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Forschung Forschung: Die Natur zum Vorbild

Von Thomas Geiger 29.07.2005, 12:43
Der tropische Kofferfisch als Vorbild: Ausgehend von dem extrem strömungswiderstandsarmen Körper des Fischs entwickelten Wissenschaftler und Ingenieure bei Mercedes-Benz das Bionic Car. (Foto: dpa)
Der tropische Kofferfisch als Vorbild: Ausgehend von dem extrem strömungswiderstandsarmen Körper des Fischs entwickelten Wissenschaftler und Ingenieure bei Mercedes-Benz das Bionic Car. (Foto: dpa) DaimlerChrysler

Aachen/Stuttgart/dpa. - «Allerdings reicht es dabei nicht aus, die Natur einfach zukopieren», sagt Marcus Wirth vom Zentrum für Bionik an derRheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen.Vielmehr muss man laut Wirth Mechanismen beobachten, abstrahieren und auf die technische Anwendung übertragen, wenn man eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Natur eingehen will. Entsprechende Ideen sind allerdings nicht neu: Schon Leonardo da Vinci hat den Vögeln auf die Flügel geschaut, bevor er sich daran machte, erste Fluggeräte zu entwerfen.

Heute hat sich die Bionik - die Kombination von Biologie undTechnologie - mit drei Stützpfeilern in der Industrie etabliert, sagt Dieter Gürtler, der bei Mercedes-Benz das Team Advanced Concepts leitet. «Wir nutzen die Vorreiterrolle der Natur bei der direkten Übernahme von Analogien, der Übertragung von natürlichen auf technische Konstruktionsprozesse und als Generator für Ideen.»

Bekannte Natur-Prinzipien sind beispielsweise der von der Kletteabgekupferte Klettverschluss oder die selbstreinigende Wirkung des Lotusblüten-Effektes. Zum ersten Mal hat Mercedes laut Gürtler jetzt aber bei einem Auto auch für das Design nach einem Vorbild aus der Natur gesucht, um den Luftwiderstand und damit den Verbrauch zu reduzieren.

Im Gegensatz zum Klettverschluss sei dieser Transfer allerdingsnicht so einfach. «Denn anders als auf der Straße sind Räder in der Natur nicht üblich», sagt Bionik-Experte Wirth aus Aachen. «Außerdem sind es in der Natur vor allem die schnellen Schwimmer, also Fische oder Pinguine, die besonders strömungsgünstig sind», ergänzt Mercedes-Entwickler Gürtler.

«Aber deren Form gleicht eher einem Torpedo als einem Auto.Deshalb haben wir nach einem Fisch gesucht, dessen Körperform eher den Anforderungen einer alltagstauglichen, geräumigen Karosserie näher kommt.» Also haben sich die Schwaben im Stuttgarter Naturkundemuseum aus mehreren tausend Tieren den tropischen Kofferfisch heraus gesucht. «Wir waren überrascht, dass das Modell des relativ klobig aussehenden Kofferfischs mit einem Strömungswiderstand von "CW = 0,06" nahe an dastheoretische Minimum kommt. Selbst das daraus entwickelteKonzeptfahrzeug liegt mit "CW = 0,19" deutlich vor anderen Autos, die weniger Platz bieten als das Bionic Car», erläutert Gürtler.

Und so, wie der Kofferfisch in einem Riff mit häufig wechselndenWasserwirbeln selbststabilisierende Effekte durch ausgeprägte Kanten entwickelt hat, so sei die Karosserie wegen speziellhineinkonstruierter Abrisskanten für den Luftstrom auch wenigeranfällig gegen plötzlich auftretenden Seitenwind.

Während die Form also buchstäblich abgeschaut ist, machen sich die Entwickler immer häufiger auch die Konstruktionsprinzipien der Natur an sich zu Eigen. «Als Vorbild dient dabei zum Beispiel der Baum», sagt Bionik-Experte Wirth. «Seine Wurzeln und sein Astwerk zeigen, wie man mit gezieltem Materialeinsatz sehr stabile Verbindungen erreichen kann, ohne dabei viel Gewicht anzuhäufen.» Besonders belastete Punkte werden verstärkt, während weniger stark beanspruchte Teile dünner und damit leichter ausgeführt werden können.

Ein ähnliches Konstruktionsprinzip liegt – inspiriert vomKnochenbau eines Säugetiers – zum Beispiel einer neuen Aluminiumfelge zu Grunde, die nach Angaben von BMW-Pressesprecherin Michaela Müller in München seit Januar dieses Jahres am Motorrad K 1200 S montiert wird. Ebenfalls diesem Prinzip folgen die Bayern bei der Konstruktion von Achsen, die gleichermaßen robust, leicht und flexibel sein müssen. Deshalb werden sie als hochkomplexe Hohlraumgebilde ausgeführt - ähnlich wie die Holme von Vogelfedern oder die kunstvollgeschwungenen Körperstrukturen von Krebs- und Spinnentieren.

Auch die Prinzipien des Knochenwachstums haben die Entwicklertechnisch umgesetzt und daraus die «Soft Kill Option» gemacht: «Die faszinierende Frage war, wie eine komplette Rohbaustruktur des bionic cars aussähe, wenn sie analog eines simulierten Knochenwachstums entstünde», beschreibt Mercedes-Entwickler Gürtler das Vorgehen. Auch BMW hat bei der Entwicklung von Motorbauteilen im Zeitraffer 15 Generationen simuliert, während derer immer wieder Material entferntwird, das nicht belastet ist. An besonders beanspruchten Stellendagegen wird zusätzliches Material angelagert.

Anhand mathematischer Algorithmen wird das Bauteil dabei förmlich trainiert, damit wie bei einem Sportler «Fett» ab- und «Muskeln» aufgebaut werden. «Dieses Verfahren wird für eine Vielzahl von kleineren Bauteilen bereits im Serienentwicklungsprozess eingesetzt», erläutert Peter Nefischer aus der Motorenentwicklung von BMW. «DasTurboladergehäuse wurde zum Beispiel mit solchen Verfahren trainiert und ist nun in optimierter Form um bis zu 40 Prozent leichter.»