhen die Hoffnungen der Unfallforscher unter anderem auf Nachtsichtsystemen: Mit Infrarotkameras blicken sie weiter, als die Scheinwerfer strahlen, und vergrößern so das Sichtfeld. Theoretisch könnten mit solchen Systemen bis zu acht Prozent der Unfälle zwischen Fußgängern und Pkw positiv beeinflusst werden, rechnet GDV-Experte Kühn vor. «Doch in der Praxis ist der Sicherheitsgewinn heute leider geringer. Denn entweder muss der Fahrer die ganze Zeit auf den Monitor schauen und ist dann abgelenkt. Oder er läuft Gefahr, dass er mögliche Risiken trotz seiner elektronischen Augen übersieht.»

Dieses Problem will BMW bald lösen, sagt der Entwickler Christian Discher. Er arbeitet in München an den kamerabasierten Fahrerassistenzsystemen und ist nach 250 000 Testkilometern so weit, dass schon die zum Herbst avisierte Neuauflage des 7ers mit der zweiten Generation von Nachtsichtsystemen vorfahren könnte. «Sie kann einen Fußgänger nicht nur zeigen, sondern selbst erkennen und den Fahrer rechtzeitig warnen», sagt Discher. Dafür benötigt man eine höher auflösende Kamera und eine Software zur Bilderkennung, die permanent nach Fußgängern fahndet: «Laufen sie sicher und ungefährdet auf dem Bürgersteig, werden ihre Silhouetten auf dem Monitor nur blassgelb eingefärbt. Kommen sie allerdings auf die Fahrbahn, erscheint ein gelbes Warnsymbol im Cockpit und im Head-up-Display.»

Doch die elektronischen Augen sehen noch mehr: «Schon bald bieten wir das erste Serienauto der Welt, das Verkehrszeichen lesen kann», sagt Discher. Zwar sind Geschwindigkeitsbegrenzungen auch in den Datenbanken der Navigationssysteme hinterlegt. «Doch findet man da nur etwa zwei Drittel der Tempolimits. Und Baustellen oder die wechselnden Anzeigen von Schilderbrücken auf Autobahnen sind gar nicht berücksichtigt.» Ein ähnliches Kamerasystem hat Opel für sein neues Mittelklassemodell Insignia angekündigt.

«Die Erkennung von Geschwindigkeitsbegrenzungen ist allerdings nur ein erster Schritt», sagt Mercedes-Sprecher Norbert Giesen. Auch in Stuttgart werde mit Hochdruck an der Weiterentwicklung optischer Assistenzsysteme gearbeitet. Schon für die nächsten Fahrzeuggenerationen stellt Giesen Fortschritte in Aussicht. Durchaus möglich also, dass deshalb in der zum Frühjahr erwarteten Neuauflage der E-Klasse das Nachtsichtsystem ebenfalls vor Fußgängern warnen kann und Temposchilder auf den Bordmonitor übertragen werden.

In einer weiteren Entwicklungsstufe ist auch die Erkennung von Stopp- oder Vorfahrtsschildern denkbar. Außerdem könnte das System mit anderen Assistenten wie dem Tempomat verknüpft werden und so eine erlaubte Geschwindigkeit halten, sagt Giesen und verweist auf die Unfallstatistik: «Schließlich ist nicht angepasste Geschwindigkeit die Ursache der meisten und der folgenschwersten Karambolagen.»

Eher übermorgen als morgen werden Autos laut Giesen mit Hilfe einer zweiten Kamera sogar räumlich sehen können. Sobald sie stehende Objekte erkennen, werde etwa ein Baustellen-Assistent möglich, der Fahrer auf der Autobahn sicher durch eine Gasse von Barken führen kann. Mittelfristig wollen die Entwickler auch bewegte Objekte erkennen sowie deren Richtung und Geschwindigkeit analysieren können. Dann könnte der Fahrer gewarnt werden, wenn Fußgänger und Radfahrer oder andere Autos in seinen Fahrkorridor einzudringen drohen.

Damit liegen die Entwickler auf einer Linie mit Unfallforscher Kühn, der bei allen optischen Assistenzsystemen hohe Erwartungen an die Objekterkennung knüpft. Natürlich sei es für den Fahrer schon eine Hilfe, wenn er Gefahren leichter sehen kann. Doch bleibe dann immer noch die Gefahr des Übersehens. «Wenn man ihn aber aktiv vor Risiken warnt, wird die Zahl der Unfälle spürbar zurückgehen.»

Eine neue Sicht der Dinge erlebt der Autofahrer nicht nur nachts auf der Landstraße. Auch beim Parken öffnet ihm die Elektronik die Augen. Bei der Nissan-Schwester Infiniti gibt es nun einen sogenannten Round-View-Monitor, bei dem das Bild von vier Kameras zu einer Ansicht kombiniert wird, teilt das Unternehmen am Europasitz in Rolle in der Schweiz mit. So sieht der Fahrer seinen Wagen beim Rangieren aus der Vogelperspektive und soll selbst im Toten Winkel vor teuren Schrammen an Blumenkübeln oder Bordsteinkanten gefeit sein.